Interventionen des Westens in Afrika

Das Imperium kehrt zurück

Einige Jahre lang hielt sich der Westen von afrikanischen Kriegen fern - nach der britischen Intervention in Sierra Leone könnte sich das ändern.

Es war nicht das erste Mal, dass UN-Generalsekretär Kofi Annan das Scheitern einer UN-Mission in Afrika einräumen musste: »Im Rückblick auf die jüngsten Ereignisse ist es offensichtlich, dass die Vereinten Nationen Lehren aus ihren Erfahrungen in Sierra Leone ziehen müssen.« Nachdem Kämpfer der von Foday Sankoh geführten Vereinigten Revolutionären Front (RUF) Anfang Mai mehr als 500 UN-Soldaten gefangen genommen hatten, übernahm eine Koalition aus Großbritannien, Nigeria und den Milizen des Präsidenten Tejan Kabbah das Kommando und begann eine Gegenoffensive.

Anfangs hatten UN-Vertreter diese Eigenmächtigkeit kritisiert, da sie den Bestimmungen des am 7. Juli 1999 in Lomé geschlossenen Friedensabkommens widerspreche und das Leben der gefangenen UN-Soldaten gefährde. In seiner Erklärung vom 24. Mai dagegen sanktionierte Annan den Krieg gegen die RUF. Er mahnte zwar, dass eine dauerhafte Lösung »nicht allein durch militärische Macht erzwungen werden kann«, sah aber keinen Platz mehr für Sankoh in einem künftigen Friedensprozess.

Annan musste sich den Machtverhältnissen im Sicherheitsrat beugen, entsprechend oberflächlich sind seine Reformvorschläge für künftige UN-Missionen: mehr Soldaten, mehr Geld, bessere Ausrüstung und straffere Kommandostrukturen. Seine Ansätze, der UN-Bürokratie mehr Autonomie zu verschaffen, gleichen dem Versuch des Vorsitzenden einer Aktiengesellschaft, neue Märkte zu erschließen, während die wichtigsten Teilhaber nicht einmal für die Betriebskosten aufkommen wollen und die Firma nur als Tarnunternehmen sehen, das mit seinem guten Namen ihre eigentliche Geschäftstätigkeit decken soll.

Unamsil, die UN-Mission in Sierra Leone, sollte eine Truppenstärke von 11 000 Mann erreichen. Der ansonsten recht interventionsfreudige Nato-Block im Sicherheitsrat (USA, Großbritannien, Frankreich) mochte jedoch seiner UN-Resolution keine Soldaten folgen lassen. Nur afrikanische und asiatische Staaten erklärten sich zur Teilnahme bereit. Anfang Mai waren erst 8 700 zumeist schlecht ausgerüstete UN-Soldaten in Sierra Leone stationiert - manche hatten, wie Annan beklagte, nicht einmal eine Uniform dabei.

Den britischen Interventionstruppen dagegen mangelt es an nichts. Vor der Küste liegen ein Hubschrauber- und Flugzeugträger, die Bodentruppen haben genug Ausrüstung mitgebracht, um die Milizen Kabbahs aufzurüsten. Britische Truppen waren an einigen Gefechten beteiligt, im Wesentlichen aber folgt man dem Konzept moderner Söldneragenturen und lässt kämpfen. Britische Offiziere organisieren und leiten die Offensive gegen die RUF und bilden die Truppen Kabbahs aus. Auch in der zivilen Verwaltung nehmen britische »Experten« jetzt wieder hohe Positionen ein.

Großbritannien agierte in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien bislang wesentlich zurückhaltender als Frankreich, und auch der französische Neokolonialismus war seit Mitte der neunziger Jahre auf dem Rückzug. Nach dem Fall der neokolonialen Herrschaftssysteme in Ruanda und Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) hatte man einsehen müssen, dass sich die Politik afrikanischer Staaten nicht mehr mit ein paar Hundert Fremdenlegionären lenken lässt. In vielen afrikanischen Staaten setzte sich eine neue Führungsschicht durch, die zwar eine kapitalistische Politik betrieb, aber auf politischer Unabhängigkeit bestand.

Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte das westliche Interesse an Afrika, abgesehen von einigen wenigen rohstoffreichen Gebieten, stark abgenommen. Es schien, als wolle man sich bei der Kontrolle der afrikanischen Politik allein auf die Zwänge der Verschuldung und des Weltmarktes verlassen. Der Übergang vom Neokolonialismus zum Neoliberalismus wurde vor allem von den USA forciert, die auch in Afrika den Freihandel durchsetzen und neokolonial abgeschirmte Märkte öffnen wollten. Daniel Simpson, der US-Botschafter in Zaire, hatte 1996 gegenüber einheimischen Journalisten erklärt: »Macht, was ihr wollt. Das ist keine strategische Angelegenheit mehr. Die Vereinigten Staaten interessieren sich für Länder, in denen Ordnung, Stabilität und Disziplin herrschen. Der Neokolonialismus ist nicht länger tragbar.«

Doch schon im gleichen Jahr hatte Paul Kagame, der damalige Vizepräsident Ruandas, die westliche Akzeptanz einer unabhängigen afrikanischen Politik angezweifelt: »Sie stehen nun abseits und werden von allem überrascht. Sie sind darüber sehr verärgert, und sie können es nicht einfach hinnehmen.« Die afrikanischen Staaten nutzten die neuen Spielräume in westlichem Stil. Vom Freihandel hatten sich die USA mehr Aufträge und Bergbaulizenzen für US-Konzerne versprochen, doch mittlerweile gab es auch interessierte afrikanische Investoren. Als aus dem Bürgerkrieg im Kongo ein internationaler Konflikt wurde, nutzten die afrikanischen Interventionsstaaten ihren Einfluss, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen.

Ebenso wenig wie westliche Staaten und UN-Bürokratie waren die afrikanischen Regierungen in der Lage, den Zerfall von Nationalstaaten in Warlord-Territorien aufzuhalten. Grundlage für den Aufstieg der Warlords ist die Marginalisierung und Ausplünderung Afrikas in der neoliberalen Weltwirtschaft. Wo Entwicklungsperspektiven fehlen, erscheint der Kampf um die knappen Ressourcen vielen als einzige Alternative. Doch erst wenn zur Armut der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen - »ethnischer« Verbände, aber auch sozialer Schichten wie der Landbevölkerung - von den staatlich verwalteten Ressourcen tritt, eskalieren die Konflikte zum Krieg. Dauerhafte Lösungen würden eine Politik erfordern, die bestehende Herrschafts- und Besitzverhältnisse in Frage stellt, woran westliche wie afrikanische Politiker wenig Interesse haben. Bei der Konfliktlösung setzte man daher auf eine »gerechte« Verteilung von Macht und Pfründen unter den Warlords.

In Sierra Leone hat Großbritannien jetzt eine Abkehr von dieser Politik und eine Parteinahme »der Uno« gegen die RUF erzwungen. Die britische Kanonenbootpolitik zielt auf die Kontrolle der Diamantenabbaugebiete; ob sie auch eine Wende in der westlichen Afrikapolitik markiert, wird sich im Kongo erweisen. Dort haben die westlichen Staaten die afrikanischen Eigenmächtigkeiten bisher mit einer kaum verbrämten Verweigerungshaltung beantwortet. Nachdem afrikanische Interventionsstaaten und kongolesische Bürgerkriegsparteien sich auf einen Waffenstillstand verständigt hatten, sah sich der Sicherheitsrat gezwungen, der Aufstellung einer UN-Beobachtermission zuzustimmen. Die Entsendung der Truppe mit 5 500 Soldaten für die Kontrolle von mehreren Tausend Kilometern Frontlinie wird jedoch mit ständig neuen Bedingungen verzögert.

Auch diplomatische Initiativen der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) finden wenig Unterstützung. Ketumile Masire, der Sonderbeauftragte der OAU, musste sich von der Regierung Botswanas Geld leihen, um seine Reisediplomatie finanzieren zu können - die EU hat die zugesagte Finanzhilfe von 1,7 Millionen Euro bislang nicht ausgezahlt. Wartet man auch hier auf die Gelegenheit für eine »robuste« Intervention?