Die Linke und der Imperialismus

Doppelte Gefahr im tiefen Tal

Wer sich in imperialistischen Konflikten auf eine Seite stellt, verzichtet auf jede radikale Kritik der Verhältnisse.

Der Ankündigungstext des konkret-Kongresses sei »germanozentriert und verbalradikal«, bemängelte Matthias Küntzel (Jungle World, 05/02). Der Text war zwar nur 2 000 Zeichen lang, reichte aber als Beweismittel: »Der kopflose Zustand der deutschen Linken spiegelt sich in der Ankündigung des bevorstehenden konkret-Kongresses 'Deutschland führt Krieg'«.

Was er vor allem vermisst, ist eine Auseinandersetzung mit dem »Jihadismus«. Nun ging es auf dem Kongress aber nicht um islamistische Bewegungen, sondern um Deutschland. Und die Aufgabe von Linken in Deutschland ist es, im Haus des Henkers vom Strick zu reden und nicht nur in anderen Häusern danach zu suchen.

Ist das antideutsche Essential, der Hauptfeind stehe im eigenen Land, für Küntzel inzwischen erledigt? Anders ist es kaum zu erklären, warum er die Kongress-Ankündigung so missverstand. Dort heißt es: »Wer gibt sein Leben für die Umsatzrendite? Also geht es im Krieg um Höheres: um die Rettung des christlichen Vater- bzw. Abendlandes vor der zaristischen Barbarei (1914 bis 1918), vor dem bolschewistisch-plutokratischen Weltjudentum (1939 bis 1945), vor den serbischen Völkermördern (1999), und vor der islamistischen Weltverschwörung (2001 ff.). Von Geld und Macht, von Öl und Hegemonie war und ist nie die Rede.«

Küntzel verwechselt diese notwendige Kritik der deutschen Ideologie mit einer Kritik der politischen Ökonomie. »Nicht zufällig wird im Kongressaufruf der deutsche Vernichtungskrieg von 1939 mit dem Krieg der USA in Afghanistan auf eine Stufe gestellt und umstandslos unter die 'amerikanisch' konnotierte Motivkette 'Geld und Macht, Öl und Hegemonie' subsumiert«, schrieb er in seinem Beitrag.

Dabei ging es in dem Kongress-Aufruf um die ideologische Formierung in Deutschland. Eine Aufzählung der Kriegspropaganda in Deutschland bedeutet keineswegs, die Kriege selbst gleichzusetzen. Es ist schlechter Stil, konkret eine derartige Relativierung des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges zu unterstellen.

Dass sich Küntzel eine Kritik imperialistischer Ausbeutungs- und Herrschaftsinteressen nur als antiamerikanische Propaganda vorstellen kann, verweist auf eine eklatante Leerstelle seiner Ideologiekritik. Die Beschäftigung damit, was ein weltweiter freier kapitalistischer Markt und seine militärische Absicherung bedeuten, kann sich Küntzel anscheinend nur als antiamerikanisches Ressentiment denken.

Küntzel wirft konkret auch vor, antisemitische Lügen zu verbreiten: »Exklusiv also und gleich auf drei Seiten konnte der ehemalige SPD-Bundesminister sich über den Mossad und die CIA verbreiten, obwohl schon sein Geheimdienste-Buch von 1998 an eine Neuinszenierung der 'Protokolle der Weisen von Zion' gemahnt.«

Warum stellt er diese Behauptungen auf? Jürgen Elsässer, der von Bülow für konkret interviewt hat, kritisierte in seiner einführenden Frage die US-Geheimdienste und eben nicht den Mossad: »Beim Terroranschlag auf das World Trade Center ist noch vieles nicht aufgeklärt. So gab es vor dem 11. September Warnungen sowohl des französischen Geheimdienstes als auch des Mossad. Trotzdem reagierten die US-amerikanischen Behörden völlig unvorbereitet ...« Küntzel hat diese Frage nicht zitiert, sondern unterstellt, dass sich Jürgen Elsässer die Sichtweise Bülows zu eigen macht.

Konkret unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von der Jungle World. In den meisten Texten zum Thema argumentieren die Autoren gegen eine antiislamistische Realpolitik, die auch als linke Begründung für eine Unterstützung des Bombenkrieges der USA und ihrer Alliierten gegen Afghanistan gelesen werden kann. In die Nähe der Kriegsbefürwortung geraten viele Linke, die Ideologiekritik für das Ganze halten.

Wie anderen völkischen Ideologien auch, ist der islamistischen Bewegung mit der Gegenüberstellung von organischer Gemeinschaft und abstrakter kapitalistischer Warenvergesellschaftung der Antisemitismus eingeschrieben, ebenso wie zahlreichen andere Bewegungen im Trikont und in den Metropolen.

Eine verkürzte Imperialismuskritik verkommt gerade in Deutschland oft zu einem vulgären Antiimperialismus, der wegen seines binären Konzeptes von personalisierter Herrschaft und unterdrückten, kämpfenden Völkern leicht zur völkischen Ideologie gerinnen kann. Aber auch die Anhänger des freien Marktes und des fundamentalistischen Glaubens, jeder sei seines Glückes Schmied, reproduzieren kontinuierlich antisemitische Stereotype, um zu verdrängen, warum der Kapitalismus ungerecht ist.

Wer dies bekämpfen will, sollte nicht auf den Feind Islamismus eindreschen, sondern den Antisemitismus und Rassismus in der vorgestellten organischen Gemeinschaft Deutschland zurückdrängen. Küntzels Vorstellung vom »Jihadismus« zeugt nicht von allzu viel Beschäftigung mit islamistischen Bewegungen und den elenden gesellschaftlichen Verhältnissen, auf die diese Bewegungen mit ihrer autoritären Sehnsucht nach einer organischen Gemeinschaft reagieren.

Die Aufgeregtheit, mit der viele Autoren der Jungle World und andere Linke hierzulande mit einem Jahrzehnt Verspätung den vermeintlichen »Jihadismus« entdecken, kann keine Entschuldigung dafür sein, auf eine Kritik der politischen Ökonomie, auf eine Imperialismuskritik zu verzichten.

Wie eine antideutsche Imperialismuskritik formuliert werden kann, hat Hermann Gremliza gezeigt. Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland sei sowohl von gegenseitiger Konkurrenz als auch von gemeinsamen Interessen geprägt, erläuterte er auf dem konkret-Kongress. Wo die Bundesregierung könne, setze sie sich von den USA ab und konkurriere mit ihr, wie etwa während der Zerschlagung Jugoslawiens; wo es vorteilhafter sei, sich unterzuordnen, werde gemeinsam gekämpft wie in Afghanistan.

Diese Imperialismuskritik hat Joachim Rohloff in »Give Peace a Chance« (Jungle World, Nr. 06/02) nicht erwähnt und sich stattdessen im Wesentlichen auf eine Kritik an Jürgen Elsässer beschränkt, ohne dessen entscheidende Schwachstelle zu nennen: dass er bei seinem Lob des französischen Staates und seiner Kritik am amerikanischen Staat und dessen Pursuit of Happiness nicht zwischen Legitimationsideologie und gesellschaftlicher Realität unterscheidet.

Es sei ein Dilemma, erklärte Thomas von der Osten-Sacken auf dem Kongress, dass heutzutage US-Interventionen die Lage der Menschen im Trikont verbesserten. So wie jetzt in Kabul, wo von den USA Bedingungen für eine Befreiung von den Taliban geschaffen worden seien. Zu einer Intervention der USA und ihrer Alliierten im Irak oder in Afghanistan rief er aber weder auf dem Kongress noch sonstwo auf. Leider wurde er trotzdem für Positionen kritisiert, die nicht er vertritt, sondern die Bahamas oder andere von Günther Jacob treffend als »Ex-Antideutsche« bezeichnete Kriegsbefürworter.

Wie können Linke in der BRD sich verhalten, wenn die USA im Irak intervenieren und die Bundesregierung das wegen eigener ökonomischer Interessen ablehnt? Einmal mehr herrscht doppelte Gefahr im tiefen Tal der Linken. Einerseits kann antiimperialistische Solidarität mit dem Regime Saddam Husseins die ökonomischen Interessen Deutschlands im Irak affirmieren. Dabei steht das irakische Regime mit seiner antiimperialistischen Baath-Staatsideologie und -praxis vor allem für die definitive Eliminierung jeder emanzipatorischen Perspektive aus der Idee antikolonialer und »nationaler Befreiung«.

Andererseits läuft die antideutsche Realpolitik, in der grundsätzlich antiherrschaftliche linke Kritik notwendigerweise untergehen muss, Gefahr, umstandslos die Politik der USA als Konkurrenten Deutschlands zu affirmieren. Die USA sind aber gleichzeitig Verbündete Deutschlands. Deshalb steht antideutsche Realpolitik auf einer doppelt fragwürdigen Grundlage. Sie ist weder eindeutig antideutsch noch explizit antikapitalistisch.

Für antideutsche Subversion wird dagegen eine Imperialismuskritik benötigt, die die innere Spannung zwischen klassischem Marxismus und kritischer Theorie aushält. Wer sich einlässt auf antideutsche oder anti-islamistische Realpolitik, verzichtet auf jede Utopie. Wer meint, sich in den aktuellen imperialistischen Kriegen auf eine Seite stellen zu können, verzichtet zugunsten vermeintlicher Sachzwänge oder Bündnispartner auf die notwendige radikale Kritik der Verhältnisse.