Modernisierung des FC St. Pauli

Wer hat uns verraten?

Sozialdemokraten. Wer verrät uns nie? St. Pauli. Hieß es bislang. Doch der Verein hat die Zeit in der Zweiten Liga genutzt, sich ein wenig anzupassen.

Schwer gepatzt. »Es heißt St. Pauli!« meckern Lars, Heiko und Hendrik. Oder besser noch FC St. Pauli. Der gescholtene Jungle World-Reporter hatte es zuvor gewagt, Deutschlands alternativen Vorzeige-Fußballclub einfach nur Pauli zu nennen.

Ein Sakrileg. Denn Pauli klingt nach Kommerz, Modefan, Boulevardschlagzeile. St. Pauli hingegen ist Kult, ist Anti-Mainstream, ist links. Und Geschichte, betont der scheidende Fanbeauftragte Hendrik Lüttmer im Fanladen bei seinem Wechsel in die Merchandising-Abteilung: »Links ist wohl eher ein Image von früher.«

Das Wörtchen »früher« löst bei gestandenen Fans noch immer wohlige Gefühle aus. 1988 ist der Verein vom Kiez mit Nobodies, die größtenteils im einstigen Rotlichtviertel das Kicken gelernt haben, in die erste Liga aufgestiegen und dort drei Jahre geblieben. Legenden ranken sich seither um den wohl unprofessionellsten Verein im hiesigen Profisport. Ein schwarzer Block aus der Hafenstraße soll die Gegengerade zum antikapitalistischen Podium erkoren haben, Torwart Volker Ippig galt als Systemfeind, Banker umarmten beim Torjubel Punker, und das Besäufnis mit der Mannschaft habe ebenso dazugehört wie die Internationale. Überhaupt skandiert seither das ganze Stadion unentwegt kreative Sprechchöre, und noch heute verwechseln 99 Prozent aller Fans, Spieler und Trainer im Land Vergangenheit und Gegenwart.

Ob Dichtung oder Wahrheit, in den entpolitisierten achtziger Jahren gab es plötzlich einen Fußballclub, dessen Fans links waren, im Stadion »Nazis raus« brüllten, Totenkopf-Kapuzenpullis trugen und sich nicht nur besoffen, sondern auch bekifften. Die gesamte Umgebung nährte diesen Mythos nach Kräften: Ebbe in der Vereinskasse; anstelle eines Stadions eine Bruchbude mit einem Container als Kartenhäuschen in Wurfweite der Reeperbahn; von Nazihools und Geistesverwandten zum Feind erklärt.

Zumindest sportlich scheint sich diese Geschichte jetzt nach jahrelanger Abwesenheit von der Bundesliga zu wiederholen. In der zweiten Liga als Absteiger gehandelt, schaffte St. Pauli mit einem Etat, der selbst von einigen Regionalligisten überboten wurde, im Mai den Sprung ins Oberhaus. 6,5 Millionen Mark - so viel zahlen Spitzenclubs ihrem Mittelstürmer per annum.

Doch obwohl es sportlich wie finanziell an ein Wunder grenzt, dass der Verein nicht längst drittklassig spielt, so backt er jetzt sogar dickere Brötchen. Zum ersten Mal verhängte der DFB keine Auflagen für den Lizenzerhalt. Der Etat verdreifachte sich auf 21 Millionen, immer noch knapp die Hälfte des zweitniedrigsten Erstligahaushaltes (Cottbus). 2,75 Millionen zahlte Manager Stephan Beutel alleine für einen 20jährigen Mittelfeldspieler; ein neuer Stürmer wird gesucht.

Nie zuvor hat der Verein, den jahrelang nur private Darlehen und Geschenke des früheren Präsidenten Heinz Weisener vor der Pleite retteten, so viel Geld für einen Spieler ausgegeben. Anders als in der vorigen Saison, als auf billige, junge Spieler, oft Hamburger ohne Pass, gesetzt wurde, grast der Manager jetzt den gesamten Spielermarkt ab. Bei einem Schuldenstand von 1,35 Millionen ist der Verein nahezu gesund.

Das schrottreife Stadion soll nach zehnjähriger Debatte nach dem Ende der Saison einer 30 000 Zuschauer fassenden Arena weichen. Und dazu passt kein Image, das sich der »Starclub«, wie viele Fans ihn nennen, vor drei Jahren selbst verliehen hat. Was selbstironisch mit dem Bild vom Armenhaus begann - eine Bretterbude zierte Bus, Stadionzeitung und Internetseite -, widerspreche heute dem sportlichen Aufstieg, hieß es zum Wandel. Tatjana Groeteke nennt ihn dagegen »was Neues, das ohnehin geplant war«.

Hauptsache anders. Die 18 100 verkauften Dauerkarten mit Totenkopf sind der Golden Card von American Express nachempfunden. »Faschismus ist keine Meinung ...«, soll auch im neuen Stadion auf einer Bande zu lesen sein. Dass mit Brettern, Sparkurs, Millerntor und Straßenkickern auch das links-alternative Selbstverständnis flöten geht, glaubt der neue Fanbeauftragte Heiko Schlesselmann nicht. »Aber gegen die Kommerzialisierung im Fußball kann man sich auf Dauer nicht wehren.« Positiver Nebeneffekt: »Es ist eben kein Männerprollsport mehr«, sondern ein Event, an dem auch Frauen - bei St. Pauli mehr als 20 Prozent - teilhaben wollen, sagt der Mitarbeiter im Fanladen, der Brutstätte von St. Paulis Differenz.

Der Millerntor-Roar, in Deutschland Mutter aller Fanzines, behaupten Eingeweihte, ist dort ebenso entstanden wie die »Fans gegen rechts«-Spuckis, deren Faust mittlerweile für Vereine aus der ganzen Welt Hakenkreuze zerschlägt. Aktionen wie das Sperren kompletter Fanblöcke für antirassistische Transparente oder die Kampagne gegen von Kinderhand genähte Spielbälle im Roar-Nachfolger Übersteiger hatten dort ihren Ursprung. Erst vor zwei Jahren strich der Verein auf Drängen der Fans das NSDAP-Mitglied Wilhelm Koch aus dem Stadionnamen, Anfang des Jahres sorgte die AG interessierter Mitglieder (Agim) dafür, dass die Geschäftsführung ein Promille des Etats in den NS-Zwangsarbeiterfonds zahlt, obwohl der Verein nie Arbeitssklaven beschäftigt hatte. Im März schließlich gab es eine Aktion gegen Auswärtsflüge mit der Lufthansa, weil die Fluglinie Flüchtlinge abschieben hilft.

Trotzdem gehe das Protestpotenzial stetig zurück, gesteht Heiko Schlesselmann. »Fußballstadien sind Spiegel der Gesellschaft. Früher wollten unsere Fans noch was machen, heute wollen viele nur konsumieren.« Ruhiger, älter, langweiliger seien sie geworden, ekliger die Sprüche. »Schwuchtel«, »Neger«, »Fotze« gehören auch in der als »Zeckentribüne« bekannten Gegengerade wieder zum Vokabular.

»Haraldschmidtisierung« nennt das der neue Fanbeauftragte. Das Problem seien aber nicht die Rufe an sich, sondern die mangelnde Gegenwehr im Block, schrieb der Fanladen in einer Sonderbeilage der Stadionzeitung Ende 2000. In derselben Ausgabe wird dummerweise Max Merkels Bild-Analyse, »der FC St. Pauli ist Viagra für müde Fußball-Fans« sexistisch unterfüttert: Ein paar Seiten weiter fasst sich eine Wonderbra-Blondine für die Lifestyle-Postille »blond« in den Schritt. So ist es eben in der Spaßgesellschaft: Widersprüche müssen ja nicht gleich den Kult töten, und kiffen kann man auch unter Rassisten.

Zu den St. Pauli-Fans gehören mittlerweile auch etwa 200 Skinheads. Keine Nazi-Skins, sondern welche aus der »Oi-« und Red-Sharp-Szene, aber der DFB listet sie unter Kategorie B. Das heißt: »situativ gewaltbereit«.

Trotz aller Normalisierung hat St. Pauli nach wie vor als einziger Bundesligist ein links der Mitte stehendes Fanpotenzial, das bei Auswärtsspielen die örtlichen Szenen mobilisiert, autonome ebenso wie faschistische.

Auch wenn sich die Atmosphäre am Millerntor vor allem aus Erinnerungen speist, ist sie doch geistreicher als anderswo und bezieht klar Stellung gegen Rassismus, Sexismus und Repression. So gesehen, gleicht St. Pauli der PDS auf dem Weg in die Mitte samt widerspenstiger Plattform. Mit dem Unterschied, dass sich die Roten gerade für die Regierung fit machen, während eine Machtbeteiligung der Braun-Weißen im ersten Drittel der Tabelle so wahrscheinlich ist wie ein Bundeskanzler Gregor Gysi.