Die linksradikalen Parteien nach den Wahlen

KP ff. am Start

Nach dem Niedergang der Kommunistischen Partei plant die radikale Linke in Frankreich, sich neu zu organisieren.

Eine der großen Überraschungen der letzten Präsidentschaftswahl in Frankreich war das erfolgreiche Abschneiden der radikalen Linken im ersten Wahlgang. Über zehn Prozent erreichten die verschiedenen Parteien, wenn man ihre Ergebnisse zusammenzählt. Bei den Parlamentswahlen vom 9. und 16. Juni wurde dieser Erfolg jedoch nicht wiederholt. Auffallend war aber vor allem das katastrophale Abschneiden der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Ihr Absturz in die Bedeutungslosigkeit dürfte mit dem letzten Wahlergebnis besiegelt sein.

Mit dem Sieg der konservativen Regierung bei den Parlamentswahlen und die Auflösungserscheinungen bei den Parteikommunisten mehren sich die Überlegungen, eine neue linke Sammlungsbewegung zu gründen. Insbesondere der Erfolg von Lutte Ouvrière (Arbeiterkampf; LO), der Ligue Communiste Révolutionnaire (Revolutionäre Kommunistische Liga; LCR) und des Parti des Travailleurs (Arbeiterpartei) verdeutlicht den Wunsch der kommunistischen Wählerschaft nach anderen Strukturen, denn vor allem LO und LCR bewarben sich um das kommunistische Erbe und hatten damit offensichtlich Erfolg.

Der Niedergang des PCF setzte dabei schon lange vor dem aktuellen Wahldebakel ein. François Mitterands Wahlsieg von 1981 war ein verspätetes Ergebnis der Studentenbewegung der sechziger Jahre und leitete den Zerfallsprozess der Linken ein. Die Beteiligung der Kommunistischen Partei an der Regierung Mitterand markierte den Beginn des langen Abstiegs des PCF, der in den darauffolgenden Jahren Bürgermeisterämter, Wählerstimmen, Mitglieder und sein Image als proletarische und linke Alternative zur Sozialistischen Partei verlor.

Die radikale Linke, die sich zum großen Teil in der Revolte von 1968 herausgebildet hatte, schrumpfte in dieser Zeit zwar auf wenige tausend Aktivisten, verfügt heute aber gleichwohl über einen größeren kulturellen Einfluss als je zuvor. Dieses Paradox beruht auf der immer noch existierenden kämpferischen Arbeiterbewegung und an der erstaunlichen theoretischen und praktischen Flexibilität der linken Gruppen.

Allen gemeinsam ist ein in Theorie und Praxis unterschiedlicher und heute eigentlich nicht mehr zeitgemäßer Bezug auf den russischen Revolutionstheoretiker Leo Trotzki, was mit ihrer Opposition zur einst starken kommunistischen Partei zusammenhängt. Die trotzkistischen Gruppen integrieren die unterschiedlichen sozialen Bewegungen und linksradikalen Strömungen und sind kaum mit deutschen Organisationen, wie zum Beispiel Linksruck, vergleichbar.

Welche Parteien und Gruppen zählen sich nun zur radikalen Linken? Die kleinste Organisation aus diesem Spektrum nennt sich Parti des Travailleurs (Partei der Arbeiter) und erhielt bei der letzten Wahl den marginalen Stimmenanteil von 0,5 Prozent. Aus ihrer Mitte wurde Lionel Jospin vor zwei Jahrzehnten losgeschickt, um die Sozialistische Partei zu unterwandern. Der PT, der seit seiner Gründung häufig den Namen, aber nicht seine Politik änderte, entstand aus der 1938 von Trotzki und einigen seiner Anhänger in Paris gegründeten IV. Internationale. Er spaltete sich 1953 davon ab, weil er ihren Mitstreitern Kapitulation vor dem Stalinismus vorwarf.

Der PT ist eine autoritär strukturierte Partei, die maximal 1 000 Mitglieder haben dürfte. Sie hat großen Einfluss auf die Gewerkschaft Force Ouvrière, arbeitet eng mit den Sozialisten zusammen und sieht im Stalinismus ihren Hauptfeind. Die öffentliche Wirkung ist zwar gering, der politische Einfluss dennoch nicht unerheblich, da ihre Mitglieder eher als Gewerkschafter oder Vertreter von den Sozialisten nahe stehenden Strukturen denn als Vertreter des PT auftreten.

Im Gegensatz dazu sind die Wahlergebnisse der Lutte Ouvrière stetig gewachsen. Ihr mittlerweile auch in Deutschland bekannter Star, Arlette Laguiller, ist eine pensionierte Bankangestellte, die sich seit vielen Jahren als revolutionäre Arbeiterin mit einem unerträglichen Pathos zur Wahl stellt.

Sie fordert die Umverteilung der vorhandenen Arbeit, eine gleitende Lohnskala und die Verstaatlichung der größten Unternehmen. Ihre Beliebtheit resultiert sicherlich nicht zuletzt daraus, dass sie die einzige Kandidatin war, die sich explizit und ausschließlich an die sozial Schwachen wandte. Auch in diesem Jahr hatte sie erstaunlichen Erfolg damit und erreichte 5,8 Prozent. Die LO erinnert sehr an die deutschen K-Gruppen der siebziger Jahre. Hierarchisch organisiert und nach außen hermetisch abgeschlossen, glaubt die LO weiterhin an die historische Mission der internationalen Arbeiterklasse und tritt als deren Vertreterin auf.

Die Ligue Communiste Révolutionnaire ist sicherlich die interessanteste Gruppierung der französischen radikalen Linken. Die LCR beruft sich auf Herbert Marcuse und gewann nach der Revolte von 1968 an Bedeutung. Ihren Wurzel hat sie in einer linken Strömung der Union des Etudiants Communistes. Diese Fraktion spaltete sich ab und gründete 1965 die Jeunesse Communiste Révolutionnaire (JCR) gegründet. Die JCR hatte großen Einfluss auf die Studentenbewegung und wurde im Juni 1968 durch ein Regierungsdekret aufgelöst. Ihre Sympathisanten schlossen sich erneut ab September 1968 um die Zeitung Rouge (Wochenzeitung für eine kommunistische Aktion) zusammen. Sie repräsentierte einige hundert Aktivisten, deren Durchschnittsalter unter 21 Jahren lag und deren Einstellung sich mit der von deutschen Spontis vergleichen lässt: gegen Politikastertum und Bürokratie, Staat und Kapital.

Die Vorgängerorganisation der LCR wurde 1971 gegründet. Nach deren Verbot entstand 1974 die heutige LCR. In der folgenden Zeit repräsentierte Alain Krivine die Partei, der erst in diesem Jahr von dem 28jährigen Briefträger Olivier Besancenot abgelöst wurde. Im Unterschied zu Krivine entspricht Besancenot, der zwar auch als Vertreter der Protestgeneration von Seattle und Genua auftrat, mit seinem biederen Habitus weniger einer radikalen Linken als dem sympathischen Durchschnittsfranzosen von nebenan. Gleichwohl erwies er sich als sehr medientauglich und erfreut sich großer Beliebtheit.

Die Aufstellung von Besancenot als Vertreter der traditionellen Arbeiterbewegung kann durchaus als Entgegenkommen gegenüber Lutte Ouvrière verstanden werden. Typischer für die LCR wäre eine Vertreterin aus einer der Initiativen gewesen, in denen die Ligue aktiv ist, wie beispielsweise die Arbeitsloseninitiative AC oder Attac. Denn die nicht viel mehr als 1 500 Mitglieder umfassende LCR blieb immer die undogmatischste aller genannten Gruppierungen, ihre innere wie äußere Disziplin lässt viel zu wünschen übrig.

Anfänglich hatte sie viele Anhänger aus der Schüler- und Studentenbewegung und der Armee, wo sie eine erfolgreiche Arbeit bei den Rekruten leistete, die mit hohem individuellen Risiko verbunden war.

Anfang der siebziger Jahre machte sie sich für Antifa-Milizen stark und sprengte faschistische Veranstaltungen. »Ras l'front« sucht auch heute noch die direkte Konfrontation mit Faschisten auf der Straße.

Bei den Wahlen von 1977 erreichte sie ihre besten Ergebnisse, in den großen Städten zwischen sechs und zehn Prozent. Obgleich auch die Ligue nach dem Amtsantritt der Regierung Mitterand hohe Verluste erlitt, blieb ihr Einfluss erhalten. Die LCR ist in der Arbeiterbewegung verankert. So arbeiten Mitglieder der Ligue in der linken Gewerkschaft SUD mit, die maßgeblichen Anteil an der großen Streikbewegung von 1995 hatte. Die hauptsächlichen Themen sind Immigration, Antisemitismus, Rassismus und kulturelle Fragen.

Nach dem Wahldebakel der etablierten Linken und der Dauerkrise des PCF entstehen derzeit Hoffnungen auf eine neue linke, breite und plurale Strömung. In der vergangenen Woche äußerten sich einige führende PCF-Mitglieder in Le Monde, dass sie unter Umständen bereit wären, in die LCR überzutreten. Im Südwesten Frankreichs, in der kleinen Industriestadt Fumel, erreichte das linksradikale Wahlbündnis mit einem LCR-Kandidaten, dass die lokale PCF auseinanderbrach. Jetzt wird neu strukturiert, diskutiert und vielleicht organisiert. Auch die etablierten Parteien versuchen, von dieser Entwicklung zu profitieren. In vielen Städten begeben sich Vertreter der Sozialistischen Partei mit Anzug und Krawatte in die Büros von Attac und AC und möchten mitarbeiten.

LO und LCR haben bereits Erfahrungen mit gemeinsamen Projekten gesammelt. Mehrfach stellten sich Laguiller und Krivine zusammen zur Wahl, und beide Gruppen organisierten jahrelang ein großes Pfingstfest vor den Toren von Paris. Auch Arbeitskämpfe wurden häufig gemeinsam geführt. Darin erschöpfen sich allerdings die mühsam ausgehandelten Gemeinsamkeiten. Ein Zusammenschluss von LO und LCR würde sich sicherlich negativ auf die offene und diskussionsfreudige LCR auswirken.

Die Auflösungserscheinungen des PCF könnten nur dann für eine radikale Linke fruchtbar sein, wenn diejenigen, die sich neu orientieren wollen, ihre eigene Geschichte und ihr politisches Scheitern reflektieren und nicht versuchen würden, weiterhin das zu machen, was sie ohnehin schon immer gemacht haben, nur in einer anderen Struktur. Neue Allianzen sollten sich in sozialen und intellektuellen Auseinandersetzungen bilden und nicht allein wegen des Zusammenbruchs bürokratischer Apparate.