LeserInnenworld

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Jungle World 12/04: Thema

Ein Dojo von der Decke

Ich liebe die Bebilderung und die meistenteils großartigen Bildunterschriften in der Jungle World. Aber jetzt muss ich die verwirrende Putininterpretation beim Judotraining doch mal aufklären. Linkes Bild: Putin ist keinesfalls im Würgegriff. Vielmehr ist er gerade dabei, einen Schulterwurf anzusetzen, aber so dermaßen ohne Ehrgeiz, dass der Typ obenauf allein die Rolle eines nassen Sacks haben kann. Dieses Bild kann zehn Minuten so stehen bleiben, bis entweder der Trainer schimpft oder die beiden Hunger kriegen. Es wird nichts passieren. Putin hat lediglich seinen Gegner auf den Rücken aufgeladen. Putin übt den so genannten Seoi-Naye und hat im Leben jetzt nicht vor zu werfen. Schaut man aber den obenauf an, sieht man, dass seine Beine in die luftigen Höhen der heiligen russischen Halle reichen – sehr verwirrend. Er kann eigentlich nur oben von der Decke der Halle (ein Dojo) gesprungen sein, um im Seoi-Naye Putins zu landen.

beate

Jungle World, 10-14/04: Disko

Solidarität mit Israel ist logisch

Georg Seeßlen schrieb: »Nur ein Symbol, das seine eigene Abschaffung zu Inhalt hat, kann ein taugliches Symbol der Freiheit sein.« – d’accord. Und weiter: »Es ist leider noch nicht erfunden.« Doch: Der Staat Israel ist die Form, in der notgedrungen das absolute Minimum an gesellschaftlicher Vernunft aufbewahrt wird, das mit ihrem aktuellen Höchstmaß zusammenfällt – nicht ermorden sich lassen zu wollen. Wer den unlogischen Gedanken einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft nicht aus dem Kopf sich schlagen lassen will, muss daher mit Israel sich solidarisieren. Das gebietet wiederum die Logik. Als Symbol der Verbundenheit und ihres imperativen Charakters bietet sich das Zeichen Israels an, eben seine Fahne. Wenn die genannte Legitimation für den Staat Israel – der Antisemitismus in all seinen Erscheinungen – endlich verschwände, verlöre auch seine Fahne diese Bedeutung. Das ist Vorbedingung einer befreiten Gesellschaft. Scheitert Israel, geht jede bekannte Utopie mit ihm unter, die den Namen je verdient hat.

j. huber

Israel-Fahne tut gut

Zwar hat Ivo Bozic mit seiner Kritik am Missbrauch der israelischen Fahne in weiten Teilen Recht, der Teufel steckt aber im Detail. Es wird behauptet, Antideutsche hätten die Demonstration gegen Sozialabbau am 3. Oktober mit Israel-Fahnen funktionalisiert. Tatsächlich war zu diesem Anlass ein Banner mit Davidstern zu sehen; demonstriert wurde von fast allen aufrufenden Gruppen jedoch nicht gegen Sozialabbau, wenn man das derzeitige Umverteilungsprojekt denn so nennen möchte. Vielmehr ging es um die Folgen der deutsch-deutschen Vereinigung, die 1992 in Rostock-Lichtenhagen nicht weniger als 1999 im Kosovo zu besichtigen waren. Wem angesichts dessen v.a. »neoliberale Globalisierung« oder Postfordismus einfällt, dem kann eine Israel-Fahne zur Erinnerung an eine Folge aus den deutschen Verbrechen nur gut tun.

anja kuhn