Scheidung und Scharia

Nach langen, hitzigen Debatten wurde in Ägypten ein neues Personenstandsrecht eingeführt.

Frauen, die sich sämtlicher »weiblichen Pflichten« entledigen wollen, Männer, die ihren Nachwuchs mit zur Arbeit nehmen und zwischendurch versorgen müssen, Zusammenleben ohne Trauschein, gleichgeschlechtliche Ehe: All diese Schreckensbilder erschienen in den letzten Wochen in den islamistischen Medien Ägyptens. Anlass war die Reform des Personenstandsgesetzes, die am 29. Februar in Kraft getreten ist. Neun Jahre lang war an dem Entwurf gebastelt worden, und nach einer hitzigen Diskussion im Parlament wurde er noch eingeschränkt.

Dabei enthielt schon der ursprüngliche Entwurf keinesfalls entscheidende Veränderungen. Vielmehr handelt es sich vor allem um Regelungen zur Vereinfachung und Verkürzung von Verfahren. Zugleich wurde die Einführung eines Familiengerichts beschlossen, in dem die verschiedenen Verfahren zu Scheidung und zum Sorgerecht für Kinder gebündelt werden sollen. Zudem sollen die Prozeduren beschleunigt werden - bisher können Scheidungsverfahren fünf bis zehn Jahre dauern, über sechs Millionen Akten im Rahmen des Personenstandsgesetzes warten auf ihre Bearbeitung.

Inhaltlich bringt das neue Gesetz vor allem eine große Neuerung: Es führt die »Khulaa« ein: die Möglichkeit für Frauen, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen und dafür auf sämtliche finanziellen Ansprüche ihm gegenüber zu verzichten. Während Männern in Ägypten auf Grundlage des islamischen Rechts jederzeit die Verstoßung ihrer Ehefrau möglich ist, konnte sich eine Frau nach bisherigem Recht nur scheiden lassen, wenn sie nachweisen konnte, dass der Göttergatte ihr gegenüber gewalttätig oder grausam war. Dennoch war die Scheidung dann für den Ehemann auch noch Jahre später widerrufbar. Zwar wurde diese Widerrufsfrist nun ebenfalls verkürzt, eine unwiderrufliche - und schnelle - Scheidung erhält eine Frau aber nur im Falle der Khulaa. Wie feministische Kritikerinnen bemerkten, ist diese Variante nur für wohlhabende Frauen oder zumindest solche, die sowieso schon das Familieneinkommen bestreiten, wirklich praktikabel.

Dennoch löste gerade dieser Artikel, verbunden mit einem zweiten, der Frauen die Möglichkeit der Scheidung im Falle einer inoffiziellen Heirat zugesteht, große Befürchtungen aus: Die Scheidungsrate werde in die Höhe schnellen, die Familie sei in Gefahr, hieß es nicht nur von islamistischer Seite.

Noch wenige Tage vor der Diskussion des Entwurfes im Parlament forderten 31 islamische Gelehrte der Al-Azhar-Universität vom Präsidenten, die Verabschiedung des Gesetzes zu verschieben, bis eine neue Kommission überprüft habe, welche der Regelungen überhaupt mit der Scharia zu vereinbaren seien. Dabei war diese Frage schon ausgiebig von der Kommission für legislative und religiöse Angelegenheiten erörtert worden, auch der Großmufti von Ägypten hatte bereits sein Ja-Wort gegeben.

Wenn das Parlament dennoch eine neue Untersuchung und erneute Einschränkungen des Entwurfs erreichen konnte, so lässt das darauf schließen, dass es nicht wirklich um die Konformität mit den »heiligen« Texten ging: Nach Ansicht des Groß-Imams der Al-Azhar-Moschee beispielsweise legt die Scharia fest, dass bei der Khulaa die Frau nur ihre Brautgabe zurückzuerstatten, nicht aber auf sämtliche finanziellen Ansprüche zu verzichten habe. Genau das ist nun aber im Gesetz verankert. Zudem wurde die Möglichkeit der Khulaa auf Drängen des Parlaments weiter eingeschränkt: Je ein Vermittler aus der Familie des Mannes und der Frau müssen nun eingeschaltet werden und über drei Monate versuchen, die Scheidung zu verhindern.

Auch an anderer Stelle wird es Frauen so schwer wie möglich gemacht, sich patriarchaler Kontrolle zu entziehen: Ursprünglich sollte das neue Gesetz Frauen die Möglichkeit geben, ohne Erlaubnis ihres Ehemannes ins Ausland zu reisen. Das erregte den Unwillen vieler der 445 männlichen - gegenüber neun weiblichen - Abgeordneten. »Soll es möglich sein, dass ich eines Morgens aufstehe und meine Frau nicht zu Hause ist, weil sie beispielsweise nach Frankreich gereist ist?« fragte ein Abgeordneter der Regierungspartei NDP. So wurde die alte Regelung, dass eine Frau die Erlaubnis ihres Mannes im Streitfalle nur gerichtlich einklagen kann, beibehalten - nur muss das Urteil nun schneller gefällt werden.

Noch in den fünfziger und sechziger Jahren war es Anliegen des ägyptischen Staates gewesen, Frauenerwerbsarbeit zu fördern. Indem allen HochschulabsolventInnen eine staatliche Anstellung zugesagt und zugleich Bildungs- und Sozialsystem ausgebaut wurden, erhielten tatsächlich viele Frauen feste Stellen. Der Mutterschutz wurde verbessert und größere Fabriken wurden verpflichtet, Kinderbetreuung zu gewährleisten. Doch mit wirtschaftlichen und politischen Krisen, dem Erstarken islamistischer Bewegungen und der Durchführung von Strukturanpassungsmaßnahmen schränkte der Staat seit den Siebzigern seine Unterstützung für Frauenerwerbsarbeit stark ein.

Zwar erließ Präsident Anwar Sadat 1979 auf Betreiben seiner Frau Jihan und einiger Frauenorganisationen ein Gesetz, das Frauen das Recht zusprach, über eine Zweitehe ihres Mannes informiert zu werden und im Scheidungsfalle die eheliche Wohnung zu übernehmen. Dies löste jedoch große Proteste aus, das Gesetz wurde schließlich 1985 modifiziert, Frauen das Recht auf die Wohnung wieder abgesprochen. So ist kaum verwunderlich, dass auch die Reformen des Personenstandsrechts einer so langen Vorbereitungszeit bedurften.

Feministische Gruppierungen wurden nicht in die Debatte einbezogen. Das immerhin könnte sich in Zukunft ändern. Paternalistisch verkündete die Frau des Präsidenten, Suzanne Mubarak, kürzlich die Schaffung eines Nationalrats für die Frau - als »Geschenk, das ich jeder Frau anlässlich des neuen Jahrtausends mache«. Der Rat, der künftig bei Gesetzesänderungen konsultiert werden will, soll u.a. Programme zur Alphabetisierung von Frauen ausarbeiten. Tatsächlich stellt seine Gründung, an der auch feministische Organisationen beteiligt sind, einen kleinen Fortschritt dar: Bisher gab es nur eine Frauenkommission - im Rahmen des Nationalrats für Kindheit und Mutterschaft.