Die Linke und die USA

Give Peace a Chance

Auf dem konkret-Kongress in Hamburg wurde über Geld und Macht, Öl und Hegemonie diskutiert. Vom 11. September war nur am Rande die Rede.

Als der Streit um Martin Walsers Friedenspreisrede langsam seinen Höhepunkt erreichte, schrieb der Chefredakteur einer linken deutschen Tageszeitung, das ständige Gerede von Auschwitz solle doch nur davon ablenken, dass hinterm deutschen Faschismus das Monopolkapital steckte, und er lieferte damit einen bestürzenden Beweis für die Unmöglichkeit, die beiden »Register« der deutschen Linken, die Günther Jacob am vergangenen Samstag auf dem Kongress der Zeitschrift konkret zum Thema »Deutschland führt Krieg« beschrieb, in einem und demselben Kopf unterzubringen. Das »Register Klassenkampf / Imperialismus«, wie Jacob es nannte, sei mit dem Register »Holocaust / Israel / Antisemitismus«, das nach 1945 deshalb habe entstehen müssen, weil die Linke vor 1933 die Gefahr des Holocaust verkannt hatte, partout nicht zu vereinigen. Jüdische Kommunisten, die den Versuch trotzdem unternahmen, mussten scheitern.

Vor wenigen Monaten hätte man noch erwartet, auf einem Kongress zu welchem Thema auch immer werde, wenn konkret ihn veranstaltet, ausgiebig auf dem zweiten Register geblasen werden, und es werde ohne einige schrille Töne nicht abgehen. Inzwischen aber hat das ehemalige Zentralorgan des Antiantisemitismus und des Antiantiamerikanismus, das bisher alles der Lächerlichkeit aussetzte, was auch nur von fern nach einer Verschwörungstheorie klang, die Register gewechselt, vermutlich in den späten Nachmittagsstunden des 11. September 2001.

Zwar referiert Reiner Trampert schon seit Jahren seine geostrategischen Analysen, die von Pipelines und vom »Raub der Mehrwertmasse« handeln und die eine universelle Geltung gewinnen, sobald nur die Namen der Räuber, der Beraubten und der zu erobernden Weltregionen nach Bedarf geändert werden. Am Krieg der USA gegen Afghanistan erkannte er den »Stil des klassischen Imperialismus«, es gehe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nun um eine »Neuaufteilung der Welt«, um die »Annexion der sowjetischen Erbmasse«. Die Attentate in New York und Washington seien nicht die Ursache, sondern bloß der Anlass dieses Krieges. Denn »es geht nur um eine Röhre«.

Diese Theorie mag zwar mit jedem Zitat aus der FAZ, das von Rohstoffen oder vom machtpolitischen Interesse spricht, an Plausibilität gewinnen, sie hat aber den großen Nachteil, dass sie unter Historikern so lange umstritten sein wird, bis ein zweiter Fritz Fischer in Washingtoner Archiven ein Dankschreiben George Bushs an Ussama bin Laden findet. Denn selbst wenn amerikanische Konzerne sich auch den letzten Krümel Mehrwertmasse aneigneten, der in Afghanistan zu erben ist, wäre noch immer nicht bewiesen, dass ihre Regierung zu eben diesem Zweck einen Krieg begann, nachdem die Kritik einiger Feministinnen sie daran gehindert hatte, sich mit den Taliban zu einigen. Georg Fülberth wischte die Röhrenlegende denn auch ohne größeren argumentativen Aufwand vom Tisch.

Obwohl man gewarnt war, überraschte die dickste Pfeife im antiimperialistischen Register dann doch. Jürgen Elsässer, der neuerdings jeden Unfug zu glauben scheint, den er im Internet findet, machte sich nach einigen treffenden Bemerkungen über gewisse Autoren einer »kleinen liberalen Wochenzeitung aus Berlin-Kreuzberg«, die offenbar der Ansicht sind, auch in der Dritten Welt habe jedermann die freie Wahl zwischen Fanta und Fatwa, an die ausführliche Begründung seines soeben erworbenen Antiamerikanismus.

Angeleitet von Hannah Arendt, untersuchte er die amerikanische und die französische Revolution und kam zum Schluss, mit dieser und eben nicht mit jener habe die Aufklärung begonnen, habe das Mittelalter geendet. Der Freiheitsruf von 1789 enthalte auch die Gleichheit und die Brüderlichkeit, während die Parole der amerikanischen Revolution, »Liberty and the Pursuit of Happiness«, nur die politische Beteiligung aller, ansonsten aber das private Glücksstreben jedes Einzelnen in der Konkurrenz zu allen anderen meine. Und in diesem Umstand erblickte Elsässer nun die tiefere Ursache für allerhand Verbrechen, die Amerikaner in den letzten beiden Jahrhunderten begangen hätten. Die Liste reichte von der Ausrottung der Indianer bis zum Krieg gegen Afghanistan, und sie enthielt erstaunlicherweise auch die Tatsache, dass Hitler bei seiner Machtergreifung von amerikanischen Konzernen unterstützt wurde, die Weigerung, Auschwitz zu bombardieren, und die Verzögerung der Invasion in der Normandie.

Noch heute werde die amerikanische Gesellschaft von Puritanern beherrscht, und Puritanismus bedeute »panische Abschottung gegen die anderen«. Mit der viel besungenen Integrationskraft der USA, mit dem friedlichen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft sei es nicht besonders weit her. Wirkliche Gleichheit gebe es nur unter Weißen, und sie stelle sich durch die Ausgrenzung der Schwarzen her. Obendrein werde der amerikanische Differenzialismus immer völkischer; es genüge nicht mehr, weiß zu sein, jeder Weiße müsse sich neuerdings einer bestimmten Volksgruppe zuordnen lassen.

Zum Beweis, dass »die Lebenswirklichkeit in den USA auch heute noch segregationistisch« sei, bemühte Elsässer eine Statistik: »Nur 1,2 Prozent der schwarzen Frauen finden einen weißen Mann.« Aus dieser Zahl ergibt sich zwar umgekehrt auch, dass nur sehr wenige weiße amerikanische Männer eine schwarze Frau finden, aber weil 23 Prozent der Urfranzosen dunkelhäutige Frauen aus dem Maghreb heiraten, wurden der ursprünglich emanzipatorische Gehalt der französischen Revolution und der individualistische, kapitalistische Charakter der amerikanischen schließlich evident.

Weil also von den USA nie etwas Gutes zu erwarten war, außer während einer kurzen Periode in den vierziger Jahren, als der US-Imperialismus sich einen Urlaub nahm, war von ihnen auch nichts anderes zu erwarten als dieser Krieg. Spätestens seit dessen Beginn arbeitet Elsässer am »Aufbau einer Antikriegsfront in Deutschland«. Vom Friedensappell des Vorstands der IG Metall fühlt er sich ermutigt. »Vielleicht ist die Arbeiterbewegung ja doch kein so toter Hund, wie man bisher glaubte.« Dieser Satz allerdings wurde vom Auditorium mit höhnischem Gelächter kommentiert. Und wenn man die Augen schließt, kann man es schon sehen, das Bündnis gegen die Amerikaner: Rudolf Augstein schreibt ihm wöchentlich einen Leitartikel, Herbert Grönemeyer und Campino singen ihm den Protest, Antje Vollmer sagt ihm, wie der Welt zu helfen ist.

Der Tag wurde lang und länger, sechs Stunden vergingen, ohne dass die Verbrechen des 11. September, der Islamismus, Israel oder der Antisemitismus auch nur einmal thematisiert worden wären. Lediglich in der Einladung zum Kongress fand sich die infame ironische Formulierung, es gehe im gegenwärtigen Krieg »um die Rettung des Abendlandes vor der islamistischen Weltverschwörung«. Denn mit der Sprache lässt sich allerhand anfangen. Wer eben noch die Mutmaßung verbreitete, die Attentate in New York und Washington seien das Ergebnis einer Verschwörung amerikanischer Geheimdienste, macht im nächsten Moment alle, die daran nicht glauben wollen, mit den feinsten semantischen Mitteln zu Anhängern irgendeiner beliebigen anderen Verschwörungstheorie, die aber ebenso bösartig und wahnwitzig sein muss wie der Antisemitismus.

»Von Geld und Macht, von Öl und Hegemonie«, hieß es da außerdem, »war und ist nie die Rede.« Erst Thomas von der Osten-Sacken wies die Veranstalter auf ihren Irrtum hin. Und er war schon der vorletzte Redner. Der antideutsche Widerstand gegen eine vermeintliche Mehrheit der Landsleute, der schon während des ganzen Kongresses als eine entbehrliche Zugabe zum Antiimperialismus ältester Schule erschienen war, musste sich nun sagen lassen, dass es in Deutschland längst eine mächtige Antikriegsfront gibt. »Ussama bin Laden, Saddam Hussein und die Hamas können sich vor Verständnis kaum retten. Ihre Mittel sind dem deutschen Friedensfreund zwar zu gewalttätig, aber allemal verständlicher als der 'Rachefeldzug der USA'.« Der Antiimperialismus sei heutzutage entweder vollkommen marginal oder faschistisch oder er enthalte nichts als eine Aufforderung an die EU, »den amerikanischen Kaugummiimperialismus abzulösen«. Nötig sei deshalb vor allem anderen nicht eine Kritik des amerikanischen Imperialismus, sondern des deutschen Antiimperialismus.

Da wusste Jürgen Elsässer sich nun nicht anders zu helfen, als das antisemitische Motiv der Verbrechen des 11. September kategorisch zu bestreiten. Nichts sei bewiesen. »Es gibt keine Kommandoerklärung.« Und es sei absurd, den Krieg der USA gegen die Taliban mit dem zweiten Golfkrieg zu vergleichen, den konkret noch bejaht hatte, weil die Existenz Israels von irakischen Raketen und deutschem Giftgas bedroht worden war. »Afghanistan bedroht Israel nicht. Es gibt dort kein deutsches Giftgas.« Vielmehr betrieben die »linken Bellizisten« ein »Herumpsychologisieren ohne Sinn und Verstand«, aber immerhin doch mit dem Zweck, einen Antisemitismus herbeizuschwindeln, der ihre Unterstützung des Krieges schlecht und recht zu begründen vermag. Über ihre wirklichen Gründe und Motive aber braucht der Antiimp nicht lange herumzuspekulieren, denn er weiß seit Jahrzehnten schon, was das alles soll und wohin es führt.