Prozess gegen nigerianischen Schriftsteller

Wie baut man einen Drogenbaron?

Der in Wien lebende nigerianische Schriftsteller Obiora C-Ik Ofoedu wurde wegen Geldwäsche verurteilt. Notizen zu einem kurzen Prozess.

»Unser Angebot: Ein drogenfreies Wien«. Auf diese Parole der Wiener Freiheitlichen stößt man in Österreichs Hauptstadt momentan an jeder Straßenecke. Bereits vor einigen Wochen hatte der Chef der Wiener FPÖ, Hilmar Kabas, »ein sicheres Wien« im Angebot. Beide Botschaften weiß man in Österreich seit langem zu deuten. »Drogenfrei« ist inzwischen zu einem Synonym für »ausländerfrei« geworden, und Sicherheit gibt es nur, wenn man die ausländischen Dealer vertrieben hat. Nicht nur für den Klubobmann der FPÖ, Peter Westenthaler, ist die Zuwanderung in Wien zum zentralen Thema der Politik geworden.

Sicher, drogenfrei, ausländerfrei? Eine jüngst präsentierte Umfrage belegt, dass 66 Prozent der Bevölkerung die »organisierte Kriminalität« für besorgniserregend halten. Ein Ergebnis, das der sozialdemokratische Ex-Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Michael Sika, als einen »persönlichen Sieg« verbuchen konnte. Schließlich hatte er schon vor zehn Jahren vor der Bedrohung durch organisierte ausländische Verbrecherbanden gewarnt und sich den Titel »Erfinder der OK« eingehandelt. Und Sika sorgte auch dafür, dass die OK nicht nur ein juristisch-polizeiliches Konstrukt blieb.

Im Mai 1999 - wenige Wochen nach dem Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma und einer Anzeigenkampagne der FPÖ (»Machtlos gegen 1 000 Nigerianer«) - fand die »Operation Spring« statt (Jungle World, 31/00). In einer der größten Polizeiaktionen der österreichischen Nachkriegsgeschichte wurden unter dem Vorwand der Zerschlagung von Drogenkartellen landesweit Razzien gegen Afrikaner durchgeführt. Mehr als hundert wurden festgenommen, unter ihnen der Schriftsteller Obiora C-Ik Ofoedu.

In seinem während der U-Haft entstandenen Buch »Morgengrauen« schildert er die Umstände seiner Verhaftung: »Es war früh am Morgen (...). Plötzlich ein seltsames Krachen an der Tür. Als ob jemand kämpfen würde. Oder als ob eine Räuberbande angegriffen und mein Vorzimmer erobert hätte. Ich war aus dem Schlaf aufgeschreckt, den Kopf leer, sprang auf die Schlafzimmertür zu. Davor stand eine Gruppe schwer bewaffneter Menschen. Polizisten. Mein Herz blieb stehen, als ein Dutzend von ihnen über mich herfiel, mich auf das Bett zurückwarf, mir Handschellen anlegte.«

Dem Schriftsteller wurde vorgeworfen, mehrere Geldüberweisungen für Leute getätigt zu haben, die im Verdacht stehen, Drogenhandel zu betreiben. Kurz nach seiner Verhaftung galt Ofoedu in der Öffentlichkeit bereits als einer der Drahtzieher des organisierten Drogenhandels, als »afrikanischer Drogenboss«, der für die nigerianische Drogenmafia die Geldwäsche besorgt hatte. Die Beweise gegen ihn waren allerdings mehr als dürftig. Drogen fand man bei ihm nicht, und seine äußerst bescheidenen Lebensverhältnisse hätten den Ansprüchen eines Drogenbarons schwerlich genügt. Blieben noch die verdächtigen Kontobewegungen. Zwar gab es auch für sie eine einfache Erklärung. Ofoedu hatte Geld für Leute überwiesen, die ohne Papiere in Österreich leben und folglich über kein eigenes Bankkonto verfügen können. Aber die »Operation Spring« war offenbar unter Erfolgsdruck geraten, die Verantwortlichen wollten der Öffentlichkeit einen passenden Täter präsentieren.

Es waren vor allem sein antirassistisches Engagement und die daraus resultierenden zahlreichen Kontakte, die ihn für Polizei und Presse zum idealen Verdächtigen machten, seine politische Arbeit, so der Vorwurf, diene ihm dabei zur Tarnung. »Mit einem Plakat des tragisch ums Leben gekommenen Marcus Omofuma demonstrierte der Boss des nigerianischen Drogenkartells mit seinen ðUntergebenenÐ vor dem Innenministerium gegen angebliche Polizei-Übergriffe. Sogar bei dieser Demo soll mit Rauschgift gehandelt worden sein«, schrieb die Kronen Zeitung.

Bereits seit 1998 wird der organisierte Drogenhandel Afrikanern und insbesondere Nigerianern zugeschrieben. In diesem Jahr tauchte das Konstrukt der nigerianischen Drogenmafia zum erstem Mal im Staatsschutzbericht auf. Seitdem wurden polizeiliche Maßnahmen und gezielte Kontrollen nach dem Kriterium der Hautfarbe intensiviert. In der Folge kam es zu einem Anstieg polizeilicher Übergriffe auf Migranten. Erfolge konnten Polizei und Justiz allerdings nicht vorweisen. Es waren allenfalls Kleindealer, die den Fahndern ins Netz gingen. Die Existenz einer nigerianischen Drogenmafia ließ sich durch diese Verhaftungen jedenfalls nicht beweisen.

Mit der Großoffensive »Operation Spring« sollte sich das ändern. »Zu diesem Zweck«, so Christoph Laimer in der Wiener Zeitschrift derive, »erhielten die Drogenfahnder die Möglichkeit, erstmals den Lauschangriff einzusetzen. Eine Überwachungsmöglichkeit, für die die Polizei lange gekämpft hatte. Um das Ziel der Zerschlagung der ðnigerianischen DrogenmafiaÐ zu erreichen, wurde dann die Wahrnehmung jeder alltäglichen Handlung zu einem weiteren Teilchen, das das vorgefertigte Konstrukt scheinbar bestätigte. Am offensichtlichsten zeigt sich dieses fixierte Vorgehen bei Obiora C-Ik Ofoedu, der ohne einen Beweis zum großen Drogenbaron erklärt wurde.«

Über die Dauer von drei Monaten, die Ofoedu in U-Haft verbrachte, konnte die Presse den Fall Ofoedu nach Bedarf ausschlachten. An der dürftigen Beweislage ließ sich indes nichts ändern. Ofoedu musste wieder freigelassen werden. Der zunächst für Anfang September angesetzte Prozess wurde wegen Nichterscheinens eines anonymisierten Zeugen vertagt. Diese nur maskiert auftretenden Zeugen der Anklage sind ein weiteres Novum in den Prozessen, die den im Zuge der »Operation Spring« Verhafteten gemacht werden.

Am vergangenen Freitag nun wurde die Verhandlung gegen Ofoedu fortgesetzt. Nur noch zwei der ursprünglichen Anklagepunkte ließen sich aufrechterhalten: der Vorwurf der wissentlichen Geldwäsche sowie der Vorwurf der falschen Zeugenaussage in einem Parallelverfahren. Zuerst sprechen die Zeugen der Verteidigung. Sie bestätigen Ofoedus Hilfsbereitschaft, er habe Leuten aus der migrantischen Community zum Beispiel bei Behördengängen geholfen, und geben zu Protokoll, dass Ofoedus wirtschaftliche Situation eher bescheidenen ist.

Nach Einvernahme eines anonymisierten Zeugen und einem Disput über die Englischkentnisse der Polizeidolmetscherin, die an der Übersetzung des zweiten Vernehmungsprotokolls mitgewirkt hat, steht das Urteil fest: zehn Monate Haft, die zu einer dreijährigen Bewährung ausgesetzt werden. Der Richter erklärt, er sei davon überzeugt, dass Ofoedu gewusst habe, dass es sich bei den Geldern, die er zwischen 1997 und 1999 transferierte transferierte, um Erträge aus Drogengeschäften gehandelt habe. Freigesprochen hingegen wird Ofoedu vom Vorwurf der Falschaussage.

Die Staatsanwältin kündigte an, in die Berufung zu gehen. Zwar bewegt sich das Urteil am unteren Limit - bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren - , dennoch fällt die Strafe zu hoch aus, als dass Ofoedu eine Chance auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis hätte, falls das Urteil rechtskräftig wird.

Der Prozess gegen Ofoedu ist kein Einzelfall. Während der Gerichtstermin wegen des hohen Bekanntheitsgrades des Angeklagten der Presse immerhin noch eine kurze Erwähnung wert war und ZuschauerInnen bei dem Prozess ohne Beschränkungen zugelassen werden mussten, finden die meisten Verhandlungen der während der »Operation Spring« und nachfolgender Razzien inhaftierten Afrikaner unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Ihre Verfahren gründen zumeist auf einer ähnlich dürftigen Beweislage. Für Afrikaner gilt die Unschuldsvermutung vor Gericht nicht mehr viel. »Bei Afrikanern handelt es sich nicht um Asylwerber, die sich durch ein paar Kugeln (im Mund aufbewahrte Kügelchen, die mit Kokain oder Heroin gefüllt sind; d.R.) das Überleben sichern, sondern um Leute, die extra herkommen, um Geld zu machen«, wie es ein Staatsanwalt in einem Prozess gegen einen mutmaßlichen Dealer formulierte. Viele Urteile stützen sich allein auf Aussagen anonymisierter ZeugInnen, denen wegen des Zeugenschutzprogramms keine Fragen nach den näheren Umständen der Tat und nach Details gestellt werden dürfen.

Der staatliche Rassismus beschränkt sich nicht auf den Gerichtssaal. Fast täglich werden staatliche Übergriffe auf MigrantInnen gemeldet. Letztes Frühjahr starben mehrere Menschen im Polizeigewahrsam. Im Mai wurde Imre B. nach einer Razzia von einem Beamten der mittlerweile aufgelösten SEK erschossen. Dieser rechtfertigte sein Tun mit dem Hinweis, dass es sich bei dem Ermordeten schließlich um einen Drogendealer gehandelt habe.