New Economy für jedermann

Sei kein Slacker, geh zu snacker

Man verkauft nichts und lebt von der Werbung für andere Firmen, die auch nichts verkaufen. So funktioniert New Economy.

Wenn der Hunger kommt, aber man möchte die Wohnung nicht verlassen, dann gibt es in der Regel drei Möglichkeiten: Entweder man hat rechtzeitig eingekauft und braucht nur noch den Backofen anzuheizen und die Pizza auf der mittleren Schiene einzuschieben. Das dauert etwa zwanzig Minuten und ist hopelessly old economy. Oder man greift zum Telefon und ruft Call-a-Pizza an. Das dauert auch zwanzig Minuten und ist immer noch old economy. Oder man gibt seine Bestellung bei snacker.de im Internet auf, und snacker.de schickt ein Fax an Call-a-Pizza. Das dauert länger als zwanzig Minuten, ist aber new economy.

Werden Sie Unternehmer! rief der allseits geschätzte Berufsschwabe, Manager und business angel Lothar Späth in der vergangenen Woche den Studenten Passaus zu. Denn wer heute kein StartUp besitzt und nicht spätestens übermorgen an die Börse geht, ist ganz einfach nur zu dumm zum Millionär. Eigenes Kapital, das früher den Unternehmer ausmachte, braucht man in der New Economy längst nicht mehr. Das Kapital lauert an jeder Straßenecke auf Ideen.

Sima Gräfin von Hoensbroech wandte sich mit ihrer Idee ans Venturelab, einen Frankfurter Incubator, der StartUps mit smart money versorgt. Seitdem gibt es snacker.de. Bevor aber snacker.de an die Börse geht, sollte im Interesse der Aktionäre vielleicht die Frage beantwortet werden, wem eigentlich snacker.de etwas verkauft. Dem Pizza-Esser eine Pizza oder Call-a-Pizza einen Kunden? Oder wird snacker.de eine kostenlose Dienstleistung anbieten und sich durch Werbung finanzieren? Diese letzte Business-Methode scheint das eigentlich Neue an der New Economy zu sein: Wertschöpfung aus dem Nichts. Man verkauft nichts und lebt von der Werbung für andere Firmen, die auch nichts verkaufen. Snacker.de wirbt für GMX, GMX wirbt für fireball, und fireball wirbt für snacker.de. Das nennt man E-Commerce.

GMX bietet privaten Internet-Usern einen kostenlosen E-Mail-Service und plante für die vergangene Woche den Börsengang: »Alle 5 Sekunden wird ein Mensch GMX Mitglied. Seit drei Jahren im operativen Geschäft, verfügen wir über umfassende Erfahrungen im Internet-Kommunikationsmarkt. Wir haben die meistbesuchte deutsche Website mit ca. 219 Millionen Seitenabrufen im April 2000 und gelten mit 4,6 Millionen Mitgliedern als führender deutscher e-mail Dienstleister. Derzeit verzeichnen wir täglich bis zu 17 000 Neuanmeldungen. Mit unseren Angeboten für Privat- und Geschäftskunden erwirtschafteten wir im vergangenen Jahr einen Umsatz von 6,5 Millionen Mark.«

Sechs Millionen Aktien wollte man zum Preis von je 18 bis 22 Euro losschlagen. Was den potenziellen Aktionären verschwiegen wurde, mussten sie in der Financial Times nachlesen: »Im Geschäftsjahr 1999 erwirtschaftete GMX einen Umsatz von 6,47 Millionen DM. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen lag im negativen Bereich bei rund minus sechs Millionen DM.« Nach drei Jahren also erreichte die meistbesuchte deutsche Website das, was Lothar Späth die »Ost-Null« nennt: Der Verlust war endlich nicht mehr größer als der Umsatz.

Auf solch prekärer ökonomischer Grundlage den Aktionären mehr als 100 Millionen Euro entlocken zu wollen, erschien einigermaßen unseriös. Als am Anfang letzter Woche die New Economy einen schmerzhaften Kursverfall registrieren musste, wurde der Tag GMX auf unbestimmte Zeit verschoben. Ausgerechnet zur Eröffnung der Internet World Messe in Berlin erschien das Handelsblatt mit der Schlagzeile: »Neuer Markt bricht ein.« Auch andere Börsengänge »dürften sich nach Einschätzung von Analysten nun verzögern. Die Situation wird zusätzlich verschärft durch einen Stimmungswandel gegenüber Internetunternehmen. So hat die Pleite des britischen Online-Modeanbieters Boo.com stark dazu beigetragen. Zuletzt hatten die Analysten von Merrill Lynch nur jedem vierten Internetunternehmen Überlebenschancen eingeräumt. Die Devise heiße 'Raus aus der New Economy', meinte Karl Wilhelm Homburg von der Bankgesellschaft Berlin. Internet werde zu einem Schimpfwort.«

Wer nun aber gehofft hatte, ein paar Backpfeifengesichter von Consors oder AOL auf dem Pflaster des Messegeländes aufschlagen zu sehen, wurde enttäuscht. Die Stimmung unter den Rekordausstellern und den Rekordbesuchern blieb ungetrübt. Nur der Vorstandsvorsitzende des Softwareproduzenten SAP ließ sich am dritten Tag zu einer gemäßigten Journalistenbeschimpfung hinreißen. Volker Wiewer, Mitbegründer und Vorstandsmitglied von eCircle, propagierte unverdrossen seine Business-Idee: einen Informations-Marktplatz im Internet. Wer etwas weiß, schickt eine Mail an eCircle und bekommt dafür viele Mails von anderen Leuten, die auch etwas wissen, zurück. Und am Ende wissen alle mehr. ECircle stellt den Marktplatz zur Verfügung, sortiert und bündelt die Informationen und fügt ihnen sogar noch einen Batzen eigener Weisheit hinzu.

Obwohl Herr Wiewer beteuerte, seine Firma sei durchaus profitorientiert, darf man wohl jede Summe dummen Geldes darauf wetten, dass er bis heute nicht eine Mark verdient hat. Denn eCircle, so las man es in der Zeitschrift E-Commerce unter der Überschrift »StartUps - Millionäre von morgen«, sei eine »GmbH, die mit Venture Capital finanziert wird«, deren Angebot aber »sich derzeit vor allem durch Werbung refinanziert« - obwohl auf ihren Internetseiten so gut wie gar keine Werbung zu sehen ist. Stattdessen finden sich Unmengen nutzlosen Informationsmülls zu solch aufregenden Themen wie Loddar, Schumi, Mölli, Big Brother, Sex, Börse, Kino. Die Frage der Woche aber lautet: »Sollte die Amtszeit des Papstes begrenzt werden?«

Aus der Einsicht, dass die virtuelle Dienstleistungsgesellschaft, weil sie nichts verkauft, auch nichts verdienen wird, entstand nun wiederum eine DotCom. Nämlich »die Zentralbank des Internet«, von der die Welt berichtete: »'Im Internet zu surfen oder herumzustöbern betrachten wir als Arbeit', erklärt der beenz-Manager. E-Work, auf Computerdeutsch. Deren Lohn in Beenz ausgezahlt wird, die dann aber auch nur im Internet ausgegeben werden können. Zum Beispiel für Software, Bücher oder Reisen - falls die Händler die virtuel-le Währung akzeptieren. Über 200 tun das bereits. Rund 300 Millionen Bohnen sind momentan im Umlauf.« Auf die Frage nach ihren Gehaltswünschen, erzählte Lothar Späth, antworteten ihm die jungen willigen Smarties: »Make me a millionaire!« Sie sollten sich alle bei Beenz.com bewerben.

Und wie verhält es sich mit den wirklichen Waren, die in harter Knete bezahlt werden wollen, aber durch kein Telefonkabel passen? »Beim Online-Einzelhandel mit Büchern, Spielzeug, Kosmetik oder Bekleidung, macht sich Ernüchterung breit«, meldete die Welt am zweiten Tag der Internet World Messe. Es »offenbart sich jetzt insgesamt, dass viele Online-Einzelhändler die Größe der Aufgabe unterschätzt haben. Die Unternehmen müssen massiv in die Werbung, in die Distributionslogistik und in qualifiziertes Personal investieren, wollen sie überhaupt eine Chance haben.« Mit anderen Worten: Sie müssen Neckermann werden. Hoffentlich sagt ihnen rechtzeitig vorm Börsengang jemand, dass es Neckermann schon gibt.