»Die UCK entwaffnen!«

Ein Gespräch mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer über die rot-grüne Balkan-Politik

Als der Bundestag im März 1999 über den Einsatz der Bundeswehr gegen Jugoslawien entschied, stimmten Sie mit Nein. Werden Sie auch die Entsendung deutscher Soldaten nach Mazedonien ablehnen?

Das hängt von den Bedingungen in Mazedonien ab. Die Situation dort ist mit der im Kosovo vor zwei Jahren nicht vergleichbar. Man stelle sich nur einmal vor, was passieren könnte, wenn die UCK bewaffnet bliebe. Mit hoher Sicherheit würde der Konflikt weitergetragen in andere Teile Ex-Jugoslawiens. Insofern stellt sich mir vor allem die Frage, warum die Vereinten Nationen erneut nicht einbezogen werden.

Ein Militäreinsatz wird doch dadurch nicht besser, dass er den Segen der Uno hat.

Gäbe es eine Uno-Resolution, ließe sich aber die perverse Situation vermeiden, dass ausgerechnet die Nato die UCK entwaffnet, die vorher vom wichtigsten Teil der Nato - den USA - bewaffnet wurde und wahrscheinlich heute noch von amerikanischen Offizieren instruiert wird. Das politische Problem ist doch, dass die Nato sich über Jahre hinweg als Ordnungsmacht auf dem Balkan profilieren konnte, während die Uno immer stärker marginalisiert wurde.

Warum lehnen Sie einen Einsatz dann nicht ab?

Ich bin für Einsätze gegenüber Kriegsstiftern, wenn sie legitimiert sind und es keine Alternative dazu geben sollte. Meine Ablehnung des Kosovo-Krieges vor zwei Jahren war nie pazifistisch geprägt, und schon gar nicht deutsch-pazifistisch. Die Unterscheidung zwischen einem deutschen, einem russischen oder einem griechischen Soldaten, der in einem Krieg sein Leben lässt, halte ich für untragbar.

Angesichts der deutschen Geschichte auf dem Balkan ist eine differenzierte historische Herangehensweise doch dringend vonnöten.

Aus der Geschichte ergibt sich nicht nur für die frühere Balkan-Okkupationsmacht Deutschland, sondern auch für ehemalige Kolonialmächte wie Frankreich oder Großbritannien ein sensibles Auftreten in allen Regionen der Welt, wo sie früher gewütet haben. Vor dem deutschen Hintergrund gilt dies vor allem gegenüber Serbien. Da hat die Bundesregierung es seinerzeit an Sensibilität eindeutig fehlen lassen.

Heißt das, dass mit dem ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten Milosevic der falsche Mann in Den Haag vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal steht?

Das nicht. Aber es müssten auch diejenigen nach Den Haag überstellt werden, die auf kroatischer, bosnischer und kosovo-albanischer Seite für Gemetzel gegenüber Serben verantwortlich waren. Zwar ist Tudjman tot, aber es gibt auch in Kroatien Mladics und Karadzics. Ich frage mich heute noch, wie man ein Jahrzehnt lang allein die Serben, die ja den größten Bevölkerungsteil auf dem Balkan stellen, stigmatisieren und gleichzeitig hoffen konnte, die Region zu stabilisieren.

War das Ziel der deutschen Außenpolitik nicht eher, Südosteuropa zu destabilisieren?

Ich spreche nicht von gezielter Destabilisierung, sondern von aktiver Mitwirkung unter Missachtung jeglicher historischer Kenntnisse.

Meinen Sie die Gleichsetzung der serbischen Kriegspolitik mit dem Vernichtungskrieg der Nazis, wie Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping sie vollzogen haben?

Das war nur der Höhepunkt. Mir geht es vor allem um die frühe Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die Kohl-Regierung 1991. Begründet wurde das damit, dass Deutschland nach der Erlangung der nationalen Einheit anderen Völkern das Recht auf nationale Selbstbestimmung nicht verwehren könne. Dabei wurde etwas Fundamentales verwechselt: Statt eines demokratischen Selbstbestimmungsrechts wurde ein völkischer Begriff von Selbstbestimmung angelegt, wie er sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat. Das war der Kern des Übels.

Die geplante Ethnisierung der mazedonischen Verfassung und Fischers Diktum von der »offenen albanischen Frage« legen nahe, dass auch die rot-grüne Balkanpolitik von einem völkischen Selbstbestimmungsbegriff geprägt ist.

Meines Erachtens hat man sich von den falschen Prämissen der neunziger Jahre immer noch nicht gelöst. Viele Beamte des Auswärtigen Amtes, die damals an der Entscheidung mitwirkten, haben heute noch Schwierigkeiten, in dieser Frage in sich zu gehen. Das zeigt sich auch daran, dass das Verhältnis zur UCK seit 1999 nie geklärt wurde. Im Gegenteil: Sie wurden weiterhin als Waffenbrüder betrachtet, die besonders pfleglich behandelt gehörten. Und auch wenn im Kosovo offiziell die Vereinten Nationen regieren, hat die Uno-Administration die selbst installierte Regierung de facto anerkannt, obwohl sie von den politischen Nachfolgern der UCK gestellt wird. Das heißt, Nato und Uno haben sie nicht nur gewähren lassen, sondern sie auch nicht, wie beschlossen, entwaffnet. Seitens der Amerikaner ist die UCK sogar bewaffnet worden - und das auch auf mazedonischem Territorium.

Tausend Gründe, gegen einen weiteren Bundeswehreinsatz zu stimmen.

Es kann doch nicht sein, dass der Preis für die Ablehnung eines militärischen Einsatzes so hoch ist, dass die UCK weiter schalten und walten kann, wie sie will. Die ganze Region würde auf diese Weise dauerhaft lebensgefährlich destabilisiert. Außerdem hätten wir es wahrscheinlich bald mit einer staatlichen Institution zu tun, die sich im nahtlosen Übergang zu einer kriminellen Vereinigung befindet.

Warum sollte ausgerechnet jenen Truppen eine Entwaffnung der mazedonischen UCK gelingen, die die Kosovo-UCK zwei Jahre lang gewähren ließen?

Die Alternative dazu wäre, dass man die UCK weiter gewähren lässt und so in immer prekärere Situationen hineingerät. Ein europäischer Pragmatismus müsste es deshalb gebieten, an allererster Stelle mit den USA Tacheles zu reden wegen ihrer Kooperation mit der UCK. Stellen Sie sich doch einmal vor, ein französischer oder ein griechischer Soldat würde von UCK-Kämpfern erschossen und nachher findet sich die Mordwaffe - und die wurde gerade frisch aus Amerika geliefert. Und unter Umständen wird sogar ein UCKler festgenommen, der später behauptet, bis vor zwei Wochen von den USA ausgebildet worden zu sein.

Woraus speist sich Ihre Hoffnung, dass die europäischen Nato-Staaten, die ja ebenfalls beteiligt waren an der augenzwinkernden Kumpanei mit der UCK, es ohne die USA besser machen sollten?

Es darf nicht sein, dass die Amerikaner der UCK bei deren Konflikteskalation helfen, während die EU die Aufgabe übernimmt, die Konfliktschäden zu kompensieren. Das wäre ein Fass ohne Boden. Erstes Handlungsgebot muss es daher sein, die Rolle der USA zurückzudrängen und deren Unterstützung der bewaffneten Separatisten zu unterbinden.

Die UCK wird deshalb noch lange nicht aufhören, mit Anschlägen und Angriffen die Region weiter zu destabilisieren.

Wer weiß, ob die UCK je so zielstrebig vorgegangen wäre, wenn sie nicht die Rückendeckung der USA gespürt hätte. Mit Sicherheit hätte sie nicht so weit gehen können.