Tarifrunde der IG Metall

Metall macht mobil

Die Tarifrunde 2002 der IG Metall hat mit großem Druck von der Basis begonnen. Aber nicht alle Zeichen deuten auf einen Flächenstreik.

In der aktuellen Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie ist alles möglich, hat sie doch bereits ungewöhnlich begonnen. Die relativ hohe Lohnforderung kann eindeutig auf den frühzeitigen Druck der Belegschaften zurückgeführt werden. Nun, inmitten der Warnstreiks, stellt sich die Frage, ob der Druck der Basis anhält. IG Metall-Sprecher Claus Eilrich gibt sich kämpferisch: »Wir werden den Druck auf die Arbeitgeber so lange erhöhen, bis wir einen akzeptablen Abschluss erreicht haben.«

Ob das gelingt und welchen Abschluss die IG-Metall für akzeptabel hält, ist allerdings nicht leicht einzuschätzen. Einer kürzlich veröffentlichten Umfrage zufolge scheint die Forderung nach höheren Löhnen in der Bevölkerung weitgehend akzeptiert zu werden. Doch die tatsächliche Mobilisierbarkeit der Arbeitenden ist unterschiedlich. Einerseits gibt es die Großbetriebe wie Porsche und Daimler-Chrysler, deren Belegschaften frühzeitig Forderungen von über zehn Prozent aufgestellt haben. Viele Großunternehmen sind jedoch in der Krise, wie zum Beispiel Opel. Gebeutelt durch die Entlassungsdrohungen des so genannten Olympia-Programms, das den Konzern mit einer Reduzierung der Gesamtproduktion retten soll, könnte sich der Kampfeswille der Betriebsräte darauf beschränken, auf einen »sozialverträglichen« Abbau von Arbeitsplätzen zu drängen.

Andererseits arbeitet der größere Teil der Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben. Und die spielen in Tarifkämpfen traditionell eine geringere Rolle, was allerdings nicht pauschal bedeuten muss, dass die Angst um den Arbeitsplatz größer ist als der Wunsch nach angemessenen Löhnen. Als Beispiel mögen die Vertrauensleute des Bremer Maschienenherstellers Bunge gelten, die die Auseinandersetzung um den Flächentarif als richtungsweisend auch für Betriebe mit einem Haustarifvertrag bezeichnen und auf die Hilfe der »Großen« für die »Kleinen« hoffen.

Sie alle eint nach Jahren von Reallohnverlusten und Monaten der Euro-Erfahrung der finanzielle Druck. »Deutschland - Niedriglohnland« stand auf Transparenten im Ruhrgebiet. Die allgemeine Kaufkraft als Argument der Gewerkschaften ist dabei den meisten egal, sie wollen einfach mehr Geld zum Leben.

Die Basis muss sich auf unterschiedliche mögliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Lohnverhandlungen einrichten. Ein erstes, nicht unwahrscheinliches Szenario: Die IG Metall schließt die Tarifrunde vor der Urabstimmung für Streiks, also noch in dieser Woche, ab. Dafür sprechen neben ersten Verlautbarungen in diese Richtung die relativ breit gestreuten Warnstreiks in den letzten zwei Wochen.

Eine neues Vorgehen der IG Metall führt dabei allerdings zum Kopfschütteln bei aktiven Gewerkschaftern. In einigen Ortsverwaltungen und Betrieben werden KollegInnen aufgerufen, beim Warnstreik daheim zu bleiben, beziehungsweise nach Hause zu gehen. Angesichts der Tatsache, dass unzählige Belegschaften seit Jahrzehnten keine Streikerfahrungen mehr gemacht haben und diese Gelegenheit als eine der wichtigsten für die Schaffung eines kollektiven Bewusstseins eingeschätzt wird, kommt die Maßnahme einer Selbstdemontage gleich. So lautete etwa ein Urteil aus Bochum, dem vermeintlichen Aktionsschwerpunkt der Region. Allerdings findet oft, nicht nur bei Opel Bochum, die Mobilisierung auf eigene Faust durch die aktiven Teile der Belegschaften statt.

Zum ersten Szenario gibt es zwei »Unterszenarien«: Entweder der Stuttgarter Bezirksleiter Berthold Huber erreicht den ersten Tarifabschluss der IG Metall oder die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) kommt der Metallgewerkschaft noch zuvor. Für Huber spricht seine Ankündigung, in der laufenden Woche zu einer »Lösung« zu kommen. Damit könnte er Punkte sammeln als Kandidat für die Nachfolge des IG Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel. Ob die gerüchteweise gestreuten 3,4 Prozent als Abschluss auf große Gegenliebe stoßen würden, ist allerdings ungewiss und allein in Baden-Württemberg mehr als unwahrscheinlich.

Ob Huber die Nase vorn haben wird, hängt auch von der Frage ab: »Welchem Zwickel ist zu glauben?« Allzu widersprüchliche Signale sendet der Gewerkschaftsvorsitzende momentan, hinsichtlich einer möglichen Rücksichtnahme auf den Wahlkampf der SPD einerseits und des Verhandlungsstandes andererseits. Da die Unternehmer nicht von einem Angebot unter drei Prozent und einem zweijährigen Abschluss abrücken, kann ein schneller nur ein maßvoller, also magerer Abschluss sein. Bislang sieht es nach einem Spagat Zwickels aus: den Kanzler schonen und die Basis nicht verprellen.

Die Tarifverhandlungen der IG BCE sind dagegen in einem fortgeschritteneren Stadium. Zwar veranstaltenb die beiden Gewerkschaften einen Wettstreit um den ersten Abschluss, doch wäre es nicht das erste Mal, dass die kompromissbereitere Chemiegewerkschaft Signale für die gesamte Tarifrunde setzt. In diesem Jahr fordert die IG BCE zwar immerhin 5,5 Prozent, doch hat sie sich sowohl im Bündnis für Arbeit als auch in Spitzengesprächen offen für konjunktur- und wahlkampfgerechte Abschlüsse ausgesprochen.

Ein erster Abschluss durch die IG BCE käme so manchem IG Metall-Funktionär entgegen, der bei Kundgebungen zu beschwichtigen versucht mit dem Hinweis auf die deutsche Konjunkturschwäche oder mit dem alten Spruch: »Unser Ziel ist der Tarifvertrag, nicht der Arbeitskampf«. Bislang werden allerdings solche Abwiegler meistens niedergepfiffen. Es darf die Prophezeiung gewagt werden, dass ein Abschluss mit einer Drei vor dem Komma zu deutlichen Protesten führen würde. »Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen«, sagen jetzt schon viele KollegInnen.

Das zweite Szenario: Es kommt Ende April oder Anfang Mai zur Urabstimmung und danach zum Flächenstreik. Denn dass die Mehrheit sich für Streiks aussprechen würde, ist wegen der größtenteils kämpferischen Stimmung anzunehmen. Und solche Großaktionen steigern erfahrungsgemäß die Erwartungen an den Abschluss. Da es den KollegInnen nicht nur um Geld, sondern auch um die gewerkschaftliche Glaubwürdigkeit geht, käme es womöglich zum »Kampf, bis die vollen 6,5 Prozent durchgesetzt sind« - so der Aufruf einiger Betriebe.

Die IG Metall will am 23. April entscheiden, ob die Verhandlungen für gescheitert erklärt werden und die Urabstimmung eingeleitet wird. Einige Vertrauenskörperleitungen (so z.B. diejenigen von ZF Sachs und Bosch-Rexroth) drängen jedoch darauf, den Schritt schon früher zu tun, und erinnern daran, dass ihre Forderungen zwischen 9,5 und 13 Prozent beziehungsweise bei mindestens 200 Euro für alle lagen.

Für diese Szenarien behält es sich die IG Metall-Führung jedoch vor, zu manövrieren. Zum Beispiel mit der Forderung nach der Aufhebung der Trennung von ArbeiterInnen und Angestellten und der Unterscheidung zwischen Löhnen und Gehältern im Rahmen eines Entgeltrahmenabkommens (ERA), das zwölf bis 13 neue Entgeltgruppen für alle vorsieht. Damit könnte der eine oder andere Prozentpunkt bei den Lohnverhandlungen verrechnet werden. Auch hier ist der Druck der Basis gefordert.