Rauf auf den Markt!

Etwas Besseres als die Firma finden wir allemal. von holm friebe

In seinem Buch »A Thousand Years of Nonlinear History« macht Manuel De Landa auf eine gewichtige Differenz aufmerksam, die Fernand Braudel in seiner Geschichtsschreibung des Kapitalismus einzieht: die zwischen Märkten und Hierarchien. Die Dynamiken von Märkten, auf denen viele kleine Produzenten ihre Produkte feilbieten, unterschieden sich fundamental von der Logik des Unternehmens. Im Unternehmen herrschen Hierarchien und Weisungsstrukturen, die genau das Gegenteil von Marktabstimmungsprozessen darstellten (auch wenn neuerdings versucht wird, über Profitcenter den Marktgedanken innerhalb der Hierarchien zu emulieren).

Die historische Funktion von Firmen, Unternehmen und Konzernen zielte demnach genau darauf ab, Marktmechanismen punktuell auszuschalten und durch Hierarchien zu ersetzen. De Landa spricht deshalb von Unternehmen als Anti-Märkten, deren vorrangiges Ziel nicht Effizienz ist, sondern Kontrolle: Kontrolle über Marktanteile, Preise, Mitarbeiter, Politiker etc. Dieser Prozess begann bereits im 13. Jahrhundert, seit dem 20. Jahrhundert erstreckt sich die hierarchische Kontrolle auch auf die Nachfrage, indem sie versucht, Präferenzen durch Werbung zu manipulieren. Ein Gutteil der virulenten ideologischen Kritik am Kapitalismus und dem Fetischcharakter der Waren zielt nach der Definition von Braudel und De Landa genau auf die Ausschaltung von Marktprozessen.

Jeder, der schon mal einen großen Konzern von innen erlebt hat, weiß, dass die Unterscheidung in Märkte und Antimärkte stichhaltig ist. Was den »No Logo«-Aktivisten wie ein monolithischer Block erscheinen mag und von außen auch so wirkt, ist in Wahrheit immer ein Haufen zerstrittener und antagonistisch operierender Abteilungen, die innerhalb der Hierarchie taktieren. Umsatz, Gewinn, Marktanteil und Kundenzufriedenheit sind entgegen den frommen Corporate Identity-Bekundungen niemals Zweck und bestenfalls Mittel, die eigene Position abzusichern. Schon die formale Verfasstheit der Arbeitsprozesse und Befehlsstrukturen tötet jede Form der Kreativität.

Auch wenn das Fließband heute durch automatisierte Fertigungsstraßen, die röchelnde Kaffeemaschine durch den Capuccinospender ersetzt ist – wer sich in eine Firma begibt, unterwirft sich über kurz oder lang der Logik der Firma. Der Terminus »originelle und unangepasste Mitarbeiter« ist entweder eine Lüge oder ein Kündigungsgrund. Dass die Gewerkschaften immer noch der Vorstellung von der stringenten Erwerbsbiografie, vom Tariflohn mit 14. Monatsgehalt und vom normierten Arbeitstag mit Standardarbeitszeit anhängen, spricht dafür, dass sie selbst hierarchische Nichtmarktinstitutionen sind, darin den Konzernen, in deren Aufsichtsräten sie sitzen, nicht unähnlich.

Was aber tun? Eine Antwort könnte heißen: Zurück auf den Markt! Was ist die Entfremdung, die eigene Haut zu Markte zu tragen und sich flexibel den Marktbedürfnissen anzupassen, gegen die Entfremdung, in einer Firma zu arbeiten? Und: Etwas Besseres als die Firma finden wir allemal! Gegen die Marginalisierung des Einzelnen am hintersten Ende der Wertschöpfungskette lassen sich heute andere Mittel und Wege finden, als eine Firma zu gründen und einen Geschäftsführer zu ernennen: Damit beginnt nämlich das ganze Elend. Die mit dem Internet aufgekommene Idee der virtuellen Firma mag für einige Bereiche der Schwerindustrie, des Bankwesens und der Großhandelsorganisationen zu optimistisch und ungeeignet sein – auf kleiner Ebene funktioniert sie recht gut. Ein funky Name, eine gut gemachte Website, gemeinsames Briefpapier und Visitenkarten – mehr braucht es nicht, um von außen als Firma wahrgenommen zu werden. Denn Firmen können selbst nur Firmen wahrnehmen und deshalb auch nur mit Firmen kooperieren. Dabei arbeitet hinter den Kulissen jeder auf eigene Rechnung, die Aufteilung von Arbeit und Honorar wird bei jedem Job aufs Neue verhandelt. Freie Zeiteinteilung ist Pflicht, wie und wo jeder seine Arbeit macht, die Kür. In der Medienbranche funktioniert dieses Modell erfahrungsgemäß gut, aber auch auf anderen Sektoren bilden sich Einheiten, die nach diesem Bauprinzip operieren. Letztlich geht es um den Versuch, den Markt auf einer basalen Ebene zu etablieren und damit dem Ideal selbstbestimmten Arbeitens näher zu kommen.