Die Linke und der Nahost-Konflikt

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Klarheit vor Einheit! Linke Politik ohne Massenbasis bleibt folgenlos. Aber eine Massenbasis ohne linke Inhalte ebenfalls. Wenn in Deutschland tatsächlich mal Hunderttausende auf die Straße gehen, dann bestimmt nicht mit linksradikalen Forderungen. Und natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf Deutsche.

Wie man es dreht und wendet: Es kann Linken nicht einfach darum gehen, möglichst viele Menschen zu sammeln, wenn dies auf Kosten der Klarheit, der richtigen politischen Inhalte geht. Klarheit erfordert Abgrenzung von anderen Positionen. Abgrenzung führt zu Spaltungen, Trennungen, Brüchen. Wer dazu nicht bereit ist, muss sich Populist schimpfen lassen.

Es gibt Brüche, die unausweichlich sind. In den letzten 30 Jahren hat sich in Deutschland vor allem ein Bruch vollzogen: zwischen autoritären und antiautoritären Linken. Auch diese Zeitung ist das Ergebnis einer solchen Trennung. Es ist richtig, an dieser Stelle das Tischtuch zu zerschneiden. Grundlage linker oder linksradikaler Politik muss die Verurteilung autoritärer Ordnungen und Strukturen sein. Dies ist auch eine notwendige Konsequenz aus der Geschichte.

Zur Zeit vollzieht sich in der deutschen Linken jedoch ein anderer Bruch. Bist Du für Israel oder für Palästina? Das scheint die einzig relevante Frage zu sein, und der Streit um den Nahost-Konflikt eskaliert von Tag zu Tag mehr. Er findet in fast allen Gruppen und Organisationen statt, lähmt deren Arbeit, bleibt bei kaum einer Veranstaltung oder Demo unangesprochen, fordert Bekenntnisse, lässt Bündnisse platzen und gipfelt inzwischen auch in offenen gewalttätigen Angriffen.

Ist diese Sollbruchstelle sinnvoll für die Klarheit? Ja. Denn ein für allemal muss sich die Linke vom Antisemitismus distanzieren, sonst verliert sie ihre Legitimation. Dennoch trifft diese Spaltung die antiautoritäre Linke härter als die autoritäre. Denn auf der dogmatischen Seite hat man sich längst ziemlich geschlossen hinter antiimperialistischen Parolen versammelt und dreht die alte Leier vom Selbstbestimmungsrecht der Völker. Auf der antiautoritären Seite jedoch geht der Streit quer durch fast alle Gruppen. Nicht eine Spaltung droht das Ergebnis zu sein, sondern eine totale Segmentierung, eine Zersplitterung der undogmatischen radikalen Linken. Den Staatsschutz freut es und die Nazis auch.

Nun mag das Gruppen, die sich ohnehin aus der Linken verabschiedet haben, egal sein. Wer jedoch weiterhin interventionsfähig bleiben möchte gegen Rassismus und Sozialabbau, gegen Krieg und Überwachung, gegen Sexismus, Ausbeutung und deutschen Größenwahn, muss nun ernsthaft darüber nachdenken, wie das weiterhin gelingen soll. Es gibt in Deutschland so vieles, was dringend unseren Widerstand erfordert, während wir uns über Dinge streiten, auf die wir keinerlei Einfluss haben.

Was tun? Einerseits darf die Linke nicht darauf verzichten, den breiten antisemitischen Zuspruch in der Gesellschaft, quer durch alle politischen Strömungen, aufzuzeigen und zu attackieren. Keine Bündnisse mit Antisemiten! Das muss klar sein. Andererseits: Kann es sich die antiautoritäre Linke erlauben, bis zur eigenen Stigmatisierung Spaltungen voranzutreiben und damit vor allem die autoritäre Linke zu stärken? Man sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob es nicht auch so etwas wie einen gemeinsamen Nenner geben kann.

Und auch wenn die Gewalt bisher ausschließlich von pro-palästinensischer Seite ausgegangen ist, gilt der Appell an beide Seiten, die Polarisierung und Eskalation nicht zu weit zu treiben! Körperliche Gewalt ist kein Mittel der Diskussion! Es muss eine Grenze in der Auseinandersetzung geben, bevor wir hierzulande die ersten Opfer der Intifada zu beklagen haben.