Filmbuch zu Abel Ferrara

Kain und Abjekt

Ein Essay-Band wagt Expeditionen in die Welt des Regisseurs Abel Ferrara.

Achtzehn Kinofilme hat Abel Ferrara bisher gedreht. Einige wurden preisgekrönt, und zu seinen Schauspielern zählen so bekannte Leute wie Mathew Modine, Madonna, Vincent Gallo, Kelly McGillis und nicht zuletzt Christopher Walken. Postmoderne Eklektizisten wie Quentin Tarantino guckten ihm die Idee ab, Harvey Keitel zu besetzen oder Drehbücher nach Elmore Leonard zu verfilmen. Und mit ihren ironischen Produktionen drängten sie seinen melodramatischen Stil, der nichts weniger als komisch ist, nach und nach ins Abseits. Vorläufiger Höhepunkt dieser Karriere aus Achtungserfolgen und Kassenflops: »New Rose Hotel« (1998) hat immer noch keinen Verleih.

Obwohl Ferrara also eher in der Videoverwertung als auf der Leinwand eine Rolle spielt, widmet ihm der Schüren-Verlag jetzt einen Band und stellt ihn damit in eine Reihe mit großen Regisseuren wie David Lynch oder Stanley Kubrick. Gemeinsames Anliegen der Autoren ist zunächst die Rehabilitation der drastischen Bilder Ferraras und seiner fragmentierenden Dramaturgie. In dem ausgezeichneten einleitenden Essay der Herausgeber verwerfen diese die Idee der Kohärenz und verweisen stattdessen auf Julia Kristevas Begriff des »Abjekt« als »das radikal von der Gesellschaft verworfene Andere, das Vernarbte, Süchtige, das Nächtliche, das Gewimmel verlassener Körper, die von dem einzigen Verlangen besessen sind, gegen alles und nichts zu revoltieren, zu überdauern und doch zu vergehen - kurzum: das Apokalyptische, in dem sich die Wahrheit des Menschen zeigt«. Besser sind Ferraras Filmwelten kaum zu beschreiben. Aber damit ist auch die Schwierigkeit benannt, dieses ausufernde und verwirrende Werk zu gliedern.

Verschiedene AutorInnen wurden mit unterschiedlichen Teilaspekten wie Sexualität, die Rolle der Stadt New York, Filmmusik etc. betraut. So untersucht Jürgen Felix in seinem Text die Parallelen zwischen Ferraras Verhältnis zum Katholizismus und Kierkegaards Theologie und weist nach, dass Ferraras Anti-Helden wie der Bad Lieutenant (Harvey Keitel), der King of New York (Christopher Walken) und, einem Hinweis aus diesem Film folgend, vor allem Lili Taylor in »The Addiction« von derselben Voraussetzung wie Kierkegaard ausgehen - der »Krankheit zum Tode« als existenzialistischer Einsicht und Haltung. Nur dass bei Ferrara die Erkrankten Kierkegaards »Sprung« in den Glauben nicht mitmachen, sondern - ganz Abjekt - untergehen.

Leider schenkt Felix der Ironie Kierkegaards keine Beachtung. Dabei ist Ferraras Verhältnis zur Ironie eine Betrachtung wert. Mit der postmodernen Ironie der Coens und Tarantinos hat er weniger zu tun als mit einer anderen, Kierkegaard natürlich unbekannten, der Ironie verwandten Form der Mehrfachcodierung, nämlich der afroamerikanischen Technik des Signifying. Diesen Zusammenhang stellt Andreas Rauscher im Text über die Kooperation Ferraras mit dem ersten Gangster-Rapper Schooly D. her. Rauschers Text ist der interessanteste des Bandes, weil er als einziger den akademischen Rahmen erweitert.

Außerdem wartet er mit ein paar Details, ein bisschen Klatsch, nicht gleich »Hollywood Babylon«, aber wenigstens ein paar Neuigkeiten auf. Zum Beispiel, dass Schooly D erst wirklich an einer Zusammenarbeit interessiert war, als er entdeckte, dass Ferrara seine Lyrics zum Teil besser kannte als er selbst. Oder die Antwort auf die Frage, warum in »Bad Lieutenant« einmal Schooly Ds »Signifying Rapper« eingesetzt und dann offenbar herausgeschnitten wurde. Wegen einer Verfügung von Jimmy Page, der genau das »Kashmir«-Sample nicht freigab, mit dem er später gemeinsam mit Puff Daddy absahnte. Was für ein Sack!

Diese Verbindung zwischen Filmtheorie und Kinopraxis stellen nur die wenigsten Texte her. Schon seltsam, wie wenig die meisten Autoren stilistisch dem druckvollen Gestus ihres Gegenstandes gerecht werden. (Zugegeben, etwas viel verlangt, so zu schreiben, wie Ferrara filmt.) Enttäuschend ist dabei die Wiederholung der immergleichen methodischen Sicht auf die Filme, nämlich vom Bücherregal aus. Und je mehr Theorien aufgefahren werden, desto weniger bleibt von Ferrara übrig. Das gilt auch für den im Ansatz am meisten versprechenden - und umfangreichsten - Text von Josef Rauscher. Der liest »The Blackout« und »Snake Eyes« als Spiel mit den Metaebenen von Realität und Realitätsverlust und würdigt den Umstand, dass postmodernes Filmemachen sich nicht allein durch exzessives Sampling auszeichnet. Leider arbeitet er sich dabei so sehr an der Differenzierung eben dieser Ebenen ab, dass auch hier die Filmwelten Ferraras aus dem Blickfeld zu geraten drohen.

Man nehme etwa Rauschers von Claudia Schiffers Auftritt in »The Blackout« inspirierte Harmonielehre: »Wie Ferrara ihre Schönheit als Dominante in einem Akkord topikalisiert, weiterklingen lässt, während er die Bilder unforciert gerade in Opposition zu der die Warenwelt repräsentierenden und als Ware eingesetzten perfekten Schönheit ins Spiel bringt, das ist beeindruckend.« Das sind Griffe in die muffige Trickkiste des Feuilletons, die uns Georg Seeßlen nie zugemutet hätte. Und sich einen »dekonstruierten Greenaway, gespiegelt an Fellini« vorzustellen, kommt einem eben so überflüssig vor wie die Frage, ob es sich bei »Cat Chaser«, »King Of New York« oder »China Girl« nun um Neo-Noir handelt oder nicht. Eine Frage, die sich Norbert Grob immerhin in einem mehrere Seiten langen Aufsatz stellt, der dabei erkenntnisarm bleibt.

Da ist es umso bedauerlicher, dass die Ansätze aus dem Eingangsessay nicht weiter verfolgt werden. Zum Beispiel die Vorbildfunktion Fassbinders, mit dem Ferrara die Bewunderung für den Melodramatiker Douglas Sirk teilt. Und vor allem die Arbeitsweise. So wie Fassbinders Werk schwer zu würdigen ist, ohne dass man auf Schlüsselfiguren wie Michael Ballhaus, Hanna Schygulla, Kurt Raab oder Uli Lommel eingeht, so wenig macht es Sinn, Ferrara von seinem Clan zu isolieren. Die einzigen, die in dieser Weise gewürdigt werden, sind - neben Schooly D - Christopher Walken und Harvey Keitel (im Aufsatz von Sandra Schuppach), allerdings strikt anhand ihrer Rollen und nie darüber hinaus.

Über Ferraras Drehbuchautor Nick St. John erfahren wir, er sei halt »praktizierender Christ«. Wie aber seine bibelfesten Drehbücher sich dann unter Ferraras Händen zu derart blasphemischen Dramen verwandeln, welche Prozesse und Konflikte dabei wirksam werden, das bleibt ebenso im Dunkeln wie die Bedeutung von, beispielsweise, Zoe Lund, der Hauptdarstellerin in »Ms .45« und Co-Autorin des »Bad Lieutenant«.

Bernd Kiefer/Marcus Stiglegger: Die bizarre Schönheit der Verdammten - die Filme von Abel Ferrara. Schüren, Marburg 2000, 188 S., DM 29