PDS-Parteitag in Cottbus

Blühende Landsmannschaften

Auf ihrem Parteitag eroberte die neue Vorsitzende der PDS nicht nur die Herzen der Basis. Gabriele Zimmer entdeckte auch ihre Liebe zu Deutschland.

Zehn Jahre deutsche Einheit, zehn Jahre PDS. Eigentlich waren die Voraussetzungen am Wochenende in Cottbus bestens, einen Parteitag abzuhalten, der nicht nur den angekündigten Wechsel im Vorstand, sondern auch die von jedem zweiten Redner beschworene »Schärfung des sozialistischen Profils« bringen sollte. Doch es kam anders. Ganz anders.

»Deutschland kann schön sein«, tastete sich Gabriele Zimmer in ihrer Bewerbungsrede zunächst langsam an ein Thema heran, das sie schließlich ganz erfasste - und bei der Wahl zur Parteivorsitzenden mehr Stimmen einbringen sollte, als ihr Vorgänger Lothar Bisky je erreichte. »Ich bekämpfe nicht Deutschland, sondern weil ich es liebe, weil ich möchte, dass es ein menschliches, kulturvolles, gebildetes Land auch in den Augen anderer wird, bekämpfe ich das, was Deutschland nicht als gutes Deutschland blühen lässt.«

Deutschland, Deutschland, und nochmals Deutschland. Schon das Motto des Parteitags hatte Schlimmes befürchten lassen. Bertolt Brechts Worte aus der Kinderhymne, »... dass ein gutes Deutschland blühe«, prangten in großen Lettern über dem Podium, und auch Gabriele Zimmer ließ es sich nicht nehmen, auf der nationalen Frage weiter herumzureiten. »Kann man als Linke in Deutschland so etwas sagen? Öffentlich?«

Sie konnte. Und wer gehofft hatte, bei ihrer Antrittsrede habe es sich nur um den missglückten Versuch gehandelt, der Partei eine eigene Utopie zu zimmern, der musste sich auf der Pressekonferenz eines Besseren belehren lassen. Weshalb sie ihr gutes Verhältnis zu Deutschland denn derart betont habe, wollte eine Journalistin von der neuen Vorsitzenden wissen. »Weil es einfach so ist: Ich liebe Deutschland«, antwortete Zimmer, die es nach eigenem Bekunden »schon immer fasziniert hat«, wie italienische oder französische Linke sich zu ihren Nationen bekennen.

Nicht nur sie. Anita Tack, die brandenburgische PDS-Vorsitzende, eröffnete den Parteitag mit der Mahnung an die Delegierten, das »Lebens- und Siedlungsrecht des sorbischen Volkes« zu verteidigen. Das sind jene 20 000 Menschen in Cottbus und um Cottbus herum, deren Urahnen sich im 6. Jahrhundert in der Region niederließen, und die heute wie Zehntausende andere in der Lausitz um den Verlust ihrer Arbeitsplätze im Braunkohle-Tagebau bangen. Völker, hört die Signale: Wo Stellen abgebaut werden, da darf die PDS nicht fehlen, und wenn dabei noch ethnische Minderheiten diskriminiert werden, dann steht die Partei der Ausgebeuteten und Geächteten erst recht bereit.

Auch die völkischen Minderheiten in den eigenen Reihen können sich, wenn es ihnen an den Kragen geht, auf die Partei verlassen. »Der Parteispitze den Vorwurf zu machen, sie vertrete einen völkischen Antikapitalismus, ist perfide«, schimpfte in Cottbus Bundestagsfraktionschef Roland Claus, nachdem sein Fraktionskollege Winfried Wolf kritisiert hatte, der von Claus, Zimmer und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch verfasste Leitantrag enthalte »Versatzstücke einer Gesellschaftssicht und Kapitalismuskritik, wie sie auch von ganz rechts vorgetragen wird und wie sie als ðvölkischer KapitalismusÐ bezeichnet wird«. Wolf hatte zwar, um den Konflikt zu entschärfen, in einem Leserbrief an das Neue Deutschland gelobt, auf die Wiederholung des Begriffs zu verzichten, doch die Parteiführung gab sich damit nicht zufrieden. »Ein unsäglicher Umgang« sei das, polterte der Europa-Abgeordnete André Brie, »heute alle als Faschisten zu denunzieren«.

»So lange die PDS nicht den Rassismus in den eigenen Reihen bekämpft, werden wir nicht glaubwürdig sein im Kampf um Toleranz und Menschenwürde«, hielt die Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt dem Parteistrategen Brie entgegen. Und auch Wolf wollte nur zum Ausdruck bringen, was selbst Vorstandsmitglieder einräumen, wenn sie vorsichtig von »den Schwierigkeiten des sächsischen Landesverbandes« sprechen: In vielen ostdeutschen Orts- und Kreisverbänden gehört ein »gelasseneres Verhältnis zur Nation«, wie Zimmer es jetzt öffentlichkeitswirksam einforderte, seit Jahren zum guten Ton. »Das Problem ist, dass die Neonazis das ähnlich machen«, gab Wolf zu bedenken, der die »völkstümliche« und »landsmannschaftliche Orientierung« seiner Partei als Angriff auf »das Denken nicht nur der westdeutschen, sondern der gesamten Linken« empfindet. »Die Leute wählen lieber das Original als die Kopie.«

Nicht unbedingt. Denn die so genannten Schwierigkeiten der PDS in Sachsen bestehen weniger darin, sich eindeutig von den neofaschistischen Originalen abzugrenzen, als deren Wandel zu nationalen Sozialisten glaubwürdig zu bestätigen. Peter Porsch, Oppositionsführer im sächsischen Landtag, seit 1990 Chef des Landesverbandes und am Wochenende zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt, spricht versuchsweise von »Fusionen zwischen politischen Lagern«. Der Begriff »völkischer Antikapitalismus«, so Porsch, bringe »einen falschen Zungenschlag« in eine Debatte, die »noch gar nicht richtig begonnen« habe.

In seinem eigenen Landesverband allerdings schon. Bereits 1993 traf sich die Dresdener Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski mit Kadern der Nationalen Offensive, und erst in diesem Frühjahr räumten PDS-Funktionäre im Landkreis Löbau/Zittau dem - inzwischen ausgetretenen - ehemaligen NPD-Vorstandsmitglied Gregor Janik bereitwillig einen Gesprächstermin ein (Jungle World, 21/00). Selbst die Teilnahme an einem Runden Tisch gegen Gewalt in Zittau wollten PDS-Vertreter Janik anfangs nicht verwehren. Prinzipielle Einwände gegen dessen Eintritt in die PDS hat auch Porsch nicht, selbst wenn ein solcher Wechsel »ein langsamer Prozess wird«, wie er auf dem Parteitag sagte. »Ich kenne ihn ja noch nicht so genau.«

Besser kennen dürfte Porsch Michael Nier, der 1999 die Arbeitsgruppe »Sozialisten in der NPD« gründete. Beide arbeiteten in der DDR als Hochschulprofessoren und waren Mitglieder SED. Doch damit der Gemeinsamkeiten nicht genug: Vor zwei Jahren beteiligte sich der völkische Sozialist an der im Neuen Deutschland geführten Debatte »Wie national muss die Linke sein?« Und vor den Landtagswahlen 1999 kündigte er an, als NPD-Abgeordneter eine Minderheitsregierung der PDS zu tolerieren.

Da selbst Listenplatz Zwei nicht genügte, um den Sprung ins Parlament zu schaffen, wird Nier vielleicht beim nächsten Mal von der sächsischen PDS aufgestellt. Denn obwohl er noch Anfang September in Berlin mit Franz Schönhuber und Horst Mahler für die NPD geworben und gegen ein Verbot der Partei protestiert hatte, berichtete die Sächsische Zeitung am letzten Freitag, Nier sei inzwischen ausgetreten.

Vielleicht hatte er ja am Wochenende Zeit, sich die Berichte aus Cottbus im Fernsehen anzuschauen. Dann hätte er Zimmers Vision von der »Volkspartei PDS« durchaus als Einladung verstehen können: »In der PDS sind - wie in anderen Parteien auch - Menschen aus allen Kreisen und Schichten, mit unterschiedlichen Sichten und Charakteren, mit unterschiedlichen Vorstellungen von Leben und Zukunft. Weil das so ist, deshalb sind wir mitten in der Gesellschaft und nicht etwa an deren Rande.« Nur eines dürfte Nier irritiert haben. Auf die Frage, wen sie mit ihren Deutschland-Bezügen eigentlich erreichen wolle, stellte die neue Vorsitzende unmissverständlich fest: »Ich möchte damit aber keine nationalistischen Wähler ansprechen.« Angesprochen fühlen sich die nämlich von ganz alleine.