Verluste der Deutschen Telekom

Tote Leitungen

Die Deutsche Telekom erleidet den größten Verlust ihrer Firmengeschichte. Die Konzernleitung sucht noch nach einer Strategie.

Das neue Jahrhundert hatte sich die Deutsche Telekom irgendwie anders vorgestellt. Es sollte eigentlich das Zeitalter der modernen Kommunikationstechniken werden. Vor allem aber wollte sie auf dem wichtigsten Markt für Telekommunikation, in den USA, das große Geld verdienen. Auch der notorisch klamme deutsche Finanzminister, der den größten Anteilseigner der Telekom, den Bund, vertritt, war von dieser Vision begeistert. Die Investitionen in der Telekommunikationsbranche sollten die Grundlagen für einen prächtigen Aufschwung liefern.

Doch aus den großen Erwartungen wurde nichts. Stattdessen wartet das neue Zeitalter mit nichts als Enttäuschungen auf. Das gilt für Daimler-Chrysler und Kirch-Media ebenso wie für die Deutsche Telekom. Sie hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Verlust von fast vier Milliarden Euro ausgewiesen, mehr als im gesamten Vorjahr.

Die Lage sei ernst, aber nicht hoffnungslos, erklärte der neue Vorstandsvorsitzende Helmut Sihler. Das Unternehmen müsse jetzt seine finanzielle Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sihler bleibt auch nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten. Die Telekom hat sich gründlich verrechnet, keines ihrer prognostizierten Geschäftsergebnisse hält einer Überprüfung stand. Wie der Aktiengesellschaft eine solche Fehlkalkulation unterlaufen konnte und warum sich Banken und Anleger so leicht überzeugen ließen, kann sich heute niemand mehr so recht erklären.

Der neue Vorstandsvorsitzende, der zuvor den Chemiekonzern Henkel leitete, versucht daher, mit den Tatsachen ebenso sachlich umzugehen wie mit den Vorstellungen der Beteiligten. Er gilt im Gegensatz zu seinem Vorgänger Ron Sommer als nüchterner Betriebswirt.

Entscheidend für den weiteren Verlauf seines Krisenmanagements ist die Frage, ob seine Botschaft von der ernsten, aber nicht hoffnungslosen Lage der Telekom geglaubt wird.

»Es ist gut für die Telekom, dass sie ihren Sonnenkönig Ron Sommer verloren hat. Nun wird das Ausmaß der Misere sichtbar - der neue Chef kann aufräumen«, urteilt die Financial Times Deutschland (FTD). »Aber es ist schwer vorstellbar«, kommentiert die FTD weiter, »wo eine 'uneingeschränkte Überprüfung der Strategie' ansetzen soll, wenn 'nichts grundsätzlich geändert' werden muss.« Die Börsenzeitung stört sich ebenso an den widersprüchlichen Aussagen der neuen Unternehmensleitung. Einerseits habe sie versprochen, alles auf den Prüfstand zu stellen. Andererseits wolle sie keine grundsätzlichen Fehlentwicklungen erkennen.

Auch das Handelsblatt kritisiert diese Konzeptionslosigkeit. »Für die Telekom, ihre Mitarbeiter und Aktionäre bedeutet dies: Die Leidenszeit der Ungewissheit geht weiter, bis November, wenn wieder eine Quartalsbilanz ansteht.«

Die Entscheidung über den weiteren Kurs wird auch nicht dadurch erleichtert, dass die Krise bei der Telekom durchaus symptomatisch ist für die Situation, in der sich die gesamte Kommunikationsindustrie derzeit befindet. Die Deutsche Telekom hat ihre Aktivitäten in vier Sparten eingeteilt. Seine Stärke bezieht der Konzern aus dem klassischen Festnetzgeschäft, der T-Com. Vor allem die profitablen Geschäfte des kroatischen Tochterunternehmens Hrvatski Telekom haben zu dem positiven Ergebnis in dieser Sparte beigetragen. Hinzu kommt der Ruin einiger Konkurrenten und die harte Preispolitik gegenüber Privatkunden.

Nur in Deutschland ist die Geschäftsentwicklung wegen der schwachen Konjunktur negativ. Über die künftigen Profite werden hier vor allem die Sparten T-Mobile, T-Systems und T-Online entscheiden. Welche Kombination von neuen Technologien und Dienstleistungen sich als profitabel erweisen wird, ist dabei noch nicht abzusehen. Alle Geschäftspläne müssen nach Marktplätzen, Produktionsorten und Technologien überprüft werden. Soll sich die Telekom nun mit der neuen Mobilfunkgeneration herauswagen oder davon lieber die Finger lassen? Die spanische Telefonica hat sich für letzteres entschieden, sie ist aus dem UMTS-Projekt ausgestiegen.

Als äußerst problematisch haben sich auch die Investitionen in den USA erwiesen. Bislang hielten sich die Anleger an ein Wort Leo Trotzkis: »Amerika ist der Ofen, in dem die Zukunft geschmiedet wird.« Der Deutschen Telekom kommt es darauf an, sich auf dem amerikanischen Markt mit Voicestream durchzusetzen. Aber die Affären des US-Aktienwesens um Enron und Worldcom (Jungle World, 28/02) haben die großen Pläne der Manager vorerst zunichte gemacht.

Nun fällt es der Deutschen Telekom schwer, sich für eine klare Strategie zu entscheiden. Das propagierte Ziel, bis zum Ende des kommenden Jahres den derzeitigen Schuldenstand von 64,2 Milliarden Euro durch den Verkauf einiger Unternehmensteile auf 50 Milliarden Euro zu drücken, kaschiert die unklare Lage nur. Zudem hat der Vorstand die Gunst der Stunde genutzt, um die Projekte abzuschreiben, die sich längst als Flop erwiesen haben. Diese Operation erklärt größenteils den Rekordverlust.

Der Konzern kann dieses Vorhaben zwar seinen keineswegs pflegeleichten Kleinaktionären plausibel machen. Doch Sihler setzt seine eben erst erworbene Glaubwürdigkeit aufs Spiel, denn die Marktpreise für die auserkorenen Verkaufsobjekte wie TV-Kabel, Aktienpakete und Immobilien fallen.