Abbau von Überkapazitäten in der deutschen Stromwirtschaft

Eon macht das Licht aus

»Der Atomkonsens entfaltet seine erwünschte Wirkung«, jubelte Bundesumweltminister Jürgen Trittin in der vergangenen Woche. Als Beweis diente ihm die Meldung, dass die beiden größten deutschen Energiekonzerne Eon und RWE demnächst einige Kraftwerke abschalten werden, darunter das AKW in Stade und der nie ans Netz gegangene Atomreaktor in Mülheim-Kärlich. Freilich hat die angekündigte Stilllegung - fast ein Dutzend Gas- und Kohlekraftwerke sind betroffen - mit dem Atomkonsens nichts zu tun. Was die Konzerne da machen, ist dem Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Jörg Pluta, zufolge nichts als »nackte Betriebswirtschaft«: »Die Unternehmen verbessern ihre Kostenstrukturen. Das wird sich positiv auf den Konzerngewinn auswirken.«

Schließlich herrscht auf dem deutschen Strommarkt, so wie in vielen europäischen Nachbarländern, ein immenser Überschuss. Rund 10 000 Megawatt an Überkapazitäten soll es allein in Deutschland geben, in Europa insgesamt stolze 40 000.

Und wo das Angebot zu groß ist, sinkt auch der Preis. Die Liberalisierung des Strommarktes tut da ein Übriges. Höchste Zeit also für die Konzerne, dafür zu sorgen, dass der Strompreis und die Rendite der Shareholder wieder steigen. Was liegt da näher, als längst unrentabel gewordene Anlagen abzuschalten - das zweitälteste deutsche AKW beispielsweise, vor allem aber herkömmliche Kraftwerke? Siemens-Chef Heinrich von Pierer zufolge wird die Stilllegung vor allem eine Wirkung haben: In Zukunft werde noch mehr billiger Atomstrom aus Frankreich und Osteuropa importiert.

In einer anderen Beziehung hat der Atomkompromiss tatsächlich seine erwünschte Wirkung entfaltet. Ihm ist es zu verdanken, dass die Grünen ihren Frieden mit der Energiewirtschaft geschlossen haben. Was früher abgehalfterten Politikern aus CDU, CSU, FDP und SPD vorbehalten war, winkt neuerdings auch manchen Grünen: ein lukrativer Job in der Stromindustrie. So durfte Anfang des Monats die ehemalige Parteisprecherin Gunda Röstel auf einem Managerstuhl der Firma Gelsenwasser Platz nehmen. Dass dieses Unternehmen eine Tochter des AKW-Betreibers Eon ist, ficht Röstel nicht an. Der Atomausstieg sei für sie nie ein ideologisches Thema gewesen, erklärte sie. »Da bin ich als Ostdeutsche vielleicht pragmatischer.«

Und wegen des grünen Pragmatismus läuft für die Stromwirtschaft auch sonst alles nach Plan. Presseberichten zufolge soll schon an diesem Mittwoch der nächste Castor-Transport rollen - aus dem AKW Philippsburg in die Plutoniumfabrik La Hague. Am Wochenende wurde zwar gemeldet, dass sich die Transporte vermutlich verzögern würden. Doch auch das ist weder Umweltminister Trittin noch dem Atomkonsens zu verdanken. Schuld ist vielmehr Frankreich.

Die Regierung in Paris verlangt, dass zunächst der in La Hague bereits aufbereitete deutsche Atommüll zurückgeholt wird, der dort seit zwei Jahren lagert. Nach Angaben aus Paris hat sich die Bundesregierung zum Rücktransport noch in diesem Jahr verpflichtet. Trittin dagegen erklärte am Wochenende, niemand könne sagen, ob es vorm nächsten Frühjahr Transporte geben werde. Der Umweltminister kann es sich leisten, auf Zeit zu spielen: Der Atomkompromiss erlaubt Castor-Transporte bis Juni 2005.