Jazz-Labels der siebziger Jahre

Weniger Geld, mehr Probleme

Die Jazz-Labels Tribe, Black Jazz und Strata East versuchten sich in den Siebzigern an Definitionen von künstlerischer Unabhängigkeit.

Die Neunziger waren das Jahrzehnt, in dem der Begriff »Independent« endgültig entwertet wurde. Spätestens mit dem Erfolg von Nirvana und Soundgarden wurde das notorische Finanzproblem vieler Indie-Labels durch einen umfassenden Anschluss-Boom beseitigt. SubPop, Matador und andere verkauften sich für viel Geld an die Industrie oder ließen sich von Major-Labels vertreiben. Das war die weiße Musik, und hier im Gitarren-Sektor hatten sich die anpolitisierten Reste des mit dem Independent-Begriff verbundenen Gut/Böse-Diskurses am hartnäckigsten gehalten.

In den Siebzigern war Unabhängigkeit in der Musikbranche noch ein Politikum, denn die bestehende Infrastruktur arbeitete gegen Labels, die Platten von unbekannten Künstlern in 5 000er-Auflagen verkauften. Das war nirgendwo so evident wie im Jazz. Während in Europa Labels mittlerer Größe wie ECM und MPS mit ihrem genuinen Pioniergeist immer noch versuchten, einen gewissen Pluralismus zu schaffen, polarisierte sich Jazz in den Vereinigten Staaten rigoros in Mainstream und Underground. Entweder man arbeitete als Session-Musiker für eine der vielen Jazzgrößen, stand bei einem einflussreichen Label wie Verve oder Impulse! unter Vertrag, oder man fristete sein Leben Abend für Abend in einem der unzähligen Jazzclubs - die Möglichkeiten waren begrenzt. Wer in diesem Konflikt steckte, kam nur schwer wieder heraus oder wurde sehr schnell wieder vergessen. Selbst so bekannte Eigenbrötler wie Sun Ra mit seinem Arkestra oder der Coltrane-Mitstreiter Pharoah Sanders wurden oft nur als exzentrische Randerscheinungen wahrgenommen.

In der schwarzen Independent-Jazz-Szene kamen noch die üblichen sozialen, kulturellen und politischen Implikationen hinzu, die den Musikern und Label-Betreibern die Arbeit erschwerten. Sie waren marginalisiert und ökonomisch nicht mit den nötigen Produktionsmitteln ausgestattet. Zudem war der Begriff »Business« gerade in der blue-collar-city Detroit stark mit dem Begriff der »Ausbeutung« konnotiert. Business galt als weißer Begriff, der sich mit den Werten der schwarzen Community nicht vertrage.

Das Detroiter Label Tribe war eines der ersten schwarzen Künstler-Outlets, das in den siebziger Jahren eine Ermächtigungsdebatte auslöste, indem es radikal zur ökonomischen Selbstbestimmung aufrief. Solange sie sich nicht aus der ökonomischen Abhängigkeit von der herrschenden Ordnung befreien könne, bestehe für die schwarze Kultur keine Chance, eigenes Bewusstsein und Ausdrucksvermögen zu entwickeln, so die These. »Black Business is to its community's economic power or future as a baby is to its family« war der Leitspruch des 1972 gegründeten Künstler- und Theoretikerkollektivs um Wendell Harrison und Phil Ranelin. Das bedeutete nichts anderes, als dass die Zukunft der schwarzen Community davon abhänge, inwieweit es ihr gelingen könne, die Macht über einen Teil des Produktionsapparats zu gewinnen. Selbstverwaltung und die damit verbundene Freiheit des künstlerischen Ausdrucks sollten die Community in ihrem Fundament festigen.

Noch einen Schritt weiter gingen Harrison und Ranelin 1974 mit dem vierteljährlich erscheinenden Tribe Magazine, »Detroit's first black awareness magazine«, in dem drei Jahre lang gleichermaßen über Wirtschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Bildung und Sport diskutiert wurde, bis man 1977 schließlich vor den ökonomischen Bedingungen kapitulieren und sowohl Magazin als auch Label einstellen musste.

In diesen fünf Jahren aber war Tribe mit nur einer Hand voll Veröffentlichungen für einige der aufregendsten Jazz-Platten dieser Zeit verantwortlich. Und das lag vor allem an der Motorcity Detroit. Die Musiker des Tribe-Kollektivs waren musikalisch stark von der Stadt geprägt. Viele hatten ihr Geld als Studiomusiker für Motown verdient, bis das Label 1970 nach Los Angeles zog. Und kein Jazzmusiker außerhalb des Tribes hätte damals wohl von sich behaupten können, sowohl mit Charlie Parker, Max Roach und Grant Green als auch mit Stevie Wonder, Marvin Gaye und den Temptations auf einer Bühne gestanden zu haben.

Aus dieser einmaligen musikalischen Sozialisation heraus entstand ein dichtes Amalgam aus den freien, in ihrer Extravaganz schillernden Space-Jazz-Entwürfen eines Marcus Belgrave, den fast schon religiösen Soul-Balladen Doug Hammonds und dem schwer groovenden Jazz-Funk des Tribes. Der omnipräsente Einfluss der Motown-Produktionen hob die Arbeit des Tribes von den meisten Jazz-Veröffentlichungen der Siebziger ab. Insbesondere die Stimmen von Phil Ranelin und Doug Hammond hatten den Schmelz der großen Soul-Prediger. Die flirrende, kreisende Spielweise von Flöten, Keyboards, Fender Rhodes und der Bläsersektionen sowie die leichten Afrojazz-Anklänge in der Percussionierung hatten in ihrem Bezug auf musikalische Themen Ähnlichkeiten mit Blaxploitation-Soundtracks. Auf der anderen Seite gab es immer wieder atmosphärische Störungen durch die Bezüge zu den düsteren, gebrochenen Improvisationen Sun Ras, eine Vorliebe, die Harrison als Sessionmusiker für das Arkestra gepflegt hatte.

Tribe war Anfang der Siebziger aber nicht die einzige schwarze Independent-Jazz-Zelle. In Chicago gab es bereits seit 1965 die von Richard Muhal gegründete Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) um das Label Nessa und das Art Ensemble of Chicago, die mit ähnlich radikalen Forderungen an ihre Brüder und Schwestern herantraten.

In New York gab es Black Jazz Records, das Label von Gene Russell und Dick Schory. Black Jazz Records litt unter den gleichen Problemen wie Tribe: Schlechte Vertriebswege, wenig Promotion und kein Geld zeigten ihnen die Grenzen ihrer künstlerischen Unabhängigkeit auf. Wie auch Tribe schaffte es Black Jazz nicht, seine Veröffentlichungen außerhalb seines Territoriums zu verkaufen, weswegen das Label wie auch seine Künstler Mitte der Siebziger sehr schnell wieder in der Versenkung verschwanden. Das Black-Jazz-Logo, der feste Griff zweier zur Verbrüderung gereichter schwarzer Hände, blieb das einzige erfüllte Versprechen dieser Temporären Autonomen Zone. Der Bootleg-Markt versetzte dem privat finanzierten Label schließlich den Todesstoß. 1976 kamen mehr Platten aus den Läden in ihr New Yorker Büro zurück, als sie selbst ausgeliefert hatten. Im selben Jahr starb Russell, worauf Schory das Label nach zwanzig Veröffentlichungen einstellte.

Das New Yorker Label Strata East ist in dieser Reihe das einzige mit positiver Abschlussbilanz. 1970 gegründet, veröffentlichte Strata East in seiner 25jährigen Geschichte über 50 Platten von Musikern wie Gil Scott-Heron, Pharoah Sanders, Clifford Jordan und Harold Vick und bot gleichzeitig unbekannteren Musikern die Möglichkeit, ihr künstlerisches Potenzial auszuspielen. Der Trompeter Charles Tolliver, der zur selben Zeit wie Wendell Harrison in Sun Ras Arkestra gespielt hatte, und Stanley Cowell schafften es, ihre selbst finanzierte Künstler-Plattform auf einem für die damaligen Verhältnisse schier unmöglichen Level zu installieren.

Besonders in der Phase von 1972 bis 1975 war der Katalog Strata Easts eine Ansammlung einiger der profiliertesten Independent-Jazzer der Siebziger. Und diese Musik war hochgradig politisch aufgeladen. Titel wie »Keep on Movin' On«, »Ode to Ethiopia« oder »Freedom Fighters« waren unmissverständliche Mobilisierungspostulate wie von den Message Boards der Black-Power-Bewegungen. Und in ihrer vitalen Dichte und intensiven Seelenbespiegelung hatte das ähnliche Kraft wie die Musik des frühen Archie Shepp. Politisch hatte Strata East immerhin einen kleinen Sieg im Kampf um mehr Selbstbestimmungsrecht gewonnen, auch wenn seine Label-Struktur in der Independent-Jazz-Szene doch ein Einzelfall blieb.

»Message From The Tribe - An Anthology of Tribe Records 1972-1977«, »The Best Of Black Jazz«, »Strata 2 East«. Alle Platten sind bei Universal Sound (Indigo) erschienen.