Der Bundestag debattiert über Israel

Guter Rat vom Freund

Wenn es nach den Abgeordneten des Bundestages geht, darf Israel auch in Zukunft auf der Landkarte bleiben.

Wolfgang Gerhardt fasste das Problem auf seine Weise zusammen. Leider mache »die israelische Regierung es ihren Freunden auch verdammt schwer«.

Bei der Debatte zur Lage im Nahen Osten war Gerhardt am vergangenen Donnerstag im Parlament mit seinen Vorstellungen nicht allein. Wer einen offensiven Schlagabtausch der Parteien erwartet hatte, sah sich getäuscht. Angesichts der eskalierten Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten bemühten sich vor allem die prominenten Parlamentarier um einen sachlich-moderaten Ton. Man musste an diesem Tag genauer hinhören, um mitzubekommen, wie es um das vielbeschworene besondere Verhältnis Deutschlands zu Israel bestellt ist.

Entscheidend für den Verlauf der Debatte war dabei auch das von den Medien mit Spannung erwartete Duell von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Herausforderer Edmund Stoiber. Viele Pressevertreter beschäftigte das Aufeinandertreffen der beiden mehr als der eigentliche Gegenstand der Sitzung.

Sowohl Schröder als auch Stoiber gaben sich betont staatsmännisch. Die Situation im Nahen Osten - so das Signal - verbiete es, sich bei diesem Thema persönlich zu profilieren. Schröder tat es dennoch und vertrat in seiner Regierungserklärung konsequent den deutschen Standpunkt. Wie alle Rednerinnen und Redner setzte er sich für die Gründung eines palästinensischen Staates ein, verbunden mit der Forderung nach einem »tragfähigen Waffenstillstand« und dem Rückzug der israelischen Truppen gemäß der Uno-Resolutionen. Auch das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels durfte nicht fehlen. Aber da Israel und Deutschland »ein Grundkonsens über die Werte, die eine Demokratie ausmachen«, verbinde, habe Deutschland auch »das Recht und die Pflicht, die Stimme zu erheben«.

Hinsichtlich des Einsatzes militärischer Mittel müsse man sich davor hüten, »alte Tabus wieder zu errichten«. Und abweichend vom offiziellen Redetext sprach Schröder erneut davon, möglicherweise auch deutsche Soldaten in Israel einzusetzen. So sei »die Frage einer deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicherheitskomponente heute nicht auf der Tagesordnung«. »Aber wir stehen zu unserer Verantwortung gegenüber der Region«, drohte der Kanzler.

Schröder machte überdies deutlich, warum Deutschland auch künftig ein großes Interesse am Nahen Osten zeigen wird. Er befürchte, dass eine Zuspitzung des Konflikts »nicht nur unsere politischen und wirtschaftlichen Interessen« gefährde, sondern »auch unsere eigene Sicherheit.«

Dem Herausforderer Edmund Stoiber, der in weiten Teilen mit Schröder einig war, oblag es dann, einen Einsatz deutscher Soldaten in Israel kategorisch abzulehnen. Dies sei keine Frage der Tagesordnung, sondern »vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte« völlig ausgeschlossen. Abschließend wandte sich der Kanzlerkandidat der Union »an die in Deutschland lebenden Juden: Sie sind loyale Bürger unseres Landes.« Es gibt auch Umarmungen, die Distanz erzeugen.

Anders als Außenminister Joseph Fischer, der sich im Wesentlichen damit begnügte, nochmals sein Ideenpapier zur Lösung des Nahost-Konflikts zu skizzieren (Jungle World, 17/02), hatte Wolfgang Gerhardt dann eine größere Aufgabe zu bewältigen. Galt es doch, nach den jüngsten Äußerungen von Jürgen Möllemann, der Verständnis für palästinensische Selbstmordattentäter aufgebracht hatte, heftig zurückzurudern. »Kein Widerstandsrecht der Welt legitimiert jemanden, Selbstmordattentäter auf die Straße zu schicken«, beteuerte Gerhardt.

Als Kerstin Müller von den Grünen seine Partei mit dem Vorwurf konfrontierte, den »Antisemitismus in Deutschland wieder salonfähig« zu machen, ging der Fraktionsvorsitzende sogar noch weiter. Niemand solle glauben, »er könnte in der FDP eine Heimstatt finden für antiisraelische Politik«.

Das war keine sehr glaubwürdige Versicherung. Meldeten doch am selben Tag die Zeitungen den Übertritt des nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Jamal Karsli, zur FDP. Karsli, der den israelischen Streitkräften »Nazi-Methoden« vorgeworfen hatte, sagte, er wolle die »israelkritische Position« Möllemanns stärken (siehe Seite 9). Der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung war es vorbehalten, in ihrer jüngsten Ausgabe darauf hinzuweisen, dass antiisraelische Töne »seit jeher zu Tradition und Selbstverständnis der FDP« gehörten.

Die Redner der PDS sahen anders als Gerhardt keinen Grund, irgendetwas zurückzunehmen. Die Teilnahme Wolfgang Gehrckes, des außenpolitischen Sprechers der Partei, an der propalästinensischen Demonstration in Berlin vor zwei Wochen, bei der es zu heftigen antisemitischen Ausfällen gekommen war, hatte die demokratischen Sozialisten auch nicht nachdenklich gemacht. Ihr Fraktionsvorsitzender Roland Claus ließ keinen Zweifel daran, wer für ihn der Schuldige im Nahost-Konflikt ist. »Der Schlüssel für den Weg zum Frieden« liege bei Israels Regierung. Was in Jenin zu sehen gewesen sei, »ist nicht das Ergebnis einer intakten und funktionierenden Demokratie«.

Die Konsequenz einer Menschenrechtsrhetorik, die die Sozialisten früher an der rot-grünen Koalition kritisierten, lag auf der Hand. Wenn nötig, betonte Claus, müsse es eine UN-Mission geben. Wie alle anderen Parteien fordert auch die selbsternannte »Friedenspartei« ein militärisches Engagement des »Quartetts«: Neben der EU, den USA und der Uno sollen nach dem Willen der PDS die arabischen Nachbarstaaten mit ins Boot geholt werden, während die anderen Fraktionen Russland dabeihaben wollen.

Dabei soll es, wie Claus betonte, um die »Überwachung der Friedenspflicht beider Seiten« gehen. Damit schloss sich die PDS der Forderung nach einer Internationalisierung des Konflikts an, wie sie von den Palästinensern seit langem erhoben wird.

Die der PDS nahe stehende Zeitung Neues Deutschland kommentierte am Tag nach der Bundestagsdebatte: Der »moralische Impetus, mit dem die Union einen Blauhelmeinsatz in Nahost ablehnt, ist demagogisch, da Somalia, Afghanistan, das Horn von Afrika längst kein Problem mehr sind.« Die deutsche Vergangenheit stellt für dieses politische Milieu offensichtlich nur noch einen lästigen »moralischen Impetus« dar.

Karl Lamers, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, ließ es sich schließlich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, »dass die Existenz Israels in Frage gestellt wird« durch die »Art und Weise, wie die Sharonsche Regierung« auf den palästinensischen Terror reagiere. Nicht die Selbstmordattentate, sondern die israelische Reaktion darauf bedrohen also das Land. Lamers stellte Jenin in eine Reihe mit den Massakern von Sabra und Shatila aus dem Jahre 1982, obwohl bisher noch gar keine verlässlichen Informationen über die Vorgänge in Jenin vorliegen.

Anders als Lamers bekannten sich die übrigen Rednerinnen und Redner in der Debatte mehrfach ausdrücklich zum Existenzrecht Israels. Doch gerade dieser Umstand zeigte, wie bedroht Israel momentan in seiner Existenz ist. Denn Selbstverständlichkeiten müssen nicht permanent wiederholt und betont werden.

In einem Punkt waren sich am Donnerstag im Plenarsaal nämlich alle Fraktionen einig: Die Einmischung eines »Dritten«, ein internationaler Militäreinsatz im Nahen Osten mit einem »robusten« Mandat sei nötig. Dabei zeigte man sich staatsmännisch, besorgt und friedenssehnsüchtig und traute sich auch mal, mahnende Worte an Israel zu richten. Von Freund zu Freund, versteht sich.

Indes überlegen sich in Israel immer mehr Menschen, der unerträglich gewordenen Situation durch Auswanderung zu entfliehen, und auch in Deutschland, wo mittlerweile in allen Städten jüdische Einrichtungen von der Polizei geschützt werden müssen, ist die antisemitische Bedrohung jüdischer Menschen zum Alltag geworden.