Machtkampf in Kabul

Schlechtes Wetter

»Wenn man sagt, man kommt aus Deutschland, sieht man ein Leuchten in den Augen«, frohlockte Klaus-Jürgen Wilhelm vom Energieanlagenkonzern ABB. Kaum hatten sich die deutschen Soldaten in Kabul eingerichtet, flogen auch schon die Vertreter der deutschen Konzerne ein. Es war der erste Besuch einer Wirtschaftsdelegation nach dem Sturz des Taliban-Regimes. Siemens hat nun gute Chancen, den Zuschlag für den Aufbau eines Telefonfestnetzes zu bekommen. Zwar gibt es ein billigeres chinesisches Angebot, aber Chinesen bringen afghanische Augen nicht zum Leuchten, und sie schicken auch keine Soldaten nach Kabul.

Die Freude der deutschen Manager könnte dennoch verfrüht sein. Denn ihre schlichte Rechnung, den deutschen Militäreinsatz zur Auftragsakquise benutzen zu können, setzt eine politische Stabilisierung voraus. Mit der Ermordung Abdul Rahmans, des Ministers für Tourismus und Luftfahrt, scheinen die Konflikte in der Interimsregierung nun aber offen ausgebrochen zu sein.

Der Minister wurde am vergangenen Donnerstag von wütenden Pilgern getötet, die tagelang vergeblich auf ihren Flug nach Mekka gewartet hatten. So die zunächst verbreitete Version. Am Freitag aber erklärte Premierminister Hamid Karzai sechs hohe Funktionsträger seiner Regierung, unter ihnen die Verantwortlichen für Geheimdienste und nationale Sicherheit, seien für den Mord verantwortlich. Am Sonntag behauptete sein Ermittler Amanullah Khan, die Beschuldigten hätten sich unter die Pilger gemischt. Warum drei von ihnen nach dem Mord seelenruhig den Flug nach Mekka antraten, während die anderen drei in Kabul ebenso gelassen auf ihre Verhaftung warteten, erläuterte er nicht.

Abdul Rahman war in den frühen neunziger Jahren Minister im Kabinett des heutigen Nordallianz-Warlords Burhanuddin Rabbani. Im Exil schloss er sich dann der Fraktion Karzais an. Diesen Seitenwechsel könnten ihm seine ehemaligen Verbündeten übel genommen haben. Allerdings hat Karzai für seine Version bislang keine Beweise vorgelegt, und auch ihm kann ein Interesse unterstellt werden, sich mächtiger Gegner aus der Nordallianz zu entledigen.

Entweder werden Karzais Sicherheitskräfte von Mördern geführt oder der Premier will unliebsame Rivalen mit erfundenen Vorwürfen entmachten. Beide Versionen sind nicht geeignet, die westlichen Interventionsstaaten zu verstärktem Engagement zu bewegen. Sie haben zwar Karzais Fraktion als Gegengewicht zu den Warlords der Nordallianz eine starke Position in der Regierung verschafft (Jungle World, 51/01), scheinen aber nun der Ansicht zu sein, die Durchsetzung seiner Macht sei seine Angelegenheit.

Abdul Rahman jedenfalls retteten sie nicht, obwohl der Schutz der Interimsregierung die Hauptaufgabe der internationalen Sicherheitstruppe (Isaf) ist und die in der Nähe des Tatorts stationierten Soldaten nach Aussagen Amanullah Khans die zweistündige Auseinandersetzung eigentlich nicht überhören konnten. Zwei Tage später wurde die Isaf zum ersten Mal beschossen. Eine Aufforderung zum baldigen Abzug oder ein Versuch, ein stärkeres Engagement zu erzwingen?

Die überlegene westliche Militärmacht ist nur von begrenztem Nutzen, wenn es um »nation building« geht. Und afghanische Warlords und Politiker verfügen über ein Talent für politische Intrigen, das selbst Richelieu und Machiavelli bewundert hätten. Diesem Talent scheint sich sogar ein aufstrebender Newcomer der internationalen Diplomatie nicht gewachsen zu fühlen. Die Lage in Kabul sei jetzt »sehr kompliziert und schwierig«, erklärte Bundesaußenminister Joseph Fischer am Sonntag in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans. Die Absage seines Besuchs wurde offiziell mit schlechtem Wetter und starkem Schneefall begründet. Die Meteorologen allerdings meldeten an diesem Tag in Taschkent und Kabul keinen Niederschlag.