Streik der Verbraucher

Flexi-Streik ist hip

»Vorwärts in die Vergangenheit«, titelte das Kapitalblatt Financial Times Deutschland nach dem 1. Mai und dem Ergebnis der Urabstimmung der Beschäftigten in der Metallbranche, die zur Folge hat, dass in dieser Woche 50 000 Menschen streiken. Die Gewerkschaften hingen immer noch dem Bild des vollbeschäftigten Industriearbeiters nach, so die Zeitung weiter. Auch der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Michael Rogowski, hält Streiks für »martialische Instrumente aus dem vorletzten Jahrhundert«. Topmodern hingegen ist nach Ansicht des BDI die Aufweichung des Kündigungsschutzes und der Mitbestimmung, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Einführung eines subventionierten Niedriglohnsektors sowie Studiengebühren.

Den Vogel abgeschossen aber hat Petra Lidschreiber, Journalistin und Kommentatorin der ARD-»Tagesthemen«. GewerkschafterInnen in der ganzen Welt seien Repressionen ausgesetzt, meinte sie, und sie bezahlten ihr Engagement zuweilen mit dem Leben. Aber wir hier in Deutschland leisteten uns den Luxus einer Tarifauseinandersetzung, wo doch in Afrika die Kinder hungerten. Dass sie sich im Anschluss daran noch wunderte, dass der Amoklauf in Erfurt offensichtlich keinen Einfluss auf die 1. Mai-Krawalle in Berlin hatte - geschenkt.

An dieses Gequatsche haben wir uns gewöhnt. Auch daran, dass die Unternehmer immer dann ihr Herz für die Arbeitslosen entdecken, wenn die hierzulande friedlichen Gewerkschaften mal was fordern. So wie zur Zeit die 6,5 Prozent in der Metallbranche, wo jetzt, ach Gott, ach Gott, Streiks anstehen. Vertreter der IG Metall weisen zu Recht darauf hin, dass Lohnzurückhaltung bisher keinen Arbeitgeber dazu verleitet hat, mehr Jobs zu schaffen. Und: Wenn die Arbeitgeber nun mal wieder versuchen, Arbeitnehmer gegen Arbeitslose auszuspielen und Solidarität in der Klasse zu beschwören, verschweigen sie, dass sie ihrerseits selbstverständlich bereit sind, begehrte Fachkräfte teuer einzukaufen, wenn es nur der Produktivität dient.

Der Verteilungsspielraum aus Produktivitäts- und Preissteigerung liegt bei gut vier Prozent, argumentiert die IG Metall. Die Gewinne der Metallunternehmen stiegen im Jahr 2000 um 11,6 Prozent; die Realeinkommen der Arbeitnehmer wuchsen dagegen nur um 1,1 Prozent, im vergangenen Jahr schrumpften sie sogar um 0,1 Prozent, obwohl die Arbeitsleistung enorm gestiegen ist: Die Produktivität kletterte im Jahr 2000 um 8,6 Prozent, 2001 vermutlich um rund vier Prozent.

Mit Typen wie Rogowski landet man in den Frühzeiten des Kapitalismus. Gewerkschaften sind Interessengemeinschaften, warum also sollten ihre Mitglieder nicht ihre Interessen vertreten? Und sind Gewerkschaften wirklich unmodern? Die Unternehmerverbände werden nicht müde, die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse einzufordern. Stattdessen kommt der »Flexi-Streik«, die Flexibilisierung der Streikverhältnisse. Das ist hip.

Die Arbeitgeber sind selbst schuld. Das Angebot, das bei den Verhandlungen zuletzt auf dem Tisch lag, war niedrieger als die 3,6 Prozent, die in den - traditionell moderaten - Gesprächen in der Chemiebranche ausgehandelt wurden. Streikende Menschen in Plastiktüten samt Gewerkschaftsrhetorik verunsichern die Verbraucher und lähmen die Binnenkonjunktur, unkt Ludwig Georg Braun, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

Bei 2,7 Millionen IG Metall-Mitgliedern könnte man jedoch glatt auf die Idee kommen: Hier streiken die Verbraucher selbst. Zumal die IG Metall sehr deutlich macht, dass es ihr auch um ein Mehr an Kaufkraft zu Ankurbelung der Wirtschaft geht. Übrigens decken auch 6,5 Prozent gerade mal die Inflation und die Preissteigerung. Und obendrein: Ein Prozent vom Bruttogehalt wird sowieso immer abgezogen, als Mitgliedsbeitrag für die Gewerkschaft! Also: Schluck aus der Pulle, Prost.