Streit um den designierten Bundestrainer

Daum rauf, Daum runter

Egal wie die Konfrontation zwischen Christoph Daum und Uli Hoeneß ausgeht, einen der beiden wird man vermutlich bald los sein.

Englische Boulevardzeitungsmacher konnten ihr Glück wahrscheinlich tagelang nicht fassen: Kurz vor dem gleichermaßen wichtigen wie prestigeträchtigen WM-Qualifikationsspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft ging die Diskussion um den künftigen Bundestrainer in die wahrscheinlich entscheidende Runde.

»Don't mention the whore!« hatte die englische Sun im Hinblick auf Daums geplanten Englandbesuch ihre Leser gewarnt - und damit an die TV-Serie »Fawlty Towers« erinnert, in der Hoteldirektor Basil Fawlty seinen Angestellten in Erwartung deutscher Gäste einschärft, den Krieg mit keiner Silbe zu erwähnen.

Die Prostituierte wurde dann tatsächlich von niemandem erwähnt, denn Christoph Daum sagte den Besuch des letzten Spiels im Wembley-Stadion kurzfristig ab. Er wolle die Vorbereitungen des deutschen Teams nicht stören, erklärte er. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass er es einfach satt hatte, Fragen beantworten zu müssen. Z.B. die, ob er tatsächlich im nächsten Jahr das deutsche Team trainieren will.

Denn nachdem Interims-Coach Rudi Völler mit dem deutschen Team zweimal hintereinander nicht verloren hatte, waren sich Fans und Experten bereits einig, dass man wohl lieber auf die geplante Verpflichtung von Christoph Daum verzichten solle.

Maßgeblich daran beteiligt waren die Angestellten des FC Bayern München. Hatten Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer der Berufung Daums zunächst noch nachdrücklich zugestimmt - wahrscheinlich auch in der Hoffnung, durch die über kurz oder lang unweigerlich folgende Leverkusener Nachfolgersuche den Rivalen zu schwächen -, so waren sie nun die ersten, die darauf beharrten, dass der mit seinem Team bemerkenswert schlecht in die Saison gestartete Trainer Daum vielleicht doch nicht die richtige Wahl sein könne.

Zu Hilfe kam ihnen dabei vor zwei Wochen der Coach selbst. Nachdem er erfahren hatte, dass der ehemalige Präsident des 1. FC Starnberg, der Immobilienmakler Joachim Kress, Strafanzeige gegen ihn erstattet hatte und eine Illustrierte zu dem Fall recherchierte, hatte Daum nichts getan, um die seltsame Affäre öffentlich zu erklären. Anstatt darauf hinzuweisen, dass Kress der Ex-Mann seiner neuen Lebensgefährtin sei und daher vielleicht ein persönliches Rachemotiv haben könnte, »sprach Daum in einem Interview nebulös von Erpressungsversuchen« (Spiegel). Und deutete an, dass er ja auch nicht unbedingt Bundestrainer werden müsse, wenn sein Privatleben weiterhin in den Schmutz gezogen werde.

Damit brachte er weitere Reporter auf den Plan, die sich weniger um die Richtigkeit der Vorwürfe kümmerten, sondern mehr darüber berichteten, dass gegen Daum tatsächlich wegen Unterschlagung und Betrug ermittelt werde, es geht um Immobiliengeschäfte auf Mallorca. Weitere Personen, alle aus dem Kress-Umfeld, durften öffentlich angeblich ausstehende Provisionszahlungen einfordern oder sogar über Geldwäsche spekulieren.

Daum hatte in der Zwischenzeit seine Meinung über den Bundestrainer-Job wieder geändert. Er werde am 1. Juli 2001 seine neue Stelle antreten. Rudi Völler erklärte zusätzlich, ihm auf jeden Fall Platz zu machen. Damit hätte die ganze Diskussion auch schon vorbei sein können, wenn Uli Hoeneß nicht in einem Interview mit der Welt die charakterliche Eignung Daums in Frage gestellt hätte. Er bezog sich nicht auf die recht dürftigen Vorwürfe des heute in Haft sitzenden Kress. Hoeneß ging - selbstverständlich in nicht justiziablen Formulierungen - gleich in die Vollen. Falls sich die seit langem in der Fußball-Szene kursierenden Gerüchte, dass der Trainer kokse und Bordelle besuche, als wahr erweisen sollten, erklärte er, dann sei Daum als Bundestrainer nicht tragbar.

Das saß. Zumal Hoeneß auch in den Tagen danach keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zurückzunehmen. Er habe damals bei der Ernennung von Erich Ribbeck zum Chefcoach nichts gesagt, begründete Hoeneß seine Äußerungen, nun sehe er es jedoch als seine Pflicht an, nicht länger zu schweigen. Was seiner Meinung nach gegen Ribbeck vorlag, außer dass er ebenfalls einmal Trainer von Leverkusen gewesen ist, erwähnte er nicht. War er im Nebenerwerb Chef eines Schutzgelderpresserrings? Buchhalter eines niederrheinschen Heroinkartells? Am Ende sogar ein Hurenkunde? Nein, nichts von alledem, sondern nur ein schlechter Trainer, jedenfalls according to Bayern München.

Was eigentlich in Bezug auf die deutsche Nationalelf kein besonders verwerflicher Tatbestand ist, aber Hoeneß sah sich verpflichtet, neuerlichen Schaden vom deutschen Fußball abzuwenden. Was ihm zumindest die Öffentlichkeit bisher nicht abnahm: In jeder Umfrage halten ihn mindestens zwei Drittel der Befragten für unglaubwürdig. Nicht nur, weil man mit dem Ex-Nationalspieler seit seinem verschossenen Elfmeter beim EM-Endspiel 1976 in Belgrad gegen die Tschechoslowakei sowieso noch eine Rechnung offen hat, wie empörte Leserbriefe in der Bild belegen.

Die Feindschaft zwischen Daum und Hoeneß hat eine lange Vorgeschichte. Begonnen hatte sie Ende der achtziger Jahre, als Christoph Daum, Trainer beim 1. FC Köln, immer wieder die Bayern und deren Coach Jupp Heynckes angegriffen hatte. Der »Lautsprecher Daum« (Bild) provozierte den Abonnementsmeister immer wieder, bis es im »Aktuellen Sportstudio« schließlich zum Showdown kam. Als Heynckes' Verteidiger agierte damals Manager Uli Hoeneß, der Daums Entgleisungen Punkt für Punkt ansprach und den 1. FC-Trainer ziemlich in Bedrängnis brachte. Spätestens seit diesem Samstagabend war klar, dass sich diese beiden nicht ausstehen können. Am Ende sang das ganze Studio zwar »Zieht den Bayern die Lederhosen aus«, aber Meister wurden die Kölner trotzdem nicht.

»Ich weiche keinen Millimeter«, beharrt Hoeneß nun darauf, dass er lediglich die Wahrheit gesagt habe. »Ich weiß, dass ich im Moment allein stehe. Aber eines Tages wird mir der deutsche Fußball dankbar sein.« Wie ein dankbarer Fußball aussehen mag, erklärte er zwar nicht, aber kaum jemand glaubt, dass der Manager, der Bayern München zum umsatzstärksten deutschen Verein machte, Daum völlig ohne Beweise angegriffen hat.

Journalisten deutscher Boulevardzeitungen berichten privat gern darüber, dass es seit langem Gerüchte über Daums exzessiven Kokskonsum gebe. Jedem, der mit dem Trainer längere Gespräche geführt habe, sei aufgefallen, dass »der Typ beängstigend unter Strom« stehe, selbst wenn es »eigentlich um gar nichts ging«. Bekannt sei das alles schon lange, nur Beweise gebe es offenbar nicht.

Und insgeheim hoffen viele, dass Hoeneß doch noch nachlegt. Zumal sich andere Offizielle merklich zurückhalten. Allein Franz Beckenbauer erklärte nach dem 1:0 gegen England ausdrücklich, die Koksgerüchte seien seit langem bekannt. Dennoch sei er der Auffassung, dass das »jedem seine Privatsache« sei.

Auffällig war auch, dass man bei Bayer Leverkusen sehr lange zögerte, dem Trainer beizustehen. Manager Rainer Calmund griff erst vor wenigen Tagen ein und erklärte, auf Daums Seite zu stehen. Die Strafanzeige kam schließlich nicht vom Verein, sondern vom Coach selbst. Andererseits gibt es bei den Münchner Bayern auch kaum jemanden, der Hoeneß offen unterstützt.

Selbst beim DFB hielt man sich nach einem halbherzigen Versuch, die beiden Kontrahenten zu einem Gespräch zu bewegen, merklich zurück. Als eine Haaranalyse Daums gefordert wurde, mit der bis zu einem Jahr zurückliegender Drogenkonsum nachgewiesen werden kann, erklärten offizielle Verbandsvertreter zwar, dass man das für keine gute Idee halte, schließlich habe Daum sich nicht zu verteidigen, sondern sein Ankläger müsse Beweise vorlegen. Aber insgesamt verhielt man sich weiter abwartend.

Erst nach dem Spiel gegen England ergriff der Verbands-Vize Gerhard Mayer-Vorfelder das Wort und forderte eine Dringlichkeitssitzung der kürzlich gegründeten Task Force. »Ich sehe keine Möglichkeiten, die Sache zu beerdigen. Sie muss ausgetragen werden. Es muss auf den Tisch, wer Recht hat. Und dann müssen gegebenenfalls Konsequenzen gezogen werden.« Gleichzeitig machte er klar, dass Hoeneß seine Drogen-Vorwürfe endlich zu beweisen habe: »Hoeneß hat eine Bringschuld, zu belegen, was er behauptet.«

Auch Schalke 04-Vorstand Jürgen W. Möllemann reagierte plötzlich und forderte einen unabhängigen Sonderermittler des DFB, denn der Verband müsse nun beweisen, »dass er überhaupt noch in der Lage ist zu führen«. Wenn nicht, stehe die gesamte DFB-Spitze zur Disposition.

Nachdem sein Sponsor RWE ihn offenbar gedrängt hatte, erklärte Christoph Daum ebenfalls nach dem Länderspiel, zu einem Drogentest bereit zu sein. Auch werde er die medizinischen Akten zu seinen vier Nasenoperationen veröffentlichen, die auch Untersuchungsergebnisse seiner Nasenschleimhäute enthielten. Kurze Zeit später widerrief Daum.

Uli Hoeneß dagegen beharrte auf seinen Vorwürfen. »In einigen Tagen werden sich sehr viele Leute bei mir entschuldigen müssen«, kündigte er an, ohne gleichzeitig darauf einzugehen, was er als Nächstes plant. Das ist aber auch eigentlich egal: Für diejenigen, die dem deutschen Fußball eher Böses wollen, ist mit dieser Geschichte eine sehr schöne double win situation entstanden. Einen der beiden Protagonisten wird man am Ende der Affäre auf jeden Fall los sein.

Ein koksender Bundestrainer könnte zudem für reichlich Spaß sorgen. Nicht nur, weil die Zahl der Freundschaftsspiele gegen Kolumbien rasant zunehmen würde. Auch die Spannung, ob und wann der Coach an irgendeiner Grenze verhaftet wird, könnte die Fans massenweise ins Wettbüro treiben.