Fußball in Japan

Nichts als Spannung

Während der Weltmeisterschaft zeigte sich, dass der Fußball in Japan sehr populär ist. Kein Wunder, denn seiner Einführung ging eine mehrjährige Marketingkampagne voraus.

Shinhatsubai: Neu, soeben erschienen, zu verkaufen. Shinhatsubai, das ist der Begriff, mit dem in Japan auf die Markteinführung eines neuen Produkts aufmerksam gemacht wird. Die Botschaft der drei Schriftzeichen begleitet die Inserate in den Medien und hebt die Werbedisplays in den Konsumtempeln hervor.

Shinhatsubai: Je größer das Produkt, desto gewaltiger die Schrift, desto größer die Kampagne. Vielleicht war die Einführung des Profifußballs in Japan die größte Marketingschlacht, die jemals auf dem heiß umkämpften Freizeitmarkt ausgetragen wurde. Tatsächlich wurde über Jahre hinweg in einer geschickt aufgebauten, mehrstufigen Strategie ein Spannungsbogen aufgebaut, in dem die Bedenken der Sponsoren, Medien und Konsumenten nach und nach beseitigt werden konnten.

Als 1989 die Öffentlichkeit über die Zulassungsmodalitäten der neuen Profiliga informiert wurde, war das nur der erste Schritt. In dieser Anfangsphase, in die auch die Inkorporierung der Profiliga (1991) fiel, sollte vor allem der Markenname der J.League popularisiert, aber auch die finanzielle Basis für das Unterfangen gelegt werden. Erstmals in der Geschichte des japanischen Sportmarketings wurde von Hakuhôdô, der zweitgrößten Marketingagentur des Landes, eine großformatige Marktanalyse durchgeführt, die das Potenzial eines professionellen Sportbetriebs ermitteln sollte.

Mit den Erfolg verheißenden Ergebnissen konnten die zunächst abwartenden Unternehmen als Geldgeber gewonnen werden. Exklusivverträge mit Hauptsponsoren für das Unternehmen J.League und offiziellen Sponsoren für die Veranstaltungen, also die Liga- und Cup-Wettbewerbe, wurden abgeschlossen. Die neuen Partnerschaften wurden medienwirksam inszeniert, aber erst in der nächsten Runde wurde das Interesse der Medien wirklich geweckt.

Die zweite Phase begann mit der offiziellen Vorstellung der nominierten Teams und ihrer Trikots. Von Anfang an zielte Hakuhôdô auf die Kaufkraft und Ausstrahlung einer Klientel, die traditionell weniger mit Fußball zu tun hatte, aber als Trendsetter für die Lancierung vieler Produkte unersetzlich ist: junge Frauen mit eigenem Einkommen, aber ohne eigenen Haushalt. Denn zu ihrer Konsumkraft gesellen sich noch die hohe Konsumbereitschaft und ihre Sogwirkung auf andere, nicht nur weibliche, Konsumenten.

Die Ausgangslage der Vermarkter ergab sich aus den Erfahrungen in den traditionellen Fußballländern, aber auch in Japan selbst. Wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist, 95 Prozent der Zuschauer auf dem Fußballplatz aber männlich sind, dann muss mit der Vermittlung etwas nicht stimmen. Dass dem Produkt keine Schuld zukommt, hatten die jungen japanischen Frauen wiederholt mit ihrem Interesse an vormals männlichen Bastionen wie Sumô, Pferderennen oder Automatenglücksspiel unter Beweis gestellt.

Hakuhôdô gewann Sony Creative Products als Exklusivpartner für die Gestaltung der Clublogos, Maskottchen und die Komposition von Teamsongs und eingängigen Slogans, die den weiblichen Fans die Identifikation mit dem Sport oder den Teams erleichtern sollten.

Die J.League forderte in ihrer eigenen Werbekampagne die Fans auf, nach dem Motto: »Sei der zwölfte Spieler im Stadion« zum erfolgreichen Abschneiden der jeweiligen Heimmannschaft und damit auch zum wirtschaftlichen Erfolg der Liga beizutragen. Das Merchandising, also die Vermarktung der Maskottchen, Spielertrikots und aller anderen Fanartikel, die mit den Logos und Symbolen der J.League und ihrer Clubmannschaften versehen waren, blieb der Ligazentrale vorbehalten.

Wichtig war schließlich noch die Wahl eines zugkräftigen Namens, der wie bei Shimizu S-Pulse, Nagoya Grampus Eight, Kashima Antlers und Urawa Red Diamonds in jedem Fall sowohl den Heimatort als auch das spritzige Image des Fußballs zum Ausdruck bringen sollte. In erster Linie bemühte sich Sony Creative Products um die Erfindung einer Sportkultur, die neuartig, bunt und aufregend zugleich war.

Die Vermarktung des Profifußballs setzte vor allem auf seine Fremd- und Neuartigkeit, die in Abgrenzung zum »essenziell Japanischen« des Baseballs in der Internationalität des Fußballs ihren Ausdruck fand. Legionäre gab es zwar auch im Baseball, sie spielten aber eine ganz andere Rolle. Während von den Baseballspielern implizit erwartet wurde, dass sie sich den Gepflogenheiten des Gastgebers anpassen, sollten sich die heimischen Fußballspieler eher den Gästen angleichen.

Und von ihnen gab es viele: Zico, Dunga, Pierre Littbarski, Gary Lineker, Salvatore »Toto« Schillaci oder Dragan Stojkovic sorgten in der Mitte der neunziger Jahre für beträchtlichen Medienrummel.

Im Vergleich zu den Baseballprofis wirkten Japans Fußballspieler wie Rockstars, bunter, schriller, offener und internationaler. Der Verteidiger von Shimizu S-Pulse, Katô Hisashi, meint: »Wir Fußballer waren die ersten professionellen Sportler, denen man erlaubte, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.«

Die Spieler und ihre Clubs traten in der dritten Phase erstmals in Aktion. Im Rahmen eines Cup-Wettbewerbs, der als Einführung ein halbes Jahr vor dem offiziellen Start der Liga ausgetragen wurde, präsentierten sie sich der Öffentlichkeit in Aktion. Gleichzeitig wurde die Nation von den Medien mit Hilfe von Spielberichten, Schautafeln und Schlagwortverzeichnissen in den grundlegenden Fußballregeln unterrichtet.

Der offizielle Anpfiff zur J.League erfolgte am 15. Mai 1993 im Nationalstadion in Tokio vor nahezu 60 000 Zuschauern, die in Volksfeststimmung die Kicker von Yokohama Marinos und Verdy Kawasaki anfeuerten. Die Spitzenteams aus der früheren Amateurliga dominierten zunächst auch das Geschehen in der J.League. Zum Beispiel gewann Verdy Kawasaki, damals noch mit der finanziellen Unterstützung des Mediengiganten Yomiuri, die ersten beiden Meisterschaftstitel; das ehemalige Nissan-Werksteam Yokohama Marinos holte sich seinen ersten und letzten Titel 1995. Seit der Mitte der Neunziger besetzten die Kashima Antlers (Hauptsponsor: Sumitomo Metal) und Jubilo Iwata (Yamaha) die Spitzenplätze in der Tabelle. Am Ende einer Saison gewinnt allerdings nicht die Mannschaft mit den meisten Punkten, der Titel wird zwischen den Herbst- und Frühjahrsmeistern ausgespielt.

Auch andere Regeln des Spiels wurden so gut wie möglich im Sinne maximaler Spannung angepasst. Ein Unentschieden als Endstand wurde den Fans erst gar nicht zugemutet; war nach einer halbstündigen Verlängerung noch immer kein Gewinner ausgespielt, folgte ein Elfmeterschießen.

Als Zugeständnis an die internationale Spielweise wurde dann 1999 zwar das Remis eingeführt, aber nur für den Fall, dass in der immer noch obligatorischen Verlängerung kein Golden Goal fiel. Als weitere Neuerung wurden Regeln zum Auf- und Abstieg beschlossen, da nun genügend Vereine registriert waren, um neben der bis 2005 auf 16 Clubs festgesetzten J1 eine J2 und sogar eine Art dritte Liga zu etablieren. Gleich im ersten Jahr stieg mit den Urawa Reds der bei den Fußballfans wohl populärste Verein in die zweite Liga ab. Allerdings verzeichnete das »japanische ManU« auch dort Rekord-Besucherzahlen.

Sie wurden nach dem ersten Hype mit über 20 000 Zuschauern pro Spiel zu einem essenziellen Problem. Nach drei sehr erfolgreichen Jahren gingen die Besucherzahlen, und damit auch die Einnahmen aus dem Kartenverkauf, dem Merchandising und den Fernsehrechten, kontinuierlich zurück. Fußballspiele wurden kaum noch in der Prime Time übertragen und liefen meist nur in den Regionalprogrammen. Gleichzeitig nahmen die wirtschaftlichen Probleme der Vereine zu.

Schließlich waren die wichtigen Teampositionen drei- bis vierfach besetzt, ehemalige Starspieler Europas und Südamerikas verdienten im Schnitt dreimal so viel wie ihre japanischen Kollegen. Um die J.League vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren, wurden 1999 Obergrenzen für die Anzahl der ausländischen Spieler und die Höhe der Gehälter eingeführt.

Verzerrend wirkt sich aber das allgemein höhere Lohnniveau Japans aus. Der wirtschaftliche Anreiz für Japans Fußballer, im Ausland zu spielen, war stets recht schwach. Selbst Spieler aus der zweiten Liga mussten zum Teil finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, wenn sie im Interesse ihrer Karrieren ins Ausland gingen. Nur manche, wie Nakata Hidetoshi, Asiens Fußballer des Jahres 1998, der nach Italien wechselte, oder Ono Shinji, der für Feyenoord Rotterdam stürmt, sicherten sich einen festen Teamplatz, während vor allem die Legionäre in der Premier League es kaum auf die Ersatzbank schafften.

Vor der Fußballweltmeisterschaft konnte die Bilanz jedoch wieder verbessert werden. Die Stadien wurden wieder voller, die Zuschauerrekorde der ersten Jahre wurden wieder erreicht. Zur Trendwende trugen neun komplett neue Stadien, die Ansiedlung zweier J1-Vereine in der Metropole Tokio, die Werbekampagnen der WM-Organisatoren und etliche Erfolge der Nationalmannschaft und natürlich die Weltmeisterschaft in diesem Jahr bei.