Jesus in Monrovia

Der liberianische Präsident Charles Taylor steht mit dem Rücken zur Wand. Rebellen bedrohen seine Hauptstadt und ein UN-Tribunal sucht ihn als Kriegsverbrecher. von alex veit
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Wenn Charles Taylor in diesen Tagen die Zeit für einen Strandspaziergang hätte, könnten ihn dort unangenehme Phantasien bedrängen. Von Rebellenmilizen etwa, die den in die Enge getriebenen Präsidenten Liberias am Strand von Monrovia stundenlang quälen und schließlich brutal umbringen. Denn noch immer kursiert in Westafrika ein Videoband, das die Ermordung von Taylors Vorgänger im Präsidentenamt, Samuel Doe, zeigt, der 1990 dem Warlord Prince Johnson zum Opfer fiel. Der Rebellenführer wollte der Welt mit der Videoaufzeichnung zeigen, dass die alte Macht nicht mehr existiert und mit dem Körper des Präsidenten auch das ganze Land unter seiner Kontrolle steht.

Taylors Lage heute ist durchaus mit der misslichen Situation von Samuel Doe kurz vor dessen Ende vergleichbar. Zwei Rebellenmilizen kontrollieren einen Großteil des Landes und belagern inzwischen die Hauptstadt Monrovia, wo Taylor gleichsam in der Falle sitzt. Er verhandelt zwar mit den Rebellen, doch wurde auch sein Vorgänger ermordet, während seine Vertreter mit den Rebellen an einem Tisch saßen. Am Montag sollte zwar ein Waffenstillstand zwischen Taylors Regierungsarmee und den Rebellen der Liberians United for Reconciliation and Democracy (Lurd) sowie des Movement for Democracy in Liberia (Model) unterzeichnet werden, doch ob ein solches Abkommen lange eingehalten wird, ist unklar. Die Rebellen haben nämlich derzeit wenig Grund, kurz vor ihrem Ziel nachzugeben. Einzelne Milizionäre sollen bereits in Sichtweite von Taylors Residenz in der Nähe des Strandes sein.

»Ich werde Opfer bringen«, erklärte Taylor am Donnerstag der vergangenen Woche in einer hastig anberaumten Pressekonferenz. »Aber ich will einen Übergang vom Krieg zum Frieden, der reibungslos, sanft und intelligent ist.« Falls nötig, werde er für sein Volk sein Amt aufgeben. Aber nicht sofort, wie von den Rebellen in einem inzwischen zurückgezogenen Ultimatum gefordert worden war. Taylor präsentiert sich in den Medien momentan als Opfer einer internationalen Verschwörung. Darin hat er Übung: In einem BBC-Interview verglich er sich vor Jahren mit Jesus Christus, der zu seinen Lebzeiten ebenfalls als Mörder bezeichnet worden sei.

Taylor, der auch baptistischer Laienprediger ist, kennt die Macht der Medien. Bereits an seinem Einmarsch als Anführer einer kleinen Rebellenmiliz, mit dem vor 14 Jahren der Bürgerkrieg in Liberia begann, ließ er die internationale Öffentlichkeit über den BBC World Service teilhaben. Vor zwei Wochen allerdings schien ihm die Nachrichtenhoheit zu entgleiten. Gerade als er in Ghanas Hauptstadt Accra zu einer mühsam von der westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas organisierten Friedenskonferenz eingetroffen war, gab das von den UN gestützte Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone die Anklage gegen Taylor wegen seiner Rolle im dortigen Bürgerkrieg bekannt.

Der amerikanische Chefankläger des Tribunals, David Crane, erklärte, dass die Anklageschrift bereits Anfang März unterzeichnet worden sei. Die Veröffentlichung drei Monate später sei absichtlich erfolgt, damit der normalerweise einem UN-Reiseverbot unterliegende Taylor in Ghana verhaftet werden könne. Cranes Rechnung ging zu seiner erklärten »Enttäuschung« allerdings nicht auf. Statt den Angeklagten zu verhaften, setzte die über die Politik des Tribunals verärgerte ghanaische Regierung Taylor in ein staatliches Flugzeug und flog ihn zurück nach Monrovia.

Dort war nach dem Bekanntwerden der Anklage allerdings bereits Panik ausgebrochen. Die Bewohner des Stadtzentrums befürchteten ein blutiges Chaos, falls Taylor tatsächlich in Ghana verhaftet würde, und versuchten, die Innenstadt zu verlassen. Ihnen entgegen kamen 100 000 Flüchtlinge aus den Lagern rund um die Stadt, die Taylor gleichsam als Verteidigungsring an strategisch wichtigen Stellen hatte anlegen lassen. Denn die Lurd-Rebellen hatten die Anklageerhebung als Aufforderung zum Angriff auf die Hauptstadt interpretiert und den Flüchtlingen empfohlen, die Kampfzone zu verlassen. Die Regierungssoldaten hingegen gingen bereits zu Plünderungen über, anstatt Monrovia zu verteidigen.

Erst nach einer Ansprache Taylors auf dem staatlichen Sender Kiss FM beruhigte sich die Lage einigermaßen. Taylor erklärte außerdem, ein Putschversuch aus den Reihen seiner eigenen Regierung während seines Kurzaufenthalts in Ghana sei von seinem Armeechef verhindert worden. Anfangs verdächtigte er sogar seinen Vizepräsidenten Moses Blah, an dem Putsch beteiligt gewesen zu sein, was inzwischen aber dementiert wurde. Die BBC zitierte nicht näher definierte Quellen, die von einem Anruf aus dem US-Außenministerium berichteten. Blah sei von den USA zum Putsch aufgefordert worden, was diese allerdings ebenfalls dementieren.

Charles Taylor wird nicht nur vom Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone als ein Hauptverantwortlicher für die sich ausweitende Krise in Westafrika angesehen. Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen begrüßte das Rücktrittsangebot Taylors, dessen Regierung mit mehreren Wirtschaftssanktionen belegt ist. Die USA sollen nach einem Bericht von Africa Confidential inzwischen mit Frankreich einig geworden sein, auch den Export von Tropenholz, durch den Taylor zuletzt den Krieg finanzierte, mit Sanktionen zu belegen.

Liberia, das im 19. Jahrhundert von freigelassenen Sklaven aus den USA gegründet worden ist, war bis zum Ende des Kalten Kriegs eng mit den USA verbündet. Die USA unterstützen seit Jahren das Nachbarland Guinea militärisch, dessen Hilfe für die Lurd-Rebellen ein offenes Geheimnis ist. Diese Unterstützung verurteilten die USA bislang sehr milden Worten.

Die gewaltsamen Konflikte in Liberia, Sierra Leone, Guinea und Côte d’Ivoire hängen alle miteinander zusammen. Söldner aus Liberia sind zum Beispiel auf beiden Seiten des Bürgerkriegs in Côte d‘Ivoire engagiert, während die dortige Regierung die liberianische Model-Miliz unterstützt. Dabei geht es sowohl um das bloße Überleben prekärer Regime als auch um die Profite der Kriegsökonomien. Viele der Mächtigen nutzen dabei ethnische Gewalt, um Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen.

Verschiedene westliche NGO haben inzwischen eine militärische Intervention gefordert. Dafür stünden in Côte d‘Ivoire französische Truppen bereit, die dort einen Waffenstillstand durchgesetzt haben, während in Sierra Leone 13 000 UN-Blauhelme und britische Armeeberater stationiert sind. Ein amerikanisches Schiff mit 3 000 Marines ist inzwischen aus der Golfregion auf dem Weg nach Monrovia, um verbliebene US-Bürger zu evakuieren.

Zwischen allen Fronten steht die Bevölkerung Liberias, die inzwischen von humanitärer Hilfe weitgehend abgeschnitten ist. Leymah Gbowee von der liberianischen Sektion des Women’s Peace Building Network erklärte vor zwei Wochen in Accra: »Unsere Botschaft ist, dass wir den Krieg satt haben, dass wir das Wegrennen satt haben, dass wir des Hungers überdrüssig sind und dass wir die wenigen Leute, die unser Schicksal bestimmen, satt haben.«

Es besteht jedoch wenig Hoffnung, dass der Sieger im Kampf um Monrovia auf diese Botschaft hören wird.