Amnestie für korsische Nationalisten?

Freiheit für Bombenleger

Seit zwanzig Jahren begehen korsische Nationalisten die »Internationalen Tage von Corte«. 1 500 Menschen kamen am vorletzten Wochenende in der zentralkorsischen Stadt zusammen. Für Schlagzeilen sorgte diesmal, dass die Nationalisten die Situation der von ihnen als politische Gefangene bezeichneten Häftlinge in den Mittelpunkt ihrer Aktionen stellten.

So forderte François Sargentini, einer der Anführer der am 13. Mai dieses Jahres gegründeten korsischen Partei Indipendenza, »die Zusammenlegung der Gefangenen auf Korsika, ihre Befreiung und die Einstellung der Ermittlungen gegen die gesuchten Aktivisten«. Diese Punkte waren bisher in den Verhandlungen, die im Mai zur Verabschiedung eines vorläufigen Autonomiegesetzes geführt hatten (Jungle World, 22/01), ausgeklammert worden.

Die Forderung nach einer Einstellung der Ermittlungen ist höchst umstritten. Beträfe sie doch unter anderem einen Teil des Commandos Erignac, das am 6. Februar 1998 den höchsten Staatsrepräsentanten auf der Insel, den Präfekten Jean-Claude Erignac, erschossen hat. In diesem Zusammenhang hat Premierminister Lionel Jospin letzte Woche eine Amnestie strikt ausgeschlossen. Auch die Zusammenlegung der Inhaftierten in Gefängnissen auf Korsika wird von der französischen Regierung abgelehnt. Das Gefängnis im korsischen Borgo gilt als nicht ausbruchssicher.

Insgesamt 43 inhaftierte Personen werden vom Comité Anti-Répression (CAR) der korsischen Nationalisten als politische Gefangene aufgeführt. Die meisten saßen oder sitzen im Großraum Paris im Gefängnis, wo sie der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft der Hauptstadt für Vernehmungen stets zur Verfügung stehen. Bisher sind acht der Betroffenen rechtskräftig verurteilt worden, nur sie wurden von der Regierung an andere Orte verlegt. Sechs von ihnen sind seit kurzem in der Gegend von Marseille inhaftiert.

Wenn die Nationalisten wegen der Inhaftierten in die Offensive gehen, wollen sie auch die politischen Differenzen überdecken, die in den letzten Wochen nach der Verabschiedung des Autonomiegesetzes zwischen den verschiedenen nationalistischen Fraktionen aufgetreten sind. Uneinigkeit herrscht vor allem in der Bewertung der Attentate im Juli, deren Urheberschaft bisher nicht geklärt ist. Zwei Anschläge galten Vertretern des legal operierenden Arms der Nationalisten, unter anderem dem Anwalt Jean-Guy Talamoni.

Dafür, dass die Debatte um die Forderungen der korsischen Nationalisten viele Zeitungsspalten füllt, sorgen mittlerweile führende Vertreter der französischen Grünen. Ihr ehemaliger Sekretär Jean-Luc Bennahmias, der als Beobachter an den »Internationalen Tagen von Corte« teilnahm, sprach sich für eine Amnestie der gesuchten Aktivisten aus. Unterstützung bekam er am Dienstag letzter Woche von dem Wirtschaftswissenschaftler Alain Lipietz. Er wurde kürzlich von den Grünen zum Präsidentschaftskandidaten nominiert und gehört der Parteilinken an.

Doch Lipietz wurde rasch von Vertretern des Realo-Flügels - wie dem unterlegenen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur Noël Mamère - zur Ordnung gerufen. Mamère will bei Vorwürfen wie Mord und Beihilfe zum Mord eine Amnestie auf jeden Fall ausschließen. Auch die grüne Ministerin Dominique Voynet distanzierte sich von der Forderung nach einer Amnestie, während Talamoni den Vorstoß Lipietz' begrüßte.