Hier kommt der schwarze Sheriff

Roland Kochs Triumph bei der hessischen Landtagswahl scheint nicht mehr zu verhindern zu sein. Erfolgreich inszeniert sich der überführte Lügner als Macher. von alexander wriedt

Der Wahlkampfbus der hessischen CDU schiebt sich durch die enge Hauptstraße des kleinen Ortes Flieden bei Fulda und stoppt um 9 Uhr 30 vor dem Clubhaus des SV Buchonia. Vier Streifenwagen der Polizei sichern den Parkplatz, während der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und mit ihm 15 Journalisten aus dem Bus steigen und in den voll besetzten Saal einziehen.

Die Vorsitzende der Frauenunion Flieden, Regina Siwa, ist so aufgeregt, dass sie kaum die Begrüßungsrede vom Blatt ablesen kann. »Wir konnten es zunächst gar nicht fassen, dass Sie uns zugesagt haben, Herr Ministerpräsident«, sagt sie. Dem Herrn Ministerpräsidenten gefällt diese Demut, und er fordert die Fliedener Frauen auf, für ihn zu kämpfen, denn: »60 Prozent CDU in Flieden – das ist nicht genug!«

Es scheint, als stünde der Sieger der hessischen Landtagswahl am 2. Februar bereits fest. 48 Prozent der Hessen wollen nach der letzten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen die CDU und ihren Kandidaten Roland Koch wählen, nur 32 Prozent bevorzugen die SPD und den wenig bekannten Gerhard Bökel. Mit zwölf Prozent der Stimmen können die Grünen rechnen. Wenn es spannend bleibt, dann nur, weil Kochs Koalitionspartner, die FDP, an der Fünfprozenthürde zu scheitern droht. Deshalb kämpft Koch für die absolute Mehrheit.

In Hessen haben hauchdünne Mehrheiten Tradition. Mit nur zwei Sitzen Vorsprung bildete 1991 der bis zum Wahltag unbekannte und als »AOK-Vertreter« verspottete Hans Eichel die rot-grüne Koalition. Im Februar 1999 wurde er von Roland Koch besiegt, der mit einer rassistischen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Herzen der Wähler eroberte. Mit knapp 3 000 Stimmen über der Fünfprozenthürde bot sich ihm die FDP als Koalitionspartnerin an. Rot-Grün war am Ende, und Eichel ging als Finanzminister nach Berlin.

»Sie werden festgestellt haben, dass die Streitkultur in Hessen härter ist als in anderen Teilen Deutschlands«, sagt Koch zu den Journalisten im Wahlkampfbus. »Hier entscheiden immer ein bis zwei Sitze über Sieg oder Niederlage. Da brauchen wir harte, emotionale Debatten.« Die führt Koch auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. »Wir werden im ganzen Land bedroht von Menschen, die aus dem Ausland hierher kommen, um Straftaten zu begehen«, ruft er den CDU-Frauen zu, die nicken, als wüssten sie genau, wie gefährlich die Welt da draußen ist, außerhalb Fliedens, wo saubere Vorgärten nichts zählen und die Kriminellen die Straße beherrschen.

In Hessen habe die Polizei neue Fahrzeuge und Computer erhalten, Privilegien für Straftäter, wie etwa der Hafturlaub, seien konsequent abgebaut worden und »Rädelsführer« könnten nun sechs Tage in Unterbringungsgewahrsam genommen werden, lobt Koch seine Politik. Das Wahlprogramm der hessischen CDU führt 50 weitere derartige »Erfolgspunkte« auf.

Dazu gehört auch der freiwillige Polizeidienst in Marburg, den Koch nun im ganzen Land einführen will. Fünf Männer und Frauen, die aus etwa 40 Bewerbern ausgewählt wurden, ziehen nach ihrem Job eine Uniform an und und patrouillieren ehrenamtlich durch die Stadt. »Wir verhindern Straftaten allein durch unsere Präsenz«, sagt Karl-Rudolf Worms, der eigentlich Umwelttechniker ist. Immer wieder komme es vor, dass auf Spielplätzen Drogen, Bier und Schnaps angeboten würden. »Da schreiten wir ein.« Oder wenn Jugendliche auf dem Marktplatz säßen, Musik spielten und Bier aus Dosen tränken. »Denen sagen wir: Macht die Musik leiser und räumt euren Müll weg!« Kriminalistisch unsinnig, doch äußerst populär, ist die Bürgerwehr eines von Kochs Lieblingsprojekten.

Doch allein mit seiner Law-and-Order-Politik sind die guten Umfragewerte für die CDU nicht zu erklären. Koch hat es geschafft, das Image des erfolgreichen Machers aufzubauen, der sein Land saniere und die Wirtschaft brummen lasse. Koch spricht frei und eindringlich und verstärkt wichtige Aussagen mit sparsamen, aber wirkungsvollen Gesten. »Wir tun was«, das ist seine Botschaft. Seine Souveränität überspielt beinahe seine nicht gerade attraktive Erscheinung. »Unsere Anhänger müssen das Gefühl haben, dass wir unsere Versprechen halten«, erklärt Koch den Journalisten.

Bei seinem Lieblingsthema Bildung ist seine Bilanz auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckend. Koch ließ 2 900 neue Lehrer und 1 600 weitere Referendare einstellen, etwa 600 Millionen Euro gibt das Land jährlich zusätzlich dafür aus. Allerdings auf Pump, denn ihre solide Finanzierung hätte an anderer Stelle unpopuläre Einsparungen erfordert.

»Während die rot-grüne Landesregierung ohne Rücksicht auf Verluste gespart hat, um dem Vorurteil vorzubeugen, die Linken könnten nicht mit Geld umgehen, hat Schwarz-Gelb die Ausgaben erhöht und alle haben Beifall geklatscht«, sagt ein ehemaliges Mitglied der rot-grünen Landesregierung der Jungle World. Geradezu hilflos wirkt nun der Versuch Bökels, gegen die »rückwärts gewandte, ideologisch verklärte Bildungspolitik«, die auf Auslese, nicht auf Förderung gerichtet sei, Stimmung zu machen.

Für Rupert von Plottnitz, den ehemaligen grünen Justizminister Hessens, sind die derben Sprüche von Roland Koch nichts Neues. »Die Hessen-CDU war schon immer deutschnational bis an den Rand des völkischen Denkens«, sagt er. Leute wie Alfred Dregger oder Manfred Kanther hätten dafür gesorgt, dass die hessische Union das Selbstverständnis eines reaktionären Kampfverbandes habe. Zuletzt konnte sich die Öffentlichkeit im Dezember 2002 ein Bild davon machen. Die Namen reicher Deutscher in der Öffentlichkeit zu nennen sei eine »neue Form des Sterns an der Brust«, rügte Koch den Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, der auf einer Kundgebung die Namen einiger Millionäre vorgelesen hatte. Kochs Vergleich rief heftige Proteste nicht nur im Wiesbadener Landtag hervor. (Jungle World, 1-2/03)

Was Plottnitz allerdings überrascht, ist die Gleichgültigkeit der Wähler gegenüber der Schwarzgeldaffäre der CDU. »Die Leute scheinen es als Tugend anzuerkennen, wenn jemand eine solche Krise übersteht.« Der Macher schlägt den Moralisten. Kaum jemand mag sich daran erinnern, dass die hessische CDU mehrere Millionen Mark auf geheimen Konten in der Schweiz bunkerte. Anonyme Gönner »in Kreisen deutschstämmiger jüdischer Emigranten« hätten das Geld gespendet, log dreist der ehemalige Schatzmeister Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein.

Dass Roland Koch darüber informiert war, ist bis heute nicht bewiesen. Doch kaum jemand glaubt, dass einem Mann, der seine Partei so fest im Griff hat, ein ausgeklügeltes System illegaler Finanzierung nicht bekannt gewesen sei. Koch musste allerdings eingestehen, die Öffentlichkeit belogen und den Rechenschaftsbericht der CDU für das Jahr 1998 manipuliert zu haben, als er einen Betrag von 2,5 Millionen Mark aus dem Schwarzgeldbestand rückwirkend als privates Darlehen Sayn-Wittgensteins ausgab.

Gerade der Lüge überführt, log er auf der Pressekonferenz am 14. Januar 2000 gleich wieder, indem er den Eindruck erweckte, der Vorgang läge schon zwei Jahre zurück. In Wirklichkeit hatte er die Unterschrift einen Monat zuvor unter den Vertrag gesetzt. Abgehakt und vergessen.

Koch strahlt so siegessicher wie niemals zuvor, und keiner seiner Zuhörer zweifelt, wenn er sagt: »Wir werden diese Landtagswahl als Waffe gegen die rot-grüne Bundesregierung einsetzen.« Koch denkt eben über die Landesgrenze hinaus. Denn im Jahr 2006 will er Bundeskanzler werden.