Die Folgen der Anschläge auf die USA

Antideutsche mit Burka

Statt ihre Weltbilder zu zementieren, sollte sich die Linke nach dem 11. September auf die mühselige Suche nach Ansätzen emanzipatorischer Bewegungen machen.

Hat eigentlich schon einmal jemand darüber nachgedacht, wie der Anschlag auf das World Trade Center gendertheoretisch einzuordnen wäre? Beispielsweise aus der Sicht eines kritischen Männerforschers? Der Interpretationsrahmen würde ungefähr so aussehen: Das Attentat war ein Angriff auf die hegemoniale Männlichkeit im Neoliberalismus. Wieso? Nun, das WTC als gigantisches phallisches Symbol, das aus dem Zentrum hegemonialer Männlichkeit, dem weißen Amerika, herausragte, wurde im globalen homosozialen Konkurrenzkampf von einer Avantgarde der Vertreter marginalisierter Männlichkeit zerstört.

Das klingt absurd? Ist es auch. Der Vollständigkeit halber sollte diese mögliche Rezeption aber neben den anderen absurden Deutungsschemata stehen, die seit dem 11. September unter den ebenfalls weitgehend homosozialen linken Schreibtischkriegern in Deutschland kursieren. Sie sehen offenbar die Notwendigkeit, sich seit Wochen auf dieser Seite gegenseitig ihre Lieblingshauptwidersprüche um die Ohren zu hauen.

Seit dem 11. September wird in die beiden zerstörten Hochhäuser hineininterpretiert, was das jeweilige ideologische Muster hergibt. So muss das WTC mal als Miss Liberty, mal als Herz des internationalen Finanzkapitals, mal als größter Kapitalistentreff überhaupt, mal als weltweit größte multikulturelle Arbeitsstätte oder aber als quasi wichtigste Vertretung Israels in der westlichen Welt herhalten. Und man vermag schnurgerade daraus abzuleiten, wie sich die radikale Linke zum folgenden Krieg in Afghanistan zu verhalten habe. Dass sich die Wirklichkeit auch nach dem 11. September nicht selten konträr zum eigenen Deutungsdogmatismus verhält, interessiert in diesem ideologischen Handgemenge nur am Rande.

Vor allem zwei Tendenzen sind zu beobachten. Die verschiedenen Ausprägungen antideutscher Argumentation blenden den 11. September als Ereignis ein und die Folgen aus. Dabei sind Israel und »das Judentum« nicht selten endgültig zum Objekt einer an sich wichtigen Auseinandersetzung innerhalb der deutschen Linken um die eigene Vergangenheit geraten. In dieser Logik trugen die Anschläge vor allem einen eliminatorisch antisemitischen Charakter und galten eigentlich Israel. Kritik am Kapitalismus und am Krieg gegen den Terror sei nun nicht mehr angesagt, da es um die Sicherung des Existenzrechts Israels gehe. Dass die Anschläge primär den USA galten, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie die Tatsache, dass die für den Krieg gegen die Taliban geschmiedete Antiterrorallianz unter Einbeziehung der arabischen Staaten den Interessen Israels unübersehbar schadet.

Der schon methodisch falsche Denkansatz vieler Antideutscher, die bis heute sichtbaren Kontinuitäten der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands mit dessen Drang zur permanenten identischen Wiederholung dieser Geschichte zu verwechseln, rückt die Bundesrepublik in die Nähe des radikalen Islamismus. Und außerdem wird ihr so die Rolle des quasi natürlichen Bremsers in der Allianz gegen den Terror zugeschrieben.

Empirische Einzel- und Feinheiten der Tagespolitik scheinen vielen Diskutanten auch nicht so wichtig zu sein, denn es geht ja um die großen Linien. Und innerhalb dieser großen Linien werden schnell mal die politische Klasse der Bundesrepublik und die so genannte Friedensbewegung als ideelle Gesamtzivilgesellschaft zur völkisch-antisemitischen deutschen Konsensgemeinschaft verschmolzen.

Wer sich davon abgrenzen will, aber trotzdem einen deutschen Pass besitzt, sieht sich offenbar seit dem 11. September gezwungen, die verschiedenen Gruppen in Deutschland, die gegen den Krieg und die Globalisierung argumentieren, zu Feinden der Emanzipation und der Freiheit zu erklären und wie die Bahamas zu verkünden: »Im Interesse der Frauen und mancher Minderheit ist es wünschenswert, dass ein anderes Regime herbeigezwungen wird, denn besser als das der Taliban wird es (...) allemal sein können.«

Abgesehen davon, dass diese Äußerung aus dem grünen Außenministerium stammen könnte, konterkariert sie die eigene Kritik an völkisch-ethnischen Ordnungsprinzipien. Die möglichen Optionen für die posttalibanische Zukunft Afghanistans sind entweder die Fortsetzung des Bürgerkrieg oder die Bildung einer von der UN überwachten politischen Vertretung, die einzig nach ethnischen Kriterien und den Machtansprüchen konkurrierender Warlords zusammengesetzt sein wird.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die plötzliche Entdeckung der Frauenrechte seitens der Bahamas-Redaktion. Sie verfügt zwar nicht über das Monopol auf die Instrumentalisierung von Frauen zur Befürwortung eines Krieges. Schließlich werden in jedem Krieg Frauen als abstrakte Opfergruppe funktionalisiert, im Fall Afghanistans ist das aber besonders deutlich. Die Politik der Taliban gegenüber den Frauen führte in jedem Fall zum sozialen, in nicht wenigen Fällen zum realen Tod.

Doch wen innerhalb der radikalen Linken interessierte das vor dem 11. September? Wem sagte die nun überall hofierte Gruppe Rawa (Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans), die seit Jahren vom pakistanischen Exil aus unter klandestinen und lebensbedrohlichen Bedingungen versucht, Frauen in Afghanistan zu unterstützen, vor einem halben Jahr etwas? Und warum tragen so viele Frauen auch im nunmehr »befreiten« Kabul weiterhin den Ganzkörperschleier, die Burka? Man muss keine Afghanistanexpertin sein, um zu wissen, dass extrem patriarchalische Politik nicht allein von den entsprechenden Regimes an der Spitze eines Staates und ihren Repressionskräften durchgesetzt werden kann, sondern dass die Beherrschung der Frauen von Männern vor allem in der so genannten Privatsphäre, der Familie, aufrecht erhalten und reproduziert werden muss.

Ein anderer Teil der radikalen Linken hat sich hingegen darauf verlegt, die Totalität der kapitalistischen Verhältnisse als Ursache für die Anschläge in den USA und den Krieg in Afghanistan zu benennen oder die geostrategischen Interessen des Westens und insbesondere der USA in der zentralasiatischen Region aufzudröseln, die mit dem Krieg in Afghanistan durchgesetzt werden sollen.

Auch wenn das nicht falsch ist, blendet diese Sichtweise die Anschläge als unmittelbaren Auslöser für den Krieg aus. Denn am 11. September wurde in den USA nicht nur ein Massaker verübt, sondern auch das strategische Zentrum der einzigen militärischen Supermacht angegriffen. Man kann lange darüber diskutieren, ob die USA das Recht hatten, daraufhin einen groß angelegten Feldzug zu beginnen oder nicht. Fest steht: Die Attentate waren eine Kriegserklärung an die USA mit dem Ziel, einen Konflikt auf allerhöchstem Niveau auszulösen. Damit ist der unmittelbare Grund dieses Krieges der Versuch der USA, »ihr Gesicht zu wahren« - ob mir das aus linker Sicht nun passt oder nicht.

Die Ausblendung dieser Tatsache führt mitunter zu Vergleichen, die nicht nur hinken, sondern auch peinlich sind. So glaubt Wolf Wetzel zu wissen, dass sich die radikale Linke entschiedener gegen einen US-Krieg wenden würde, wenn dieser gegen die Zapatisten in Chiapas geführt würde, wo die USA ja schließlich »dieselben ökonomischen, geopolitischen, hegemonialen Interessen verfolgen«. Entscheidend ist jedoch weniger die im Vergleich zu den Taliban mit Sicherheit größere Sympathie der Linken für die Zapatisten, sondern die Tatsache, dass die Zapatisten nicht in Verdacht standen, den vermutlichen Urhebern der Anschläge in den USA Schutz zu gewähren.

Was die meisten Beiträge in dieser Debattenreihe eint, ist neben der Tatsache, dass sie für kaum mehr als ihren kleinen Fanclub sprechen, der Unwille, von jenem Weltbild abzuweichen, das bereits vor dem 11. September feststand. Dafür wird entweder die gesamte deutsche Linke zur antisemitischen und islamistenfreundlichen Friedensbewegung mit abstraktem Pazifismusbegriff und gefährlich verkürzter Kapitalismuskritik homogenisiert. Oder aber die Anschläge in den USA werden als irgendwie gerechtfertigtes Zuschlagen einer abstrakt bleibenden ausgebeuteten Masse von Opfern des US-Imperialismus bzw. der kapitalistischen Globalisierung gedeutet.

In beiden Fällen macht man es sich zu einfach und kommt darum herum, sich auf die zugegebenermaßen mühselige Suche nach Ansätzen linker emanzipatorischer Bewegungen und Bezugspunkten zu machen, die es weder hier noch in Zentralasien oder in der arabischen Welt besonders häufig gibt. Deshalb kommen auch in dieser Zeitung kaum Linke zu Wort, die Rudimente einer politischen Basis und Praxis aufweisen können, aber weder die Kapitalismuskritik ad acta gelegt haben noch in den USA die Personifizierung allen kapitalistischen Übels sehen. Dasselbe gilt für Vertreter der - wenn auch völlig marginalisierten - linken Opposition in islamisch geprägten Ländern, die sich wie die Labour Party Pakistan (LPP) sowohl gegen eine Militärdiktatur wie auch gegen die islamistische und die bürgerliche Opposition wenden.

Die radikale Linke ist derzeit überhaupt nicht in der Lage, eine reale emanzipatorische Option zu bieten, weder für Europa noch für Afghanistan, auch wenn Wolf Wetzel meint, es sei an der Zeit, sich gegen die altbekannten und längst nicht mehr allseits akzeptierten Antiismen zu wenden. Um noch einen Funken Glaubwürdigkeit zu bewahren, sollte diese Linke stattdessen zumindest die Aufnahme eines Teils der Kriegsflüchtlinge in Deutschland fordern.