Feuern, bis es knallt

Die Lösung der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands scheint gefunden: Der Kündigungsschutz muss weg. Nur die Gewerkschaften glauben noch nicht so recht daran. von alexander wriedt

Nur die Ungleichheit schafft den Anreiz, über sich hinauszuwachsen«, erklärt Hans-Olaf Henkel und warnt vor der »bedrohlichen Umarmung des Behördenstaates«, der sich auch an einem »total überzogenen Kündigungsschutz« zeige. Einige der Vorstellungen des früheren Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) werden wahrscheinlich bald verwirklicht.

Denn erstmals haben die Gewerkschaften dem Druck der Arbeitgeber und der veröffentlichten Meinung nachgegeben und sich bereit erklärt, über eine ihrer größten Errungenschaften zu sprechen, den Kündigungsschutz. Es gehe nur um Gespräche, nicht um Verhandlungen, beschwichtigt Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Geplant ist, die Sozialauswahl bei Kündigungen abzuschaffen. Statt die Mitarbeiter zu ermitteln, die den Verlust des Arbeitsplatzes am ehesten verschmerzen können, soll gegen die Zahlung einer Abfindung jeder entlassen werden können.

Sommer sagt, die Gewerkschaften seien »zu Gesprächen bereit, wenn es darum geht, den Kündigungsschutz zu modernisieren, indem er z.B. mit einem Recht auf Abfindung kombiniert wird«. Ein Ausverkauf des Kündigungsschutzes aber wäre »ein Zurück in die Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts«.

Was selbst innerhalb der Union umstritten ist, findet nun Einzug in die rot-grüne Politik. Den Weg hierfür ebnete der Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), als er Ende Januar bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts versprach, »Verkrustungen und Verriegelungen auf dem Arbeitsmarkt« zu beseitigen. »Besser Arbeit ohne Kündigungsschutz, als arbeitslos mit Kündigungsschutz«, stimmt Friedrich Merz (CDU) zu. Das ist die herrschende Meinung: Der Kündigungsschutz ist Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit.

Noch versuchen die Gewerkschaften, das Schlimmste zu verhindern. »Deutschland geht eisigen Zeiten entgegen«, warnt Sommer und prophezeit »gesellschaftliche Gegenwehr, dass es knallt«. Seine Sprache verrät, wie sehr er in die Defensive geraten ist. Noch kein Jahr im Amt, sieht er sich in die Rolle des Blockierers gedrängt.

Dabei sind die Gewerkschaftsfunktionäre bei der Sacharbeit schon längst flexibler, als sie vorgeben. Im Ruhrgebiet hat die IG Metall den Abbau Hunderttausender Arbeitsplätze akzeptiert und damit gleichzeitig ihre treueste Klientel, die Berg- und Stahlarbeiter, abgewickelt.

Peter Hartz, der Personalvorstand der Volkswagen AG, bastelt seit Jahren gemeinsam mit den Gewerkschaften an neuen Beschäftigungsmodellen, die meist mit erheblichen Gehaltseinbußen für die Beschäftigten verbunden sind. Der Flächentarifvertrag wird ständig verletzt, indem Sondervereinbarungen für einzelne Unternehmen ausgehandelt werden. Und wenn sich der Vorsitzende von Verdi, Frank Bsirske, von einer Forderung nach drei Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst auf 1,97 Prozent herunterhandeln lässt, wie vor kurzem geschehen, zeugt das nicht unbedingt von ideologischer Verbohrtheit.

Beim Kündigungsschutz ist es nicht anders. Die bisherige Regelung ist flexibler, als allgemein angenommen. Zudem gibt es keinen Beweis, dass eine weitere Lockerung neue Arbeitsplätze schaffen würde.

»Die in den Medien genannten Fälle sind oftmals unsinnig«, sagt Martina Perreng, Arbeitsrechtlerin beim DGB. Sie hat Recht. So wird etwa im Spiegel eine PR-Agentur vorgestellt, die fünf Mitarbeiter beschäftigt und gerne ein paar mehr einstellen würde. Wenn da nicht der Kündigungsschutz wäre, der ab einer Zahl von sechs Mitarbeitern gilt. »Das können wir uns nicht erlauben«, klagt der Leiter der Agentur, Martin Röbke. Denn wenn die Aufträge ausblieben, sei eine Kündigung »viel zu kompliziert und zu teuer«.

Offensichtlich ist Röbke schlecht informiert. Er kann schon jetzt ohne sachlichen Grund einen neuen Mitarbeiter auf sechs Monate befristet einstellen und diesen Vertrag dreimal verlängern. Das gilt sogar für besonders geschützte Personengruppen wie Schwerbehinderte und Schwangere.

Auch die Klagen von Handwerksmeistern, sie bräuchten für einen Großauftrag ein paar Gesellen mehr, stellten aber aus Angst, sie würden diese Leute am Ende nicht wieder los, keine ein, sind schwer verständlich. Denn die Einstellung kann auch sachlich begrenzt werden. Wenn der Großauftrag abgearbeitet ist, erlischt das Beschäftigungsverhältnis – ohne eine Kündigung und ohne eine Abfindung.

Selbst Festangestellte haben keinen »Beamtenstatus«, wie die Gegner des Kündigungsschutzes immer wieder behaupten. Der Arbeitgeber kann bei einem Mangel an Aufträgen frei bestimmen, ob er eine Abteilung schließt, Kurzarbeit einführt oder sein Personal reduziert. Zu dieser freien Entscheidung des Unternehmers gehört auch die Ablehnung neuer Aufträge oder das Ausgliedern einzelner Unternehmensbereiche.

So ist es keine Seltenheit mehr, dass die Pförtner entlassen werden, weil eine Wachschutzfirma billiger arbeitet, Kurierdienste die unternehmenseigene Versandabteilung ersetzen, Anwaltskanzleien die Rechtsabteilungen und Cateringunternehmen die Betriebskantine überflüssig machen.

Der Arbeitgeber muss vor Gericht lediglich beweisen, dass ein Arbeitsplatz weggefallen ist und er die richtige Sozialauswahl getroffen hat. Die Unternehmerverbände bemängeln, die gesetzliche Formulierung, »sozial ungerechtfertigte Kündigungen« seien unzulässig, sei zu schwammig. Deshalb könne fast jeder Rauswurf vor Gericht erfolgreich angefochten werden. Martina Perreng weist das zurück: »Der Richter überprüft lediglich, ob die Sozialauswahl nachvollziehbar ist. Er nimmt sie nicht selber vor.«

Eine 45jährige allein erziehende Mutter etwa, die einem Betrieb seit zehn Jahren angehört, muss grundsätzlich gegenüber einem 26jährigen, kinderlosen und allein stehenden Berufseinsteiger bevorzugt werden. »Weist der Arbeitgeber allerdings nach, dass der junge Mitarbeiter bessere Qualifikationen besitzt, etwa indem er über spezielle Computerkenntnisse verfügt, kann er bevorzugt werden«, erklärt Perreng.

Die Gewerkschaften vermuten deshalb, dass die Arbeitgeber weniger die Rechtsunsicherheit umtreibt. Vielmehr sollen ältere Mitarbeiter deshalb durch junge ersetzt werden, weil diese billiger und pflegeleichter sind. Der »Abfindungsbasar«, wie Wolfgang Franz vom Zentrum für europäische Wirtschaft es nennt, existiert nicht. »Weniger als zehn Prozent der Arbeitnehmer fechten die Kündigung vor Gericht an«, sagt der Münchner Arbeitsrichter Nikolaus Notter. Über 90 Prozent dieser Verfahren endeten zudem mit einer Klagerücknahme.

Wissenschaftliche Forschungen zum Kündigungsschutz sind rar. Die OECD veröffentlichte 1999 eine Studie zum Thema »Beschäftigungsschutz und Arbeitsmarktergebnisse«, in der sie 26 Industrienationen untersuchte. Ihr Ergebnis lautet: Ob lockere oder strenge Regeln, die Schutzbestimmungen hatten keinen nachweisbaren Einfluss auf die Beschäftigung und die Arbeitslosigkeit.

Den Gewerkschaften hilft das wenig. Zu oft haben sie mit markigen Worten gegen Veränderung polemisiert und am Ende doch wieder nachgegeben. Nun müssen sie zuschauen, wie die Gegenseite an Zustimmung gewinnt.

»Deutschlands Wohlstand wird zugrunde gehen, wenn wir die Gewerkschaftsfunktionäre nicht entmachten«, sagt der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle. Sein Vorbild ist die britische Premierministerin Margret Thatcher. Sie hat die Gewerkschaften auf ihre »reale Bedeutung zurechtgestutzt«, also entmachtet. Die eisigen Zeiten, die Sommer vorausgesagt hat, rücken näher. Nun ist es an ihm, zu beweisen, ob er eine »gesellschaftliche Gegenwehr« organisieren kann, »dass es knallt«.