No Dollars, no Marines

Die Kämpfe in Liberia dauern an, die angekündigte Intervention bleibt aus. Den westafrikanischen Staaten fehlt das Geld, die USA scheuen das Risiko. von alex veit
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Wie wir hören, redet die Ecowas über Dollars und Cents, wie viel den Soldaten bezahlt werden soll, bevor sie hierher kommen. Während dieses Gezänks sterben Menschen.« Nicht ohne Spott kommentierte der liberianische Verteidigungsminister Daniel Chea vergangene Woche die anhaltende diplomatische Auseinandersetzung um die bevorstehende militärische Intervention der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas in Liberia.

Chea, dessen Truppen bis auf wenige Enklaven im Inland nur noch das Zentrum der Hauptstadt Monrovia halten, spielte noch einmal den letzten Trumpf der Regierung aus, indem er den bereits mehrfach angekündigten Rücktritt von Präsident Charles Taylor in Frage stellte. »Präsident Taylor hat im Prinzip zugestimmt zu gehen. Was wir dafür bekommen haben, war ein heftiger Angriff auf die Stadt. Es ist ohne Belang, ob er geht oder nicht.«

Charles Taylor, gewählter Präsident und vom UN-Tribunal in Sierra Leone gesuchter Kriegsverbrecher, tut momentan, was fast alle Beteiligten tun: Er spielt auf Zeit. Zwar kündigte er bereits vor Wochen seinen Gang ins Exil nach Nigeria an, und am Samstag wiederholte er das Versprechen zurückzutreten. Doch er möchte erst gehen, wenn eine ausländische Interventionstruppe in Monrovia eingetroffen ist. Die US-Regierung hingegen, die von mehreren Staaten zur Intervention aufgerufen wurde, will erst aktiv werden, wenn Taylor im Flugzeug sitzt. Präsident George W. Bush schiebt die Entscheidung über einen möglichen Truppeneinsatz oder eine nur »logistische Hilfe« für die Truppen der Ecowas, die bereits für seine Afrika-Reise Anfang Juli erwartet worden war, immer wieder auf. Und die Ecowas kündigte immer wieder einen baldigen Einsatz an, ohne jedoch konkrete Vorbereitungen zu treffen.

Offenbar warten die westafrikanischen Staatschefs auf Zusagen der USA, den Truppeneinsatz zu bezahlen. Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo, dessen Land den Großteil der Soldaten stellen wird, erklärte, dass die Stationierung erst nach einem Waffenstillstand erfolgen würde. Bereits Anfang der neunziger Jahre stellten die Nigerianer eine Interventionstruppe, deren mehrjähriger Einsatz vier Milliarden US-Dollar gekostet haben soll. Das hoch verschuldete Land zögert nun, weil es fürchtet, die geschätzten 100 Millionen Dollar für die neuerliche Intervention wieder selbst bezahlen zu müssen. Inzwischen haben die USA ein Zehntel dieser Summe zugesagt, um für den Transport der Ecowas-Truppen aufzukommen. Außerdem ordnete Präsident Bush am Freitag die Verlegung mehrerer Schiffe vor die Küste Liberias an, um die Ecowas »logistisch zu unterstützen«.

Angesichts dieser Lage dachten die Milizenführer der Liberians United for Peace and Reconciliation (Lurd) offensichtlich, es sei Zeit, Fakten zu schaffen. Vor knapp zwei Wochen begann die Lurd ihren bislang heftigsten Angriff auf Monrovia. »Wir müssen jetzt die gesamte Stadt einnehmen. Es darf nicht so lange dauern, denn viele Menschen leiden«, erklärte der Lurd-Vorsitzende Sekou Damate Conneh. »Diesmal werden wir uns nicht zurückziehen.«

Gleichzeitig finden in der ghanaischen Haupstadt Accra Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Taylors, Rebellenmilizen und den Resten der politischen Parteien des Landes statt. Doch am Dienstag vergangener Woche lehnten die Lurd-Rebellen und ihre Kollegen vom Movement for Democracy in Liberia (Model) das von den Vermittlern vorgelegte Abkommen ab, da für die Rebellenführer keine hohen Posten in der Übergangsregierung vorgesehen waren. Bis zu den für Herbst vorgesehenen Wahlen sollte die Interimsregierung hauptsächlich aus Zivilisten bestehen. »Wir haben nicht die Absicht, das Abkommen in dieser Form zu unterzeichnen. Das Dokument soll momentan die wichtigsten Spieler, die für Frieden in Liberia sorgen können, ausschließen«, begründete der Lurd-Delegationsleiter in Accra, George Dweh, seine Ablehnung. »Die Politiker können die Kämpfer nicht entwaffnen.«

Ob die Rebellen und auch die liberianische Regierung allerdings überhaupt noch die Kontrolle über ihre Truppen haben, wird immer zweifelhafter. Die Lurd-Delegation in Accra war offenbar selbst überrascht vom erneuten Angriff ihrer Truppen in Monrovia und rief erfolglos zur Einhaltung des bestehenden Waffenstillstandsabkommens auf. Am Freitag verkündete die Lurd erneut einen Waffenstillstand, doch die Kämpfe gingen weiter. Indessen beschäftigten sich die Regierungsmilizen, die schon lange keinen Sold mehr erhalten haben, mit der Plünderung von Privathäusern.

Die Bevölkerung Monrovias reagierte auf die Kämpfe mit dem Mut der Verzweiflung. Zu Beginn der Angriffe zog eine Friedensdemonstration den Rebellen entgegen, bis Regierungstruppen sie vertrieben. Vor der US-Botschaft legten die Zivilisten Tote ab, um gegen die Untätigkeit der USA zu protestieren. Ein Mitarbeiter des UNHCR, der sich auf von der Lurd kontrolliertem Gebiet befand, berichtete, dass sich in seinem Wohnviertel eine Bürgerwehr gebildet habe, um Plünderungen der Rebellen zu verhindern.

Nach unbestätigten Angaben der liberianischen Regierung von letzter Woche sind bislang 600 Menschen den neuerlichen Kämpfen zum Opfer gefallen. Da die Lurd-Rebellen den Hafen eingenommen haben, wo sich die Lagerhäuser der Hilfsorganisationen befinden, sind die Bewohner der Stadt und insbesondere die Viertelmillion Flüchtlinge vom Land, die auf den Straßen der Innenstadt campieren, von Nahrungsmittelhilfe abgeschnitten. Auch die Trinkwasserversorgung ist zusammengebrochen, was eine Choleraepidemie immer wahrscheinlicher macht.

Indessen erhöhte sich in Washington der Druck auf Präsident Bush, eine Entscheidung über die mögliche Intervention zu treffen. Während seiner Afrika-Reise hatte Bush versprochen, bei der Lösung der Krise in dem Land zu helfen. Innerhalb der US-Regierung aber werden die Meinungsverschiedenheiten über die Liberia-Politik immer deutlicher. General Peter Pace, der 1994 den Rückzug der US-amerikanischen Truppen nach der gescheiterten Intervention in Somalia leitete, erklärte bei einer Senatsanhörung: »Nach meinem Urteil birgt die Situation große Risiken für unsere Truppen, die in die sich schnell verändernde und brisante Situation in Monrovia und dem Rest Liberias hineingeworfen werden.«

Außenminister Colin Powell hingegen machte in einem Interview der Washington Post kein Geheimnis aus seiner Frustration über die Situation. Er sprach von einer »Verpflichtung« für die US-Regierung, etwas zu tun, und zweifelte die Kapazität der Ecowas an, eine dauerhafte Intervention erfolgreich durchzuführen. Liberia brauche nicht »250 Typen ohne Equipment. Nur die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und vielleicht ein oder zwei andere Staaten haben diese Art von Fähigkeit innerhalb ihrer Armeen.« Deutlicher drückte sich nur noch der Senatsabgeordnete Donald M. Payne aus, ein Mitglied der Vereinigung schwarzer Kongressabgeordneter Black Caucus, im Hinblick auf die Meinung des Pentagon sagte er: »Es ist so, weil sie Afrikaner sind, weil sie schwarz sind und nicht zählen.«