Intersexualität in Magdeburg

Eindeutig zweideutig

Auf dem Magdeburger Symposium zum Thema Intersexualität redeten MedizinerInnen und Kulturleute aneinander vorbei.

Hermaphroditen, Zwitter oder Intersexuelle, wie die Medizin geschlechtsuneindeutige Menschen heute nennt, kämpfen seit einigen Jahren um Sichtbarkeit in einer Gesellschaft, die geradezu zwanghaft nach Geschlecht kategorisiert. Während intersexuelle Menschen Aufklärung und freie Wahl der geschlechtlichen Identität auch jenseits der Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Personenstand fordern und ihre Erfahrungen mit der medizinischen Praxis nicht selten mit Begriffen wie »Genitalverstümmelung« oder »Vergewaltigung« beschreiben, herrscht unter MedizinerInnen und PsychologInnen auch weiterhin Einigkeit über den Umgang mit Intersexualität. Wer bei der Geburt nicht eindeutig als Mädchen oder Junge identifiziert werden kann oder beim geschlechtlichen Reifungsprozess von der Norm abweicht, der bzw. die wird eindeutig gemacht.

Operative Eingriffe an den Genitalien mit zum Teil schweren Auswirkungen auf die Psyche, Hormonbehandlungen und jahrelange Pathologisierung durch besorgte TherapeutInnen sind die Folgen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Existenzweisen außerhalb des männlichen oder weiblichen Geschlechts sind nicht vorgesehen.

Doch die Kritik an dieser Praxis wird lauter. Zwitter-Initiativen politisierten den Umgang mit der Intersexualität, MenschenrechtlerInnen stoßen in eine Grauzone medizinischer Verschleierungsstrategien vor, und KulturwissenschaftlerInnen stellen die Idee der Zweigeschlechtlichkeit in Frage. Sie wird nicht länger als etwas selbstverständlich Gegebenes betrachtet, sondern als kulturell reproduzierter Effekt von Wissensorganisation und politisch-sozialen Herrschaftsinteressen verstanden.

Auf dem 45. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, das vom 7. bis zum 10. März zum Schwerpunktthema »Intersexualität« in Magdeburg stattfand, sollte der fachübergreifende Dialog gewagt werden. In der Hoffnung, dass ein Austausch zwischen MedizinerInnen und KulturwissenschaftlerInnen neue Ansätze für die diagnostisch-therapeutische Praxis eröffnet, hatten Klaus Mohnike vom Zentrum für Kinderheilkunde der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Stefanie von Schnurbein vom Nordeuropa-Institut der Berliner Humboldt-Universität WissenschaftlerInnen gebeten, zum Auftakt des Symposiums über die historischen, sozialen und juristischen Dimensionen des Themas zu sprechen.

Gabriele Dietze, die an der Humboldt-Universität in Berlin Amerikanistik und Gender Studies lehrt, referierte über die »Erfindung der Zweigeschlechtlichkeit«. Sie legte dar, welche politischen und ökonomischen Veränderungen dazu geführt haben, die Geschlechterverhältnisse radikal zu polarisieren, und wie mit dem Verweis auf eine behauptete Natürlichkeit weiblicher und männlicher Wesenseigenschaften die soziale Ungleichheit zwischen Frauen und Männern legitimiert wurde. Die Naturalisierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung diente ebenso wie die staatliche Sorge um die Reproduktionsfähigkeit und Gesundheit der Bevölkerung dazu, die ökonomische Basis der frühkapitalistischen Gesellschaft zu stabilisieren. »Gott« wurde als Fixpunkt aller Behauptungen durch »Natur« ersetzt. Intersexuelle wurden zu »Monstern« erklärt, weil sie die »natürliche Ordnung« durchkreuzten.

Das juristische Interesse, die Frage nach dem Personenstand von Intersexuellen zu klären, verband sich mit dem Bedürfnis der Medizin, Normalität zu konstruieren und Abweichungen zu pathologisieren. Intersexualität ist demnach ein Effekt medizinischer Wissensorganisation und ein Phänomen, das erst vom gesellschaftlichen Zwang zur geschlechtlichen Eindeutigkeit zu einer Krankheit gemacht wurde. Medizin kann eben immer nur das erkennen, was eine Kultur auch als Erkenntnis zulässt, deshalb sind medizinische Befunde weder überzeitlich noch überkulturell, sondern kritikwürdig.

Eine Aufgabe, die beim Magdeburger Symposium den ReferentInnen aus dem kultur- und sozialwissenschaftlichen Spektrum zugedacht war. Hanne Loreck, Kunstwissenschaftlerin aus Potsdam, demonstrierte, wie in der Kunst Zweigeschlechtlichkeit parodiert und destabilisiert wird. Ulrike Klöppel, Psychologin an der Universität Potsdam, äußerte Kritik am bisherigen Behandlungskonzept. Während MedizinerInnen betonen, dass der operative Eingriff möglichst früh, also bereits im Säuglingsalter, vorgenommen werden müsse, um den Intersexuellen eine »normale« Kindheit zu ermöglichen, kritisierte Klöppel, dass die Geschlechtsidentität zu einem Zeitpunkt festgeschrieben wird, zu dem der oder die Intersexuelle noch gar keine Vorstellung vom Geschlecht artikulieren kann. Die Medizin fixiere sich auf die Herstellung von Mädchen und Jungen, orientiere sich dabei aber zu wenig an der Lebensqualität. Eine Geschlechtsidentität, wie die Medizin sie definiere, bleibt, so Klöppel, zudem der Vorstellung von Bipolarität und Heterosexualität verhaftet und lasse eine Alternative zum Frau- oder Mann-Sein erst gar nicht denkbar werden.

Konstanze Plett von der Universität in Bremen reflektierte die Debatte auf juristischer Ebene. Ihr Verweis darauf, dass das deutsche Gesetz keine Definition des Geschlechts kennt, ließ Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geschlechtlichen Zuordnung aufkommen. Der operative Eingriffe am neugeborenen Kind kollidiere zudem mit dem Recht des Individuums auf körperliche Unversehrtheit.

Für die Statements von Intersexuellen, den eigentlichen ExpertInnen zum Thema, war dagegen wenig Zeit eingeplant. Helen Guhde von der AIS (Androgyn Insensitivity Syndrome)-Kontaktgruppe »XY-Frauen« kritisierte den verkrampften Umgang mit dem Thema und forderte die MedizinerInnen auf, Intersexuellen und ihren Familien alle verfügbaren Informationen zur Verfügung zu stellen, klare Angaben über verschiedene Möglichkeiten des Vorgehens zu machen und die »Dinge beim Namen zu nennen«.

Nicht auf das Podium geladen waren die VertreterInnen der radikalen, anti-integrativen AgGPG (Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in Pädiatrie und Gynäkologie). Michel Reiter von der AgGPG, der sich strikt gegen den operativen Eingriff an Säuglingen ausspricht und sich gegen jede Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit wendet, fand den MedizinerInnen gegenüber jedoch auch aus dem Auditorium heraus klare Worte: »Etwas kulturwissenschaftliche Bildung könnte Ihnen nicht schaden.« Der innerhalb der sich formierenden Intersex-Bewegung bekannte Aktivist übte zugleich scharfe Kritik am Ausschluss radikaler Intersex-AktivistInnen aus der Veranstaltung.

Dass Reiter mit seiner Kritik am Konzept des Symposiums keinesweg Unrecht hatte, zeigte sich an den Referaten von MedizinerInnen im zweiten Teil. Während sich die Referentinnen aus dem Kulturspektrum noch bemüht hatten, Normalitätskonzepte und Vorstellungen von »Krankheit« kritisch zu befragen, wurde im zweiten Teil ungeniert von »Störungen« und »Fehlentwicklungen« gesprochen. Hatte sich Stefanie von Schnurbein von der Bezeichnung »Betroffene« distanziert und sich selbst als von der medizinischen und gesellschaftlichen Praxis »betroffen« bezeichnet, so wurde nun von »PatientInnen« gesprochen, die unter der ärztlichen »Fürsorge« zu Objekten degradiert wurden.

Einen »streitbaren und konstruktiven Dialog« hatte Schnurbein sich gewünscht. Dazu hätte es allerdings einer besseren Integration der kulturwissenschaftlichen Perspektive bedurft. So war die Idee eines interdisziplinären Streits zwar gut gemeint, führen ließ er sich allerdings nicht. Eine Auseinandersetzung hätte nur dann gelingen können, wenn der Begriff der »Krankheit« in Frage gestellt worden wäre. Ist eine als überdurchschnittlich groß wahrgenommene Klitoris krank oder ist es eine Gesellschaft, die nur zwei Bilder von Genitalien denken kann? Ist es krank, die eigene Geschlechtsidentität als nicht klassifizierbar oder brüchig zu verstehen, oder ist es krank, Menschen ohne ihre Einwilligung zu operieren?

Im konkreten Einzelfall kann wohl nur der oder die Intersexuelle selbst über die eigene geschlechtliche und sexuelle Identität entscheiden. Zuerst aber müsste er oder sie die Chance dazu erhalten.

Unter dem Titel »Patriarchale Herrschaft operiert mit medizinischer Gewalt« ruft ein Aktionsbündnis zum Protest gegen das 4. Symposium für Gynäkologie und Pädiatrie an der Berliner Charité auf. Ziel der angemeldeten Gegenkundgebung ist es, Körpernormierung und Genitalverstümmelung zu skandalisieren. Das aus Transgender-Aktivisten, Zwittern, Krüppeln, Schwulen und Lesben bestehende Bündnis trifft sich donnerstags im Büro für Antimilitaristische Maßnahmen, Berlin, Görlitzerstr. 63, 20.00 Uhr. Die Kundgebung findet am 24. März zwischen 12 und 15 Uhr vor der Charité in der Luisenstraße 5/ Ecke Robert Koch-Platz statt.

Infos unter www.aggpg.de oder Tel. 0421-3762905