Die Linke und die EU-Erweiterung

Draußen bleiben!

Der Türkei winkt eine EU-Mitgliedschaft dritter oder vierter Klasse. Massenarmut, nicht Demokratisierung ist von Europa zu erwarten.

Ein Teil Europas werden - endlich scheint sich für die Türkei dieser seit über 150 Jahren gehegte Traum zu erfüllen. Seitdem im Dezember 1999 die europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Helsinki beschlossen, die Türkei als Kandidat für die EU-Mitgliedschaft anzuerkennen, ist am Bosporus ununterbrochen von Europa die Rede. Über Vorteile für die Wirtschaft wird debattiert, über die Demokratisierung der Verhältnisse oder die Freizügigkeit innerhalb Europas.

Auch weite Teile der Linken diskutieren munter mit und sprechen sich für oder gegen einen Beitritt aus, ohne wirklich zu begreifen, was die EU bedeutet. Ignoriert wird dabei, dass die Türkei, wie auch die jüngsten Beschlüsse der EU-Gremien bestätigen, zumindest für die kommenden zehn Jahre keine Aussicht hat, in den europäischen Club aufgenommen zu werden. Bevor auf die Positionen innerhalb der Linken und der kurdischen Bewegung eingegangen werden soll, ist es nützlich, einige Fragen zum europäisch-türkischen Verhältnis zu beantworten: Warum hat Deutschland, das noch 1997 beim Gipfel in Luxemburg von einer türkischen Kandidatur partout nichts wissen wollte, zwei Jahre später seine Position revidiert? Warum setzen sich die USA so vehement für eine Aufnahme Ankaras ein? Und sind tatsächlich die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei das wichtigste Hindernis für einen EU-Beitritt?

Die veränderte Haltung Deutschlands und der übrigen EU-Staaten resultiert aus einem doppelten Zugeständnis. Die Türkei ist eine bedeutende Regionalmacht, die intensive Kontakte in den Balkan, den Nahen Osten, den Kaukasus und nach Zentralasien unterhält. Hätte man dem türkischen Wunsch nicht nachgegeben, hätten die EU-Staaten eine nachhaltige Verschlechterung ihrer Beziehungen zu diesem geostrategisch wichtigen Land riskiert.

Andererseits ist die neue Haltung auch auf den beharrlichen US-amerikanischen Druck zurückzuführen. Schließlich ist Washington darum bemüht, sein Gewicht innerhalb des EU-Blocks zu wahren. Der unter deutsch-französischer Führung begonnene Aufbau einer EU-eigenen Armee könnte sich zu einer ernsthaften Gefahr für den Bestand der Nato entwickeln. Wegen ihrer militärischen Stärke würde sich die Türkei im Fall ihrer EU-Mitgliedschaft an der EU-Armee beteiligen, womit die USA - neben Großbritannien - einen weiteren treuen Verbündeten in der EU postiert hätten.

Die oft bemühten Menschenrechtsverletzungen sind hingegen nur ein Hindernis von vielen. Man darf nicht vergessen, dass nach dem Militärputsch 1980 das Europäische Parlament Verständnis äußerte und Deutschland die Generäle sogar unterstützte. Die größeren Probleme liegen woanders - so in der desolaten Wirtschaft der Türkei.

Zudem würde die Türkei das Machtgefüge innerhalb der Union beeinträchtigen. Die mächtigsten EU-Mitglieder - Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien - sind zugleich die bevölkerungsreichsten Staaten. Im Falle ihrer Mitgliedschaft würde die Türkei als ein ökonomisch schwaches Land über die gleichen Stimmrechte in den EU-Gremien verfügen wie diejenigen Mitglieder, die bisher den Ton angeben. Hier, und nicht bei den Menschenrechten, sind die wirklichen Hindernisse zu suchen.

Eine Integration Ankaras in die bestehenden EU-Strukturen erscheint daher undenkbar. Die Türkei wird vermutlich nur aufgenommen werden, wenn das von Deutschland favorisierte »Europa der zwei Geschwindigkeiten« realisiert wird - dann aber als Mitglied dritter oder vierter Klasse. Eine EU, der die Türkei angehört, wird nicht die heutige EU sein.

Dennoch argumentieren manche linke EU-Befürworter, vor allem aus dem Umfeld der Zeitschrift Birikim, dass allein durch Europa das Land demokratisiert und der Militarismus überwunden werden könne. Von innen heraus sei eine solche Umgestaltung nicht zu bewerkstelligen, da es hierfür an der notwendigen Dynamik fehle. Eine unbegründete Hoffnung. Denn die Türkei deckt einen wichtigen Teil ihres Rüstungsbedarfs mit Waffen aus Deutschland. Jenseits der Probleme, die die Lieferung deutscher Panzer bereiten, kauft etwa die Marine fast ausschließlich und ungehindert hierzulande ein. Auch die in Kurdistan eingesetzten Sonderkommandos wurden zuerst von deutschen Militärs ausgebildet. Die EU ist nicht antimilitaristisch.

Im Gegensatz zu dieser - innerhalb der Linken marginalen - Argumentation ist auf Seiten der EU-Befürworter oft zu hören, dass man einem »Europa der Arbeit« beitreten wolle. Der EU-Beitritt wird begrüßt, zugleich wird erklärt, dass man sich mit der europäischen Linken zusammenschließen müsse.

»Ein Europa der Arbeit gegen ein Europa des Kapitals«, ist eine Formel der linken Parteien innerhalb der EU-Staaten. Allerdings sind bislang darüber hinaus keine konkreten Schritte zu verzeichnen. Innerhalb der EU vegetiert die internationale Solidarität der Arbeitenden auf sehr niedrigem Niveau. So fanden etwa der Streik der Eisenbahner oder die Aktionen der Erwerbslosen in Frankreich in den übrigen EU-Staaten kaum Unterstützung. Es gibt noch nicht einmal eine gemeinsame Gewerkschaftspolitik, von einer europaweiten linken politischen Organisation ganz zu schweigen. Wer, wie die überwiegende Mehrheit der Partei für Freiheit und Solidarität (ÖDP), von einem »Europa der Arbeit« spricht, will einer Fiktion beitreten.

Die relevanten kurdischen Organisationen befürworten allesamt einen EU-Beitritt. Sie gehen davon aus, dass er wenigstens die Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden zur Folge haben werde. Diese Hoffnung ist zwar nicht unrealistisch, die eigentliche Frage aber lautet: Wie weit wird diese Freiheit reichen? Möglich ist die Legalisierung der kurdischen Sprache. Auch kurdischsprachige Medien könnten erlaubt werden, selbst wenn sie nicht völlig von Repressalien befreit werden dürften. Die Anerkennung des Kurdischen als Unterrichtsfach oder gar als zweite Amtssprache jedoch wird von der Regierung und der Armee strikt abgelehnt. So ist - bestenfalls - nicht mehr zu erwarten als eine eingeschränkte Anerkennung der kulturellen Rechte.

Auf der anderen Seiten verweisen linke Kritiker darauf, dass es sich bei der EU um einen Zusammenschluss imperialistischer Staaten handle. Für die Linke sei es inakzeptabel, dem Beitritt zu einer solchen Organisation zuzustimmen - aus welchen Gründen auch immer. Diese in der Linken ebenfalls verbreitete Haltung ist zwar im Kern richtig, bleibt aber zumeist allgemein und oberflächlich. Nur selten werden die sozialen Auswirkungen einer EU-Mitgliedschaft konkret untersucht.

Der gemeinsame Fehler von Teilen der Linken wie der kurdischen Gruppen, die für den EU-Beitritt plädieren, liegt darin, dass sie die EU allein mit der erhofften Demokratisierung oder den so genannten Kopenhagener Kriterien verbinden. Die EU aber bedeutet zugleich den Maastricht-Vertrag, der die ökonomische Grundlage der Union bildet. Da selbst in den wirtschaftlich fortgeschrittensten EU-Staaten Arbeitslosigkeit, Inflation und Billiglöhne zunehmen und Sozialausgaben gekürzt werden, ist es illusorisch zu glauben, der EU-Beitritt könne für den größten Teil der türkischen Bevölkerung soziale und ökonomische Fortschritte bewirken.

Die Proteste der Arbeiter und Angestellten in der Türkei richten sich nicht nur gegen die äußerst geringen Lohnerhöhungen, sondern ebenso gegen den Internationalen Währungsfonds. Zwischen der IWF-Politik und der Privatisierung des Staatssektors und den damit verbundenen Massenentlassungen, der Zurückdrängung der gewerkschaftlichen Organisation, der hohen Arbeitslosigkeit und den niedrigen Löhnen gibt es eine direkte Beziehung. Um ihre hohen Auslandsschulden bezahlen zu können, ist die Türkei gezwungen, sich ständig aufs Neue zu verschulden. Und die internationalen Großbanken machen weitere Kredite von der Erfüllung der IWF-Bedingungen abhängig.

Hinsichtlich der Umstrukturierung der türkischen Wirtschaft gibt es zwischen dem IWF und der EU keine Meinungsunterschiede. Es mag Zufall sein, dass der neue IWF-Präsident ein Deutscher ist, kein Zufall sind die identischen Programme: Privatisierung, Rationalisierung, Entlassungen, Niedriglöhne.

EU und IWF wollen die Türkei dauerhaft als Billiglohnland etablieren. Passend dazu hat die Kinderarbeit in den letzten Jahren stark zugenommen. Das europäische Kapital will in der Türkei Zweigstellen eröffnen, dort mit geringen Kosten produzieren und von dort aus in den Nahen Osten, den Kaukasus und nach Zentralasien exportieren.

Daher gehört der Kampf gegen den EU-Beitritt und das Aufdecken der übereinstimmenden Interessen des dem IWF und der EU zu den wichtigsten Aufgaben der türkischen Linken.

Der Autor arbeitet als freier Publizist zur türkischen Außenpolitik und lebt in Frankfurt/M.