Der menschliche Lebensraum ist nachhaltig beschädigt, so auch die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft

Beschädigte Utopie

Lange Zeit basierte die kommunistische Forderung nach einem besseren Leben für alle auf der Vorstellung eines Lebens im materiellen Überfluss. Die vorangeschrittene Umweltzerstörung fordert eine realistisch angepasste Utopie, die dennoch einiges zu bieten hätte.
Disko Von

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Christian Hofmann ­argumentierte, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind (»Jungle World« 6/2024). Stefan Laurin hält den Versuch, Wachstum zu unterbinden, für besonders deutsche Lustfeindlichkeit (»Jungle World« 7/2024). Leon Maack findet, dass es durchaus Produktionszweige gibt, die weiter wachsen sollten (»Jungle World« 8/2024). Julian Kuppe forderte einen organisierten Widerspruch der Lohnabhängigen gegen die Umweltzerstörung (»Jungle World« 10/2024). Sebastian Müller kritisiert die Vorstellung, dass technologischer Fortschritt die Erderwärmung aufhalten könnte (»Jungle World« 11/2024).

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Die Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass die Umwelt, in der sich menschliche Gesellschaften über Jahrtausende entwickelt haben, in Gefahr ist. Der Klimawandel, das Artensterben, die Erschöpfung, Vergiftung und Erosion des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens sowie andere Formen von Umweltzerstörung bedrohen das Ökosystem. Der Planet wird nicht untergehen, die Menschheit nicht aussterben, aber führende Wissenschaftler:innen wie der britische Klimaforscher Kevin Anderson gehen davon aus, dass die Zivilisation, wie wir sie bisher kannten, untergehen wird.

Wenn Temperaturen wochenlang über 40 Grad steigen, zum Beispiel im Irak, in Indien oder Spanien, werden diese Gegenden ebenso unbewohnbar wie vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohte Küstenregionen. Die Flächen für den Anbau für Lebensmittel werden dramatisch schrumpfen. Der deutsche Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber prognostiziert, dass aufgrund der Veränderungen bis zum Jahr 2100 zwei bis drei Milliarden Menschen ihr Zuhause verlieren werden.

Wenn das eintrifft, könnte die Welt absehbar in die Barbarei stürzen – dann blieben womöglich abgeschottete und autoritär bis faschistisch regierte Festungen der Wohlhabenden inmitten von riesigen Elendszonen, in denen Warlords und Gangs das Sagen hätten. Der ärmere Teil der Menschheit hätte das Nachsehen. Im Ansatz zeichnet sich das bereits ab, die EU hat das Mittelmeer zu einem Massengrab für Geflüchtete gemacht.

Postwachstum wäre unter kapitalistischen Bedingungen nur um den Preis der Verarmung und Verelendung zu haben.

Umweltzerstörung ist als soziale Frage und Klassenfrage zentral für die Gegenwart. Sie resultiert aus der Maßlosigkeit der Kapitalverwertung, wie sie Karl Marx beschrieben hat. Seine Formel G-W-G’ beschreibt die Verwandlungen des Kapitals, die zu dessen immer stärkerer Akkumulation führen. Stofflich bedeutet dieser Prozess, dass immer mehr Energie, Rohstoffe und Flächen verbraucht werden und immer mehr Müll, Gift und Zerstörung zurückbleiben.

Bürgerliche Wachstumskritik bezieht sich lediglich auf die stoffliche Seite, eine ökologisch ignorante Linke nur auf den monetären Aspekt. Dabei ist Wachstumskritik keineswegs eine deutsche Erfindung oder ein deutscher Sonderweg, wie Stefan Laurin an dieser Stelle suggerierte. Ein Meilenstein war der Bericht des Club of Rome »Die Grenzen des Wachstums« (1972), eine Arbeit von US-amerikanischen und norwegischen Wissenschaftler:innen.

Sie appellierten an die Regierungen der Welt, eine kapitalistische Ökonomie ohne Wachstum einzurichten. Autoren wie Murray Bookchin (USA), Ivan Illich (Mexiko) oder Ernst F. Schumacher, der vor dem NS-Regime nach England geflohen war, griffen die Wachstumskritik auf; die jüngere Degrowth-Bewegung ist französischen Ursprungs. In Deutschland gibt es allenfalls minoritäre Strömungen in der Linken oder der Umweltbewegung, die solche Ansichten vertreten. Die Grünen propagieren längst einen ökologischen Kapitalismus.

Dabei muss nicht nur die Produktionsweise verändert werden, sondern auch der mit ihr verbundene Konsum. Es kann nicht einfach immer mehr Güter und Dienstleistungen geben. Einst gingen Marxist:innen und Anar­chist:in­nen von einer Welt des materiellen Überflusses als Basis einer befreiten Gesellschaft aus. Eine sozialistisch-ökologische Linke muss angesichts der ökologischen Grenzen, die sich nun zeigen, mit dem Mangel rechnen. Dabei geht es weniger darum, dass Rohstoffe begrenzt wären, wie bürgerliche Wachs­tumskritiker:innen meinen, als vielmehr darum, dass deren Abbau, Verarbeitung und Vernutzung die Umwelt schädigen.

Um Andersons Forderung zu erfüllen, den Konsum der zehn Prozent der Reichsten zu verringern, bräuchte es Druck und Zwang. Denn keine herrschende Klasse hat bislang freiwillig und kampflos das Feld geräumt, und jede hat Verbündete in anderen Klassen. Die Schrumpfung des Verbrauchs betrifft zwar vor allem die herrschende Klasse mit ihrem enormen ökologischen Fußabdruck, in geringerem Maß aber auch Mittelschichten und Teile der Lohnabhängigen, die in den entwickelten kapitalistischen Ländern seit den fünfziger Jahren einen beispiellosen Wohlstand erleben.

Dazu gehören für eine Mehrheit in entwickelten kapitalistischen Staaten Auto, Fernseher, Wasch- und Spülmaschine, Reisen, der Konsum von Fleisch und Milchprodukten, immer größere und besser ausgestattete Wohnungen, in denen es stets warm ist. Von diesem Konsummodell gehen auch Lohnabhängige und Arme aus. Wer davon ausgeschlossen ist, möchte teilhaben. Dieser Wohlstand ist durch steigende Lebenshaltungskosten ohnehin gefährdet, aber auch durch eine grüne kapitalistische Transformation, insofern als deren Kosten nach unten abgewälzt werden.

Der Kern der Wachstumskritik und die Gemeinsamkeit zwischen ihren verschiedenen Strömungen besagt, dass es global einer Schrumpfung des Verbrauchs an Energie, Rohstoffen und Anbauflächen bedarf, um die Umweltzerstörung aufzuhalten. Wie das zu erreichen wäre, darin unterscheiden sich rechte, konservative, liberale, sozialdemokratische, grüne sowie sozialistisch-ökologische Ansätze, die sich auf die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie stützen.

Während Rechte und Konservative von Verzicht und Maßhalten reden, meinen bürgerlich-demokratische Richtungen, es wäre möglich, Wachstum, ausgedrückt in den Zahlen des Bruttoinlandsprodukts, stofflich als Güter und Dienstleistungen, vom Verbrauch an Rohstoffen und Energie zu entkoppeln. Das hat sich als Illusion erwiesen. Der Verbrauch und die Zerstörung stagnieren oder gehen ein bisschen zurück, einzig wenn die kapitalistische Verwertungsmaschinerie ins Stottern gerät, wie man es im Zuge der Covid-19-Pandemie beobachten konnte.

Daraus ist zu erkennen, dass Postwachstum unter kapitalistischen Bedingungen nur um den Preis der Verarmung und Verelendung zu haben wäre. Diese Form der Schrumpfung könnte aufgrund der Umweltzerstörung, insbesondere des Klimawandels, ohnehin demnächst eintreten. Als Ausweg zu verwerfen sind Phantastereien eines selbstgenügsamen agrarisch-handwerklichen Subsistenz-Ökosozialismus, schon weil für ein solches Modell die Erde zu klein wäre. Ihre Verfechter, wie Saral Sarkar, sind überzeugte Malthusianer, die glauben, es gebe zu ­viele Menschen auf diesem Planeten.

Notwendig ist eine Planwirtschaft, die demokratisch von Belegschaften, Kommunen und Räten geleitet wird, gegliedert nach Branchen und geographischen Einheiten, in denen bestimmte Produkte und Dienstleistungen benötigt und hergestellt werden können.

Ein marxistischer, ökologischer und menschenfreundlicher Ansatz geht davon aus, dass die Kapitalverwertung beendet werden muss, um den Verbrauch an Energie, Rohstoffen und Flächen in einer globalen Gesamtbilanz zu verringern, während es durchaus des Wachstums bedarf, um Milliarden von Menschen aus der Armut zu befreien. Dabei braucht es keinen auto­ritären bürgerlichen Staat, wie der ­antisemitische Ökosozialist Andreas Malm ­suggeriert, der den Kapitalismus ohnehin nur zügeln, aber nicht überwinden will, sondern komplizierte Aushandlungsprozesse, in denen über das Was, Wie und Wo der Produktion entschieden wird. Auch der Selbstverwaltungsgedanke, den Kohei Saito in seinem Buch »Systembruch« (2023) entwickelt, ist darum ungenügend. Sind die Betriebe nur selbstverwaltet, aber die Verteilung der Produkte erfolgt über den Markt, bedeutet das Konkurrenz und Warenproduktion, eine Art Selbstverwaltungskapitalismus also.

Notwendig ist eine Planwirtschaft, die demokratisch von Belegschaften, Kommunen und Räten geleitet wird, gegliedert nach Branchen und geographischen Einheiten, in denen bestimmte Produkte und Dienstleistungen benötigt und hergestellt werden können. Eine solche sozialistisch-­ökologische Gesellschaft wäre technologieoffen, sie würde moderne indus­trielle Methoden nutzen, sofern diese die notwendige Arbeit erleichtern und reduzieren, aber ökologisch verträglich sind.

Um dafür Mehrheiten zu erreichen, bedarf es der Vision eines besseren ­Lebens für alle. Was hätte dieser Entwurf zu bieten? Ein materiell sorgenfreies Leben, in dem viele Bedürfnisse anders befriedigt würden als heut­zutage, also etwa öffentliche Transportmittel statt privater PKW die Mobilität der Menschen bedienten – die Autoproduktion würde um 90 Prozent geschrumpft. Es wäre ein Leben ohne Konkurrenzdruck, Demütigung und Arbeitshetze, mit weniger, aber sinnvoller Arbeit. Es wäre vor allem ein Leben in Muße, um sich und die Beziehungen zu anderen zu entfalten und zu genießen.