Rechte Gewalt gegen Obdachlose

Opfer ohne Bleibe

Übergriffe von Rechten auf Obdachlose spielten in der sommerlichen Staats-Antifa-Debatte kaum eine Rolle. Selbst die Statistiken müssen die Wohnungslosen selbst erstellen.

Wann ist ein Rechter ein rechter Totschläger? Eine einfache Frage, möchte man meinen, doch manch einer tut sich mit der Antwort schwer. So z.B. die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Schleswig, Ulrike Stahlmann-Liebelt. Als in der schleswig-holsteinischen Gemeinde Anfang September Skinheads auf einen Obdachlosen so lange einschlugen und ihn traten, bis er tot war, wollte die Staatsanwältin den Fall nicht in die Rubrik rechtsextremistisch motivierter Straftaten einordnen. Und das, obwohl selbst die Kriminalpolizei beteuerte, die 23 Jahre alten Männer gehörten der rechten Szene der Stadt an. Stahlmann-Liebelt sah die Sache trotzdem anders: Da die Aktion »nicht bewusst geplant gewesen« sei, könne man den Tatverdächtigen auch nicht unterstellen, dass sie losgegangen seien, »um Obdachlose totzuschlagen«. Vielmehr habe es sich um eine durch »übermäßigen Alkoholmissbrauch eskalierte Streiterei« gehandelt, »die ein fatales Ende nahm«.

Die laxe Haltung der staatlichen Ermittlerin in Schleswig ist kein Einzelfall. Das 45jährige Opfer der beiden Skins - die die Tat inzwischen gestanden haben - war bereits der vierte Obdachlose, der seit Mitte dieses Jahres ermordet wurde. Und in allen Fällen konnten die TäterInnen der rechtsextremen Szene zugeordnet werden.

Dass jedoch der Fall von Schleswig und die drei anderen Morde, die im Juni und Juli in den mecklenburg-vorpommerschen Orten Greifswald, Wismar und Ahlbeck verübt wurden, irgendwann einmal Eingang in die Datei rechtsextremer Straftaten beim Bundeskriminalamt (BKA) finden werden, ist unwahrscheinlich. Denn ausschlaggebend für die Aufnahme in die Datenbank sei nicht, so eine Sprecherin des Amtes, dass die Täter selbst Skinheads seien oder einer Nazi-Organisation angehörten. Entscheidend sei vielmehr das Tatmotiv - und die Aussagen der Täter vor Gericht. In diesem Vorgehen des Amtes dürfte auch einer der Gründe dafür liegen, weshalb die offiziellen Statistiken zu rechtsextremer Gewalt so stark differieren von denen, die beispielsweise die Frankfurter Rundschau und der Tagesspiegel letzten Monat vorlegten. Auch die Tatsache, dass das BKA seine Zahlen nur einmal im Jahr bekannt gibt - das nächste Mal Anfang 2001 - lässt den Beamten statistische Schlupfwinkel offen: Schließlich kann sich so manche Tatmotivation vom Beginn bis zum Ende eines Verfahrens noch gewaltig ändern.

Doch nicht nur rechtsextreme Gewalt gegen Obdachlose klammern die staatlichen Ermittler aus. Offizielle Statistiken, in denen erfasst würde, wie viele von ihnen überhaupt Opfer von Gewalttaten werden, existieren nicht. Und in den Berichten des Verfassungsschutzes der letzten beiden Jahre sind Obdachlose nicht einmal als potenzielle Zielgruppe von rechtsextremen Gewalttätern aufgeführt.

Sogar um die Statistiken müssen sich die Opfer selbst kümmern. Eine von der Berliner Obdachlosenzeitung motz vorige Woche veröffentlichte Chronik kommt auf bundesweit 374 Übergriffe zwischen 1989 und 1993. 253 davon endeten tödlich. Und auch in den Folgejahren nahm die Gewalt nicht ab. Mindestens 276 Angriffe auf wohnungslose Menschen soll es zwischen 1997 und 1999 in ganz Deutschland gegeben haben.

Werena Rosenke, Pressereferentin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsloser, sieht die Motivation der Täter darin, dass sie ihre Opfer als minderwertig betrachten. »Offenbar rechnen die Täter nicht einmal damit, bestraft zu werden.« Darüber hinaus sorgten aber auch die strukturelle Diskriminierung der Wohnungslosen und der öffentliche Diskurs nicht gerade dafür, »dass Obdachlose sich sicherer fühlen oder es weniger Straftaten gibt«.

Verfolgt fühlen sich aber auch die Täter. Nachdem im Juli der Mord an Norberth Plath durch vier junge Rechtsextreme im mecklenburg-vorpommerschen Ahlbeck dafür gesorgt hatte, dass das öffentliche Interesse an der Thematik vorübergehend zunahm, vermuteten die Kameraden dahinter gleich eine Verschwörung. Die Tourismusverbände Schleswig-Holsteins und Niedersachsens sowie die West-Presse hätten sich, so war auf der Internetseite stoertebeker.net nachzulesen, zum Ziel gesetzt, »bei vorher mental weichgeklopften Touristen Angstgefühle zu erwecken und sie statt in den Osten lieber in den sicheren Westen umzuleiten«. Für die Internet-Kameraden ist klar, wovon auch Staatsanwältin Stahlmann-Liebelt ausgeht - wenn auch mit anderer Begründung: »Ein rechtextremistischer Hintergrund« sei »in den wenigsten Fällen« sichtbar, meinen die Neonazis. Vielmehr handelte es sich in allen Fällen »mehr oder minder um Raubmord«, keinesfalls aber um »ein politisches Delikt«.

Eine Einschätzung, die auch die Mehrheit der staatlichen Ermittler teilen dürfte. Denn in der sommerlichen Staats-Antifa-Debatte tauchte eine soziale Randgruppe nie oder fast nie auf: die Obdachlosen. Nur nach dem Mord von Ahlbeck wollten einige Bürger nicht nur verfolgten Ausländern, sondern auch Menschen ohne Wohnung beistehen. Der Schweriner Verein Für Demokratie und Toleranz etwa rief die Aktion Trillerpfeife ins Leben, bei der rund 5 000 Signalpfeifen an Obdachlose verteilt werden sollten. In Gefahrensituationen, so der Vorsitzende Michael Rittmeier im August, könnten die Obdachlosen damit auf sich aufmerksam machen.

Weiter war da nur der Berliner Grünen-Abgeordnete Bernd Köppl: Damit Obdachlose wieder »in der Gesellschaft erreichbar« seien, sollte man sie, so sein Vorschlag, doch mit Mobiltelefonen ausstatten. Was zivile Konfliktschlichtung angeht, haben Grüne eben immer konstruktive Vorschläge parat.