Neue Tarife der Bahn

Nur Fliegen ist billiger

Um an die Börse zu kommen, will Hartmut Mehdorn die Hälfte seiner Belegschaft entlassen und für die Benutzer der Bahncard die Preise erhöhen.

Die Umsatzrendite muss bei mindestens neun Prozent liegen. Gute Unternehmen schaffen zwölf bis 14 Prozent«, erklärte Hartmut Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Ende Juni in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Mehdorn lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wie er das Ziel erreichen will. Vorletzte Woche kündigte er die Entlassung von fast 6 000 Mitarbeitern und die Schließung der Hälfte der Instandhaltungswerke der Bahn AG an. Letzte Woche stellte er dann das »neue Preissystem« vor, das ab Herbst 2002 gelten soll. Es bringt neben einigen Verbesserungen vor allem eine Reduzierung des Rabatts der Bahncard auf 25 Prozent.

Was diese Brüskierung seiner drei Millionen Stammkunden soll, fragen sich nicht nur der Fahrgastverband Pro Bahn oder der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschlands (VCD). Sie übersehen dabei völlig, dass Mehdorn ganz andere Ziele im Auge hat. Im Auftrag des Bundesfinanzministers Hans Eichel startet er den dritten Anlauf, die Bahn AG als letzten der großen Staatsbetriebe an die Börse zu bringen. Dafür muss Mehdorn die Bahn aus den roten Zahlen führen und als »das Mobilitätsunternehmen für Deutschland« auf dem Markt platzieren.

Spätestens 2006 droht per Verordnung der Europäischen Union auf allen Strecken der Bahn die Zulassung von Konkurrenten. Andererseits nimmt auch die Bahn AG selbst den gesamteuropäischen Markt in den Blick. Seit Jahren bereitet Mehdorn zusammen mit dem Management der französischen Staatsbahn die Gründung eines europäischen Eisenbahnkonzerns vor. Es ist dann relativ egal, ob die als Aktiengesellschaften geführten Betriebe sich noch ganz, halb oder gar nicht mehr in staatlichem Besitz befinden. Für geschützte Nischenprodukte wie den deutschen ICE von Siemens, die auf nationale Märkte angewiesen sind, ist da kein Platz mehr. In spätestens zehn Jahren soll der neue Euro-Train, eine Kombination aus den besten Bauteilen des französischen TGV und des ICE, auf allen europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken rollen.

Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen vor allem zwei Gruppen bezahlen: die Beschäftigten der Bahn, deren Produktivität durch »interne Rationalisierungen« extrem erhöht werden soll, und der Teil der Kunden, der auf die Bahn angewiesen ist. So kann die Bahn den Rabatt der Bahncard auf 25 Prozent senken und gleichzeitig von ihrem »gesellschaftlichen Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene umzulenken« sprechen. Man möchte vor allem jene 92 Prozent der Bevölkerung als neue Kunden gewinnen, die kaum oder gar nicht mit der Bahn fahren.

Das am letzten Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellte neue Preissystem ist auf diese Zielgruppe zugeschnitten. Zweieinhalb Jahre lang haben die ehemalige Lufthansa-Managerin Anna Brunotte und ihr Team daran gearbeitet. Und so sieht das Ergebnis aus: Kinder bis 14 Jahre reisen in Zukunft in Begleitung eines Erwachsenen umsonst. Der Preis der Bahncard für die zweite Klasse senkt sich auf 120 Mark, für zehn Mark Bearbeitungsgebühr gibt es eine zusätzliche individuelle Bahncard für den Lebenspartner und die Kinder. Fährt man zu mehreren, erhält jeder Mitfahrer 50 Prozent Rabatt. Im Fernverkehr sinkt der Preis pro Kilometer mit zunehmender Entfernung. Kleingruppen können es bei frühzeitiger Buchung auf über 70 Prozent Rabatt bringen. Allerdings haben diese Tickets mit Frühbucherrabatten einen Schönheitsfehler: Sie sind nur erhältlich »solange der Vorrat reicht«.

Die Bahn hoffe mit ihrer neuen Bahncard, der »Mobilitätskarte«, in wenigen Jahren »in 90 Prozent der Haushalte« präsent zu sein, erläutert Marketing-Chef Hans-G. Koch. Mit der »Offensive Bahn« wolle man mit »mehr Kunden mehr Umsatz« erreichen. Das wäre im Gegensatz zur sonst üblichen Praxis im öffentlichen Nahverkehr durchaus lobenswert. Doch für den heutigen Bahncard-Inhaber bedeutet das neue Preissystem de facto eine Preiserhöhung um 50 Prozent, sollte es beim gegenwärtigen Grundpreis bleiben. Und wer will und kann schon sieben Tage im Voraus einen Zug buchen? Im Nahverkehr ist der Vorausbucherrabatt nicht mal vorgesehen. Geschickt wälzte Mehdorn auf der Pressekonferenz das Thema Preisgestaltung des Nahverkehrs auf die Bundesländer und ihre Verkehrsverbünde ab.

Mit seinem bereits mehrfach angewandten PR-Trick, der Öffentlichkeit zunächst die schlimmste Version als unvermeidliche Tatsache zu präsentieren, hat Mehdorn nun die gesellschaftliche Auseinandersetzung eröffnet. Da der Nahverkehr zu zwei Dritteln aus öffentlichen Kassen subventioniert wird, könnten die Bundesländer eine deutliche Absenkung des Grundpreises beschließen. Dann würde »nichts teurer« und einiges »für Millionen billiger«, wie Mehdorn auf der Pressekonferenz versprach.

Die Beschäftigten der Bahn aber sitzen so oder so in der Falle. Da ihre Gewerkschaft, die Transnet, grundsätzlich einer Privatisierung der Bahn zugestimmt hat, kann sie den Personalabbau in den Instandsetzungswerken nur als »überzogen« kritisieren. Dabei halbierte sich in den letzten zehn Jahren die Anzahl der Beschäftigten bei der Bahn von fast einer halben Million auf heute knapp über 200 000. Die Bahn AG will nun noch einmal die Hälfte der Arbeitsplätze abbauen. Mit ihrer kooperativen Grundhaltung hat sich die Eisenbahnergewerkschaft selbst auf das Abstellgleis manövriert.

An seinem Lieblingsplatz im Führerstand eines ICE kann Mehdorn sich nun endlich in aller Ruhe auf den Fernverkehr konzentrieren. Am Horizont erspäht er schon einen fulminanten Börsenkurs, und 14 Prozent Profit rasen auf ihn zu. Wenn nicht wieder ein Zugunglück wegen mangelhafter Wartung dazwischenkommt.