Wer soll Kanzlerkanditat der Union werden?

Merkel mäkelt

Stoiber muss ran, denn eine Kandidatur Merkels würde nur den wahren Zustand dieser Gesellschaft verschleiern.

Eine Kanzlerkandidatur Angela Merkels wäre nicht nur aus rein unterhaltungstechnischen Gründen schwer zu verkraften. Ein derart leichtes Spiel sollte man der rot-grünen Bundesregierung im kommenden Herbst nicht gönnen. Es mag zwar sein, dass Deutschland reif ist für eine Bundeskanzlerin, wie Merkel in der vergangenen Woche behauptete. Aber man fragt sich, warum es ausgerechnet sie sein soll. Schließlich hat sie schon als Bundesumweltministerin unter Helmut Kohl und als CDU-Vorsitzende ihre Unfähigkeit auf Mitleid erregende Weise demonstriert. Und zudem würde eine Kandidatur des kleineren Übels nur den wahren Zustand dieser Gesellschaft verschleiern.

Merkels »großer Wurf«, ihre Grundsatzrede auf dem Kleinen Parteitag der CDU im Juni in Berlin, hat für kollektives Gähnen gesorgt. Ihre Rede von der Wir-Gesellschaft war nur das in Christentum und Biedermeier verpackte völkische Programm ihres Gegners Edmund Stoiber. »Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und die Bereitschaft zur Mitverantwortung - das sind die zwei Seiten der Wir-Gesellschaft«, verkündete Merkel. »Das Wir ist differenzierbar - aber teilbar ist es nicht.« »Wer arbeitet, muss über mehr Geld verfügen können, als der, der nicht arbeitet.« »Die Verwurzelung in unserer Region und in unserer Kultur schafft Orientierung.« »Toleranz braucht ein einigendes Band, eine einigende Kultur.« Wer sonst spricht hier, als eine verkniffene und verhärmte, in ostdeutschen Urboden eingelassene Edmunda Stoiber?

Da ist doch das Gekeife des »blonden Fallbeils«, wie ihn die bayerische Linke nennt, ehrlicher, direkter und somit leichter zu ertragen. Bei ihm ist klar, wofür das Wir steht. Und wogegen. Für das Blonde und Deutsche, gegen das Dunkle und Fremde. Für Laptop und Lederhosen, gegen Dreadlocks und Hängematte.

Bei Stoiber weiß man, womit zu rechnen ist. Seine Hetze gegen alles, was er als andersartig begreift, ist der Ausfluss dieser Gesellschaft, damit gilt es sich auseinanderzusetzen. Stoibers Kandidatur wäre der sichtbare Beweis, wofür christdemokratische Politik in Deutschland wirklich steht. Der so genannte liberale Flügel der CDU/CSU muss endlich als Trugbild entlarvt werden. Es war der angeblich so liberale Peter Müller, der saarländische Ministerpräsident, der in den Verhandlungen mit Otto Schily über die neuen Zuwanderungsgesetze den Hardliner gab. Und Heiner Geißler ist der christdemokratische Fantomas. Immer, wenn keiner mehr mit ihm rechnet, taucht er plötzlich zum Interview auf und macht uns den Ströbele. Damit wieder irgendwer glaubt, es gehe den Konservativen um die »Menschen« und um das »Land«, und nicht um Pfründe und Macht.

Da ist Stoiber durchaus zu bevorzugen. Die Illusion einer zivilgesellschaftlichen demokratischen Rechten zerplatzt angesichts seiner Volten wie eine Luftblase. Er ist auch nicht die Reinemachefrau der Geldwaschanlagen, zu der sich Merkel selbst stilisierte. Stoiber hat mit seiner zweifelhaften Rolle in der so genannten LWS-Affäre, die dem Freistaat Bayern satte 500 Millionen Mark Verlust einbrachte, bewiesen, wofür Politik tatsächlich steht. Er hatte 1990/91 als bayerischer Innenminister die Ausweitung der überwiegend landeseigenen Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft (LWS) ins risikoreiche Bauträgergeschäft durchgesetzt. Einen Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags in dieser Sache überstand er, wie es sich für einen Kanzlerkandidaten gehört: unbeschadet. Und das soll der Wähler kapieren, bevor er seine Stimme abgibt. Damit das Bündnis aus Elite und Dummheit eine tragfähige, demokratische Basis erhält.

Und egal wer die Bundestagswahl gegen Schröder verliert, vier Jahre später kommt sowieso Roland Koch zum Zug. Dann wird es dem schmierigen Populisten aus Wiesbaden vorbehalten sein, die »durchrasste Gesellschaft« (Stoiber) zu bekämpfen. Das sind die Gegner, auf die sich die Linke einstellen sollte, und nicht Angela Merkel. Denn wie sagte die CDU-Vorsitzende im Juni selbst so treffend: »Die richtigen Prioritäten zu setzen heißt, Querschnittsprojekte für die Zukunft zu benennen.«