Das Internet-Fanzine »Blutgrätsche«

Der Tor des Monats

Im Internet-Fanzine Blutgrätsche werden alle Dummheiten rund um den Fußball erbarmungslos geoutet.

Zu den ersten Versuchen, den Fußball nicht mehr ganz so ernst zu nehmen, gehörte das »Fußballballett«, das die ARD 1974 anlässlich der Weltmeisterschaft einführte. Unterlegt mit Musik brachte man damals die Kicker mittels moderner Technik zum Tanzen, lange Zeit war das so populär, dass kaum eine Fußballreportage ohne hin- und herspringende Fußballer auskam. Ernst genommen wurde der Fußball aber trotzdem weiterhin. Die Intellektuellen zogen unverdrossen weiter gesellschaftliche Analogien, über besonders dumme Äußerungen von Fußballern lachte man allenfalls heimlich, und die Kabarettisten, die zu großen Ereignissen wie Welt- oder Europameisterschaften täglich fünf Minuten Witziges über die Kickerei erzählen durften, waren alles Mögliche, nur nicht witzig.

Mit den ersten Fußballfanzines änderte sich das schlagartig. Die Fans berichteten nicht nur darüber, wie sie Spiele, Auswärtsfahrten und Trainingseinheiten erlebten, sondern machten sich auch ziemlich unverhohlen über den Fußball und das Drumherum lustig. Wie Anjo vom Fußballfankurier, der Mitte der Achtziger die Entstehung eines kleinen Handgemenges auf irgendeiner Bundesliga-Tribüne so schilderte: »Das Ganze hat wohl so angefangen: Zwei Gladbacher fühlten sich von drei Offenbachern, die sie irrtümlich für Münchener hielten, beleidigt. Daraufhin mischten sich einige Hamburger ein und mittendrin standen einige Bochumer und waren am Singen. Es kann aber auch alles ganz anders gewesen sein!«

Feste Rubriken wie »Die Autonummer meines Zivis«, Berichte über die Fanszenen in anderen Ländern und Satiren rundeten die kleinen fotokopierten Heftchen ab. Während die ursprünglichen Fanzine-Macher wie Anjo, der wenig später bei der Eintracht das Anti-Rassismus-Projekt »United Colours of Bembeltown« gründete, sich eher als links verstanden, kamen schließlich immer mehr Nazi-Hefte auf. In denen nicht nur abstruse Verschwörungstheorien entwickelt wurden, sondern auch der Fußball sehr ernst genommen wurde.

Die Zahl der Spaß-Fanzines hat dagegen deutlich abgenommen. Mit der Blutgrätsche existiert aber bereits seit zwei Jahren ein Fanorgan, das ausschließlich im Internet präsentiert wird. Während der WM 1998 war der Programmierer Dirk Storck auf die Idee gekommen, ein Internet-Fanzine zu machen. Selbst Fußballfan mit langer Erfahrung - »Mein erstes Spiel? Im TV irgendein Europapokalspiel der Bayern 1973/1974, in echt irgendein Kreisliga B-Spiel des VfL Rheda. Mein erstes Spiel in etwas, das man als Stadion bezeichnen könnte, war das Spiel FC Gütersloh gegen SC Herford (3:2) in der ersten Saison der neu gegründeten Oberliga Westfalen, das Jahr weiß ich gar nicht mehr genau, ich schätze 1978« - begann er mit dem Aufbau der Page, seither wird sie ständig aktualisiert.

Bei www.blutgraetsche.de kann man lernen, Fußball als Spiel zu betrachten, und sich vom Liga-Alltag erholen: Rubriken wie »Der Tor des Monats«, das Tippspiel, die Rubrik »Dumm kickt gut« mit ständig aktualisierten blöden Aussprüchen, flachen Witzen und bedenklichen Aussetzern von Spielern, Funktionären und Reportern (per Newsletter auch im Abonnement) und die gesammelten Anekdoten lassen Niederlagen schnell vergessen. »Vom kleinen versteckten Trikotzupfer bis zum bösen Tritt reicht das Repertoire«, warnt Blutgrätsche vorsorglich. Ganz wie im richtigen Fußballerleben.

Storck vermisste wohl ein Medium neben der offiziellen Berichterstattung, das den Fußball nicht nur aus Fansicht wahrnahm, sondern sich auch mit dessen Hauptbegleiterscheinung, der geballten Dummheit, beschäftigte. Ziemlich erfolgreich, auf 200 000 Page-Impressions pro Monat kommt die Blutgrätsche bereits, obwohl es noch keine nennenswerten Pressereaktionen gab. Auch die Schreiber fand Storck samt und sonders im Internet. Auf die Aufrufe melden sich immer wieder Fans, die gern ihre Sicht der Dinge schildern wollen, im Moment sucht man noch Autoren, die über Cottbus und München 1860, Ahlen, Duisburg, Fürth, Reutlingen, Saarbrücken und die Stuttgarter Kickers berichten wollen.

Unentgeltlich, selbst Dirk Storck verdient trotz reichlicher Bannerwerbung auf seiner Site »so gut wie nichts« mit der Blutgrätsche. Auch um Pressekarten, auf die die meisten Fanzinemacher so scharf sind, hat er sich noch nie bemüht. Neben seinem Beruf steckt er viel Zeit in die Page. »Der wöchentliche Aufwand liegt bei zehn bis 20 Stunden«, sagt Storck. »Es gibt keinen festen Redaktionsschluss. Wenn ich Beiträge geschickt bekomme, versuche ich, sie bis zum nächsten Morgen online zu stellen.« Obwohl er keine »offiziellen Regeln für den Inhalt aufgestellt« hat, gibt es doch Dinge, die er nicht veröffentlichen würde: »Pornografie, rechte Propaganda oder Beleidigungen von nicht-prominenten Privatpersonen« haben bei der Blutgrätsche keinen Platz, »ich lese alles genau durch, bevor es ins Netz kommt«.

Schmähungen dummer Fußballer sind jedoch ausdrücklich erwünscht, beim »Tor des Monats« langt man ganz gut zu. Storcks Lieblingstoren aller Zeiten stehen jedoch schon lange unverrücklich fest: »Lothar Matthäus, der sich in seiner gesamten Karriere für keine Peinlichkeit zu schade war, und Jürgen Wegmann, der wahrscheinlich der dümmste Spieler ist, der jemals für einen Erstligisten auflaufen durfte.«

In der umfangreichen, mehrmals wöchentlich aktualisierten Zitatsammlung steht natürlich auch Wegmanns Klassiker: »Erst hat man kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu.« Der Blutgrätsche-Macher mag jedoch diesen Spruch von Thomas Häßler am liebsten: »In der Schule gab's für mich Höhen und Tiefen. Die Höhen waren der Fußball.«

Die Rubrik Flachwitzer versammelt mehr oder weniger gelungene Witze wie den folgenden: »Ein FC St. Pauli-Fan betritt eine Kneipe und ruft: 'Hey, Männer, wer will einen super HSV-Witz hören?' Am Tresen dreht sich daraufhin ein riesiger Kerl um und sagt: 'Ich bin 188 cm groß, wiege 110 kg und bin HSV-Fan! Der Typ neben mir ist 197 cm groß, wiegt 135 kg und ist HSV-Fan! Und der Typ neben ihm ist 211 cm groß, wiegt 166 kg und ist auch HSV-Fan! Willst du uns den Witz immer noch erzählen?' Darauf der St. Pauli-Fan: 'Ach, lass mal, bevor ich ihn dreimal erklären muss.'« Nur beim Thema Meisterschaft hört für Storck der Spass auf, denn wer Meister wird, ist ihm auch in dieser Saison klar. »Die Bayern, beste Mannschaft, bester Trainer, bestes Management. Ist leider so.«

Vielleicht erklärt das auch seine Antwort auf die Frage nach dem Spiel, das er unbedingt einmal sehen möchte: »Irgendwas ganz Unrealistisches vielleicht, wie: Bayern kann sich am letzten Spieltag eine Niederlage mit acht Toren Differenz leisten, um Meister zu werden, verliert aber mit neun Toren.«

Weil Fußball aber immer noch eine verdammt ernste Angelegenheit ist, müsste die Blutgrätsche doch ziemlich viel Verärgerung auslösen. Oder? »Nein«, meint Storck, es kämen eigentlich nur wenige wütende Reaktionen. »Meistens von Bayern-Fans und Österreichern. Beim Thema Gelassenheit gibt's eindeutig ein Nord-Süd-Gefälle.«