Security für Deutschland

Nach den Anschlägen von Madrid sollen die deutschen Sicherheitsbehörden zentralisiert und Bundeswehreinheiten im Inland eingesetzt werden. von rolf gössner

Es sieht ganz danach aus, als würden wir nach den Anschlägen von Madrid mit einem dritten »Anti-Terror-Paket« beglückt. Wieder läuft es nach dem gleichen Muster wie schon vor und nach dem 11. September 2001. Politiker aller Couleur spüren vermeintliche Sicherheitslücken auf, machen sich an der Substanz der Bürgerrechte zu schaffen und verkaufen ihr zweifelhaftes Tun der verängstigten Bevölkerung als Sicherheitsgewinn.

Nach den Ereignissen vom 11. März in Madrid dreht sich die Debatte nicht nur um Einzelmaßnahmen und Gesetzesverschärfungen, sondern jetzt ist gleich die Rede von einer neuen »Sicherheitsarchitektur«. Der Umbau des liberal-demokratischen Rechtsstaats, wie wir ihn aus Lehrbüchern kennen, ist zwar schon längst im Gange, nun sollen aber zwei Tabubrüche hinzukommen. Langsam aber sicher scheinen die islamistischen Terroristen ihr Ziel zu erreichen. Liberalität und Bürgerrechte schwinden mehr und mehr, die Lehren aus der deutschen Geschichte werden vollends entsorgt und der autoritäre Sicherheitsstaat rückt in greifbare Nähe.

Vor etwas mehr als zwei Jahren sind zwei »Anti-Terror-Gesetzespakete« mit ihren höchst problematischen Regelungen in Kraft gesetzt worden. Obwohl sie noch nicht einmal vollständig angewendet wurden, obwohl niemand ihre Notwendigkeit und Effizienz abschätzen kann, erleben wir nun den nächsten Schub. An dieser Stelle soll ein erster Versuch unternommen werden, die geplanten Strukturveränderungen herauszuarbeiten, wobei die Probleme verstärkter polizeilicher Überwachung von Bahnhöfen und Flughäfen etc. ebenso vernachlässigt werden sollen wie die zweifelhaften Forderungen nach Videoüberwachung von Moscheen, nach einer abermaligen Verschärfung des Ausländerrechts oder nach Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung.

Militarisierung der inneren Sicherheit

An erster Stelle der Pläne steht die Militarisierung der inneren Sicherheit. Die Bundeswehr soll künftig im Innern eingesetzt werden dürfen, obwohl sie schon heute bei besonders schweren Unglücks- oder Katastrophenfällen – und dazu würde auch ein Terrorattentat zählen – zur Unterstützung anderer Hilfskräfte herangezogen werden kann. Doch die CDU fordert mehr. Sie will die im Grundgesetz festgeschriebene Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit, zwischen Militär und Polizei, zugunsten eines »Gesamtverteidigungskonzepts« vollständig aufkündigen.

Die CDU will die Bundeswehr im Krisenfall für präventiv-polizeiliche Aufgaben einsetzen und so zur militärischen Reservepolizei machen, obwohl Soldaten für derartige zivile Aufgaben keineswegs ausgebildet sind.

Eine solche Militarisierung der inneren Sicherheit ist in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr vom Mai 2003 bereits angelegt, ganz ohne Grundgesetzänderung. Dort heißt es: »Angesichts der gewachsenen Bedrohung des deutschen Hoheitsgebiets durch terroristische Angriffe gewinnt der Schutz von Bevölkerung und Territorium an Bedeutung und stellt zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr bei der Aufgabenwahrnehmung im Inland.« Und weiter: »Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten.«

Gegenwärtig wird im Bundesrat das Luftsicherheitsgesetz der Regierungskoalition verhandelt. Damit soll der Bundeswehr auf Befehl des Verteidigungsministers erlaubt werden, ein entführtes Flugzeug abzuschießen, wenn Terroristen oder verwirrte Personen drohen, es als Waffe zu missbrauchen. Obwohl es sich um einen schwer wiegenden Einsatz der Bundeswehr im Innern handelt, soll das Grundgesetz nicht geändert werden. Die CDU will diesem Gesetz nur zustimmen, wenn ihre Forderung nach einem Bundeswehreinsatz im Innern per Verfassungsänderung erfüllt wird.

Zentralisierung der Sicherheitsbehörden

Der zweite Punkt auf der Sicherheitsagenda ist eine grundlegende Strukturreform und Zentralisierung der Sicherheitsbehörden. Ziel dieser Neuordnung ist eine Steigerung der Effizienz von Polizei und Verfassungsschutz (VS). Nach den Plänen von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sollen die 16 Landeskriminalämter künftig nur noch als Außenstellen eines in allen zentralen Fragen weisungsbefugten Bundeskriminalamtes geführt werden. Selbst an eine »Superpolizeibehörde« aus Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz und Zoll ist gedacht, wobei mitunter das amerikanische FBI als Vorbild bemüht wird.

Auch die Organisation der Verfassungsschutzämter steht zur Debatte. Die 16 Inlandsgeheimdienste der Länder sollen abgeschafft oder zusammengelegt werden, das Bundesamt für Verfassungsschutz soll zentrale Kompetenzen erhalten. Bedenken gegen übermächtige und schwerfällige »Mammutbehörden« kontern die Befürworter dieser Zentralisierung mit dem Vorwurf »föderalen Eigensinns«.

Mit dieser Strukturreform im Affekt steht nicht nur das föderale Prinzip zur Disposition, sondern sie erscheint auch ziemlich geschichtslos. Denn eine allein an nicht überprüfbaren Effizienzaspekten ausgerichtete Strukturreform etwa des Verfassungsschutzes ist ein gefährliches Unterfangen, solange die bisherigen Pannen, Skandale und Kontrolldefizite dieses Geheimdienstes, wie sie im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren zutage traten, nicht aufgearbeitet sind. Bis heute hat sich in dieser Hinsicht kaum etwas getan. Die größte V-Mann-Affäre in der bundesdeutschen Geschichte ist offiziell nicht aufgearbeitet worden. Diese Untätigkeit ist umso bemerkenswerter, als schon der rot-grüne Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2002 eine Strukturreform der Geheimdienste vorsieht.

Gegen eine Reduzierung oder Auflösung der 16 Verfassungsschutzämter der Länder ist prinzipiell zwar nichts einzuwenden, denn damit würden schwer kontrollierbare Gefahrenquellen neutralisiert. Doch bleibt zu bedenken, dass die Bundesrepublik nach der Verfassung eben ein föderaler Rechtsstaat ist, in dem Polizei und Verfassungsschutz prinzipiell Ländersache sind, und zwar aus gutem Grund. So soll eine zentralistische und undemokratische Machtkonzentration verhindert werden, was besonders im Falle der Geheimdienste wichtig ist, die abgeschottet arbeiten, zur Verselbständigung neigen und mangels Transparenz nur schwer zu kontrollieren sind.

Trennungsgebot am Ende?

Die dritte Strukturveränderung soll eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei und der Geheimdienste sowie ein intensiverer Datenaustausch bis hin zur Forderung nach Aufhebung des verfassungsmäßigen Gebots der Trennung von Polizei und Geheimdiensten sein, immerhin eine wichtige Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Gestapo im Nationalsozialismus, die sowohl nachrichtendienstlich als auch vollziehend tätig war. Mit diesem Trennungsgebot sollte eine undemokratische Machtkonzentration der Sicherheitsapparate verhindert werden. Doch in den vergangenen Jahrzehnten ist die Trennung nicht immer aufrechterhalten worden.

Insgesamt bietet die neuerliche Sicherheitsdebatte wenig Neues. Alles wurde bereits einmal gefordert oder geplant. Es bedurfte offenbar nur eines neuen Terroranschlags, um die Pläne zu befördern. Wie bereits bei der Verabschiedung der ersten »Sicherheitspakete« wird auch diesmal nicht gefragt, ob nicht die bereits geltenden Gesetze zur Bewältigung der Gefahren ausreichen.