Neuestes Deutschland

in die presse

Im Gegensatz zu den meisten anderen Zeitungen leidet das Neue Deutschland nicht unter dem Einbruch am Anzeigenmarkt. Im Gegenteil! Das ND konnte seine Anzeigenerlöse sogar steigern. Schließlich hat keine andere Zeitung so viele Todesanzeigen abzudrucken; und für Bestattungsunternehmen ist das ND nach wie vor die ideale Werbeumgebung. Doch bevor dem Blatt die völlig überalterte Leserschaft komplett wegstirbt, wirbt das ND jetzt mit einem großen Relaunch am 3. Mai.

»Die Seiten äNDern sich«, nennt sich die pfiffige Kampagne. Und Chefredakteur Jürgen Reents erklärte zu Ostern bereits die Grundzüge des »neuen ND«. Als Antwort auf den Hauptgrund der Abokündigungen, den Tod, kontert das ND mit einer wöchentlichen Beilage »gesund leben«. Die Gesundheit der Abonnenten ist das größte, aber auch das unsicherste Kapital des ND. Und noch mehr Neuigkeiten: Nicht nur, dass die Kommentarspalte auf Seite eins von der rechten auf die linke Blattseite wandert, es soll auch jede Menge neue Rubriken und Schriften geben, und sechs statt fünf Spalten. Den treuen Altlesern wird also einiges zugemutet.

Da jedoch das Personal in Redaktion und Verlag auch nach dieser Wende im wesentlichen das alte bleiben wird, muss nicht befürchtet werden, dass der tüddelige Stil, der biedere Charme, der eulenspiegelige Humor aus dem Blatt verschwinden. Reents’ großer Artikel zur Blattreform endet dann auch mit einer Erkenntnis, wie sie nur die sozialistische Tageszeitung aus Berlin hervorbringt: »Nichts ist so langweilig wie die Zeitung von gestern. Deswegen machen wir jeden Tag die für morgen.« Solche vermeintlichen Banalitäten muss nur verkünden, wer im Verdacht steht, die Zeitung für das Gestern oder für die Gestrigen zu machen. Doch nein: Vorwärts immer, rückwärts nimmer, ist das Motto. Und darum zieht das ehemalige SED-Zentralorgan im Frühling auch wieder in sein altes Verlagshaus am Franz-Mehring-Platz am Berliner Ostbahnhof. Mit diesem Ort verbinden sich schließlich die besten Zeiten des ND, zumindest was die Abozahlen betrifft.

jens gelderland