Bulldozer und Bösewicht

Ein kleiner Überblick über die deutsche Nahost-Berichterstattung.

Der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon hat nicht den 'totalen Krieg' angekündigt. Tatsächlich sprach er von einem 'kompromisslosen Kampf'. Der Fehler entstand durch eine Agentur-Übersetzung aus dem Hebräischen.«

Diese schlichte »Korrektur« konnte man am letzten Donnerstag kleingedruckt in der Berliner Zeitung lesen, nachdem am Mittwoch deutsche Tageszeitungen mit der Schlagzeile »Sharon kündigt den 'totalen Krieg' an« aufgemacht hatten.

Dass es sich bei dem Nazi-Begriff »totaler Krieg« möglicherweise nicht um die Wortwahl Sharons gehandelt haben könnte, sondern um die klischeehafte Wahrnehmung des Übersetzers, ist in Deutschland keinem in den Sinn gekommen. Viel zu selbstverständlich ist die allseits betriebene Gleichsetzung der israelischen Politik wahlweise mit dem Apartheidsregime Südafrikas oder gar mit dem Nationalsozialismus.

Israel führe einen »hemmungslosen Vernichtungskrieg« schreibt Norbert Blüm an Botschafter Stein, das Land verliere jeden Respekt »der zivilisierten Welt«, zu der es nach Blüms Einschätzung wohl noch nie so richtig gehörte. Karl Lamers (CDU) ruft mit Jürgen Möllemann (FDP) zum Boykott israelischer Produkte auf, und in den Medien wird darüber räsonniert, ob nicht die Nummern, die israelische Soldaten palästinensischen Gefangenen auf den Arm schrieben, mit den Tätowierungen der KZ-Häftlinge zu vergleichen seien. Palästinenser, denen in ihrem Lande vorgeworfen wird, mit Israelis zusammenzuarbeiten, werden in deutschen Zeitungen nicht etwa als Friedensaktivisten, sondern als »Kollaborateure« bezeichnet und die palästinensischen Gebiete nennt Augstein »Israelische Protektorate«. Die neuen Nazis sind die Israelis.

Der Irrsinn, die israelische Politik mit der der Nazis zu vergleichen, zieht sich seit langem durch die Berichterstattung. Geändert hat sich seit Ausbruch der Intifada lediglich die Offenheit, mit der man sich solcher Analogien bedient.

Einen spektakulären Auftritt dieser Art hatte Christoph Dieckmann Ende letzten Jahres in der Zeit (Jungle World, 46/01) Poetisch sinnierend schilderte er zum 9. November seinen Spaziergang durch das verregnete Auschwitz. Angesichts der Herrenmenschen-Ideologie der Nazis fragt sich Dieckmann, ob es nicht vielleicht doch der »jüdische Volkserwählungsglaube« war, der die Nazis inspiriert habe. Doch damit nicht genug.

Flugs spannt er den Bogen von Auschwitz zu dem Ort, wo der jüdische Auserwähltheitsglaube heute sein mörderisches Unwesen treibe: Israel. Gerade die deutsche Lehre aus der Geschichte verbiete, so Dieckmann, »blinde Parteigängerei« für Israel. »Niemals vergesse ich, wie am zehnten Jahrestag der deutschen Einheit der Palästinenserknabe Mohamed al-Durra in den Armen seines Vaters erschossen wurde.« Dass der Junge wahrscheinlich nicht durch israelische Kugeln starb, hat eine aufwendige Recherche der Filmemacherin Esther Schapira ergeben, die Ende Februar in der ARD gesendet wurde.

Die taz ventiliert Ähnliches seit langem, wenn auch auf elegantere Art. So blockte die Redaktion aus dem Artikel eines israelischen Kriegsdienstverweigerers, der seine Erfahrungen im Libanonkrieg reflektiert, den offensichtlich für sie interessantesten Satz aus. »Viele von uns haben sich gefragt, ob nicht wir die neue Nazis, die Besatzer geworden sind.« Betitelt ist dieser Text mit der Zeile: »Siedlungen sind Krebsgeschwür«.

Mit mehreren Artikeln über Israel wartete im Dezember die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf. Ein türkischer Autor machte »die Gründung des Staates Israel« nicht nur für den Nahost-Konflikt verantwortlich, sondern gleich für den ganzen »derzeitigen Kampf der Traditionen«. Der Islam habe zwar einige Eigenarten, aber »das Judentum verursacht noch größere Probleme«, denn der Gott der Juden sei »kein universeller Gott«. Er sei »kein Gott des Friedens, sondern der Rache; Auge um Auge, Zahn um Zahn«.

Solche Sätze angesichts einer Situation zu schreiben, in der die täglichen Terroranschläge auf unschuldige Zivilisten unter Bezug auf »den Gott der Moslems« verübt werden, ist eine beachtliche Leistung. »Der israelische Staat scheint eine unwiderrufliche Realität zu sein«, resümiert der Autor. »Aber sein ungerechter Ursprung hat ein Land im Kriegszustand geschaffen. Israel ist keine soziale Gemeinschaft, die mit sich und der Welt in Frieden lebt.«

Auch deutsche Autoren berufen sich gern auf die Heilige Schrift. »Wird es im heiligen Land je Ruhe geben?« fragt Oskar Lafontaine in einem Kommentar in der Bild-Zeitung. Noch regiere »das Alte Testament, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Den Weg zum Frieden weist das Neue Testament. Dort steht: 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.'« Abgesehen davon, dass dieses Gebot ebenfalls alttestamentlich ist, ist die Botschaft klar: Erst wenn im Nahen Osten nicht mehr das alte Testament - also die Juden - herrschen, wird es Frieden geben.

Kein Argument wird so häufig bemüht: »Auge um Auge ...« - heißt auch der aktuelle Spiegel-Titel über den Nahost-Konflikt. Dabei will niemand wissen, dass dieser Satz, der der Christenheit als ultimativer Ausdruck »jüdischer Rachsucht« gilt, die exakt gegenteilige Bedeutung hat: nicht zu Willkür und Rache, sondern zur Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und Strafe mahnt er.

Die Sprache, mit der über Israel geschrieben wird, ist martialisch. Premierminister Sharon gilt den meisten Zeitungen als »Inkarnation des rechten Bösewichts« (Frankfurter Rundschau), »schmerbäuchiger Kriegsverbrecher«, »Bulldozer« (Spiegel), »oberster Brandstifter« oder gar als »Schlächter Sharon« (FAZ). Von palästinensischen Attentätern hingegen wird häufig Verständnis heischend geschrieben. Schon der Attentäter, der sich im Juni letzten Jahres in Tel Aviv vor der Disko »Dolphinarium« in die Luft sprengte, wurde von der FR als »attraktiver junger Mann« mit »frechen Stirnfransen« geschildert.

Übertroffen wurde diese Darstellung vom Berliner Tagesspiegel. Er überschrieb eine Story über die erste Selbstmordattentäterin, die in der Jerusalemer Fußgängerzone »starb«, dabei einen Israeli tötete und über 40 schwer verletzte, folgendermaßen: »Sie schminkte sich gern, färbte sich die Haare und rauchte Wasserpfeife. Als Sanitäterin half Wafa Idris, Menschen zu retten.«

Das unhistorische Bild vom palästinensischen David, der sich gegen Goliath auflehnt, strukturiert in Deutschland die Wahrnehmung des Konflikts. Geschehnisse und Entwicklungen werden nicht als solche bewertet, sondern in dieses Raster eingeordnet.

Höchst selten wird die deutsche Leserschaft damit konfrontiert, dass es sich bei den palästinensischen »Freiheitskämpfern« schon längst nicht mehr um Steine werfende Jugendliche handelt, sondern dass in den palästinensischen Gebieten 50 000 Sicherheitkräfte unter Waffen stehen, für die es stetigen Nachschub aus dem Iran gibt. Auch will niemand sehen, dass die vermeintlichen »Verzweiflungstäter« monatelange Ausbildungen durchlaufen, bevor sie als Märtyrer für ihr Volk sterben dürfen.

Dieses Bild, das nach dem Sechstagekrieg entstand und sich in den siebziger Jahren zum Volksvorurteil verfestigte, ist für das deutsche Bewusstsein höchst opportun. Es bietet einerseits Raum für die antisemitische Metaphorik »alttestamentarischer Rache«, in der die Juden als unversöhnlich imaginiert werden.

Zum anderen ist es Anknüpfungspunkt für die Gleichsetzung von Juden und Nazis, die dem Bedürfnis nach Relativierung der deutschen Verbrechen entgegenkommt. Schließlich ist der jüdische Staat eine stetige Mahnung an den Holocaust. Denn eines ist in Deutschland klar: »Das Problem heißt Israel« (FAZ).