Diskussion über deutschen Militäreinsatz im Nahen Osten

Von Pristina nach Ramallah

Ideen für den Frieden stehen hoch im Kurs. Nun wird sogar über die Entsendung deutscher Soldaten in den Nahen Osten diskutiert.

Schon wieder ist die Nachkriegsgeschichte beendet und die »Scheckbuchdiplomatie« gehört der Vergangenheit an. Man kann der rot-grünen Regierung vieles vorwerfen, ein Versprechen aber hat sie erfüllt: Sie hat Deutschland »erneuert«, wie sie das in ihren Anzeigen nennt. Vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik. Wer glaubte, die Teilnahme am Bombardement von Belgrad oder der Einsatz in Afghanistan seien nicht mehr zu übertreffen, musste sich in der vergangenen Woche getäuscht sehen.

Denn auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr in Hannover brachte Bundeskanzler Gerhard Schröder einen Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten ins Gespräch. Seine vage Andeutung, er könne sich vorstellen, deutsche Truppen zur Friedenssicherung auch nach Israel zu schicken, hat eine unwirklich anmutende Diskussion in Deutschland entfacht.

Die sozialdemokratische Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützte ihren Kanzler. Die Behauptung, »aus historischen Gründen könnten die Deutschen im Nahen Osten keine aktive Rolle spielen«, habe sie »immer schon für falsch gehalten«. Immer schon. Deutschland habe »Verantwortung wegen der Geschichte«. Wegen Auschwitz nach Israel? Da kam selbst aus der sonst so überforderten Bundeswehr eine schnelle Zustimmung. Und auch der palästinensische Generaldelegierte in Deutschland, Abdallah Frangi, zeigte sich begeistert: »Dieser Vorschlag ist in der Geschichte Deutschlands einmalig.«

Kritik an Schröders Gedankenspielen kam vor allem aus den Reihen der Opposition. Sie klang unterschiedlich. Auf der konservativ-liberalen Seite lautete der Tenor von »völlig abwegig« bis »etwas befremdlich«. Edmund Stoiber (CSU) bezeichnete Schröders Ideen als »politischen Aktionismus«. Auf seiner dreitägigen Reise in die USA nannte er Yassir Arafat den »entscheidenden Verantwortlichen« für die Eskalation und stellte sich demonstrativ an die Seite Israels.

Gabriele Zimmer, die Vorsitzende der PDS, dagegen sagte, Deutschland sei »aus historischen Gründen denkbar ungeeignet für einen solchen Einsatz«. Dabei hatte gerade die PDS zuvor vehement eine internationale Militärmission für den Nahen Osten und »mehr Druck auf Israel« gefordert. Die demokratischen Sozialisten ließen keinen Zweifel daran, wer für sie der Hauptschuldige in der Auseinandersetzung im Nahen Osten ist. Sie zeigten sich damit als würdige Nachfolger der SED. Die DDR pflegte immer gute Beziehungen zu den arabischen Staaten und verweigerte jeden diplomatischen Kontakt zu Israel.

Ein deutscher Einsatz im Rahmen einer UN-Friedenstruppe im Nahen Osten wurde in der vorigen Woche so ernsthaft diskutiert, als stünde er unmittelbar bevor. Außerhalb der Landesgrenzen wurde hingegen darüber spekuliert, aus welchen Gründen Schröder sich zu seiner gewagten Äußerung hatte hinreißen lassen. Die Neue Zürcher Zeitung vermutete, es handele sich um einen »Konkurrenzkampf zwischen Fischer und Schröder um die Rolle des führenden Außenpolitikers«. Es komme der Bundesregierung wohl weniger »auf die praktische Durchführbarkeit des Vorschlags an, sondern mehr auf das Signal, dass man an einer aktiven Regionalpolitik interessiert ist«.

In der Tat war der grüne Koalitionspartner von Schröders Spekulationen nicht begeistert. Schließlich war Außenminister Joseph Fischer kurz zuvor mit seinem »Ideenpapier« zur Lösung des Nahost-Konflikts an die Öffentlichkeit getreten. Er hat darin einige seit längerem kursierende Forderungen zusammengefasst, u.a. den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten und die Aufgabe der israelischen Siedlungen, die Ausrufung des palästinensischen Staates und die Anerkennung des Existenzrechtes Israels durch die Palästinenser.

Neu an seinen Ideen ist das geplante Tempo ihrer Verwirklichung. Die Ausrufung des palästinensischen Staates soll nicht am Ende eines langwierigen Prozesses stehen, sondern am Anfang. Die Entwicklung solle von einer »wirksamen Sicherheitskomponente« flankiert werden, womit der Außenminister etwas zurückhaltender als der Kanzler die Stationierung einer internationalen Schutztruppe forderte. Das Papier soll mit US-Außenminister Colin Powell, dem russischen Außenminister Igor Iwanow, UN-Generalsekretär Kofi Annan und dem französischen Außenminister Hubert Védrine abgesprochen worden sein. Ganz im Gegensatz zu Schröders Vorstoß, der nur eine »persönliche Meinung« dargestellt haben und »überinterpretiert« gewesen sein soll, obwohl Schröder ihn am vergangenen Sonntag wiederholte.

Auch Fischers Vorschläge nähern sich stark den palästinensischen Forderungen an, vor allem was die Internationalisierung des Konflikts durch die Stationierung einer Schutztruppe betrifft. Das überrascht, war er doch bisher der deutsche Politiker, der vielleicht gerade wegen seiner Vergangenheit als Straßenkämpfer und »Antiimperialist« das größte Verständnis für die israelische Seite in dem Konflikt gezeigt hatte.

Im Interview mit der Zeit sagte er in der vorigen Woche: »Man muss freilich immer wieder betonen, und da geht mir die Einseitigkeit bei manchem in unserer Öffentlichkeit völlig gegen den Strich, dass sich Israel nicht eine einzige Niederlage erlauben darf. Israel ist der einzige Staat, dessen Existenz bei einer einzigen strategischen Niederlage sofort infrage gestellt ist.«

Vertreter Israels und auch der jüdischen Gemeinden in Deutschland sehen die Entwicklung mit Skepsis. Schröders Vorschläge wurden meist kritisiert, etwa von Michel Friedman, dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden. Er sagte der Bild-Zeitung: »So lange Überlebende des Holocaust in Israel leben, halte ich die Zeit für noch nicht gekommen, dass deutsche Soldaten im Nahen Osten im Einsatz sind.«

Scharfe Kritik kam vom früheren israelischen Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu: »Das Letzte was wir brauchen, sind deutsche Soldaten, die für Israel ihr Leben lassen.« Zu der angeblichen deutschen Entscheidung, die Waffenlieferungen an Israel einzustellen, die von der Bundesregierung dementiert wurde, meinte Netanyahu: »Von allen Staaten sollte es Deutschland am besten wissen, dass vor 60 Jahren niemand einen Finger krümmte, um den Mord an Millionen Juden in Europa zu verhindern, die Tat eines Regimes von Verrückten in Deutschland.«

In Israel wächst die Sorge, dass man nach dem harten Vorgehen des Militärs in den Palästinensergebieten mit Deutschland einen der treuesten Verbündeten in Europa verlieren könnte. Gerade auf Fischer setzte man zuletzt die Hoffnungen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, hat in der vergangenen Woche darauf hingewiesen, dass man Deutschland in Israel als zweitwichtigsten Partner nach den USA betrachtet. Er kritisierte, dass in den Medien Ursache und Wirkung im Nahost-Konflikt »undifferenziert dargestellt« würden, die Berichterstattung sei »tendenziös und unvollständig«. Auf einer Kundgebung für Solidarität mit Israel am 10. April in Frankfurt am Main beklagte Spiegel: »Die Friedensvorschläge aus Europa werden von Menschen gemacht, die in Büros, Redaktionen und Cafes sitzen, ohne sich auch nur für einen Moment fragen zu müssen, ob sie Minuten später noch am Leben sein werden.«

Am selben Tag verabschiedete das Europäische Parlament in Straßburg einen Entschließungsantrag, in dem es den Europäischen Rat aufforderte, ein Waffenembargo über Israel und Palästina zu verhängen und das Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen, das Israel einen zollfreien Warenverkehr mit der EU ermöglicht, aufzuheben. Der Abstimmungssieg wurde von den linken Fraktionen im Parlament mit Jubel begrüßt. Skeptisch zeigten sich dagegen, ähnlich wie in Deutschland, vor allem die Konservativen.

Am Ende könnte sich bewahrheiten, was Ariel Sharon, der israelische Ministerpräsident, während des Kosovo-Krieges, den er ablehnte, gesagt hat: »Der Westen würde Jugoslawien als einen Präzedenzfall erachten, um in unserer Region zu intervenieren.« Die Süddeutsche Zeitung hat es schon bei Sharons Amtsantritt geahnt und behauptet, er gelte als »Israels Milosevic«. Ging es nach Schröder, könnten die Soldaten ihre Rucksäcke packen.