Alles, was nicht im Radio läuft

Ein Streifzug durch die israelische Alternative Music. von aviva mishmari

Formatradio ist angesagt in Israel. »Galgalatz«, der beliebteste Sender, gegründet und betrieben von der Armee, bringt doofe Hits und Verkehrsdurchsagen rund um die Uhr. Sein Slogan »Für die Musik!« ist, zwischen Liedchen von Sting oder Britney Spears, stündlich zwanzigmal zu hören. Und weil die anderen Stationen demselben Rezept folgen, klingen 90 Prozent des israelischen Radioprogramms gleich.

Und so ist die Definition von israelischer Alternative Music ziemlich großzügig, sie ist einfach »etwas, das du nicht im Radio hörst«. In die Kategorie passt so ziemlich alles von Funk über Elektro bis Blues. Etliches davon würde nie das Ohr eines Radiohörers beleidigen, und es läuft doch nicht im Radio. Und doch ist die israelische Alternative-Szene bunt, überraschend und anregend.

Auf dem winzigen Musikmarkt ist kein Geld zu holen, und wir sind zu schockiert und fertig von der allgemeinen Lage, um die ganze Zeit auf zornig zu machen. Das ist vielleicht der Grund dafür, weshalb es keine wirkliche musikalische Revolution gibt, nur hier und da ein Nest von Aufrührern. Hier sind ein paar dieser Nester.

David Peretz: Der blutige Blues

»Death Don’t Have No Mercy In This Land« von Reverend Gary Davis ist ein Blues aus den dreißiger Jahren. Wiederbelebt wurde er in Be’er-Sheva, der Hauptstadt des heruntergekommenen Grenzgebiets im Süden, wo David Peretz ihn ins Hebräische übersetzt hat. Der Death Blues aus den Dreißigern, sagt Peretz, ist wichtig für die Israelis, »die wissen, dass ihr Leben jäh enden kann, in jeder Minute, ob sie auf der Straße gehen, in einem Café sitzen oder mit dem Bus fahren«.

Der 34jährige Peretz suchte ein paar dieser Death Blues aus, übersetzte sie und nahm sie auf. Seine EP »Forward: Horizons« kam 2003 heraus, in einem Jahr, in dem 213 Israelis in über 3 800 Terroranschlägen und mehr als doppelt so viele Palästinenser während bewaffneter Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee getötet wurden. »Ich sah mich vor frischen Gräbern stehen und auf blutige Schlagzeilen starren und fragte mich, was los ist.«

Blues war von jeher sein Gebiet, in den Death Songs entdeckte er eine Möglichkeit, mit der unmöglichen Situation in Israel umzugehen und sich so etwas wie Lebensfreude inmitten der Zerstörung und des schier nie enden wollenden Konflikts im Nahen Osten zu bewahren. Trotz des Themas Gewalt klingen die Songs meditativ, freundlich und manchmal sogar lustig.

www.factrecords.co.il

Omry Levy: Nichts wie weg

Omry Levys Reaktion auf »Die Situation«, wie der Nahostkonflikt hier genannt wird, ist der von Peretz genau entgegengesetzt: Er will lieber weg von allem, und statt sich mit Politik herumzuschlagen, schreibt er persönliche, intime Songs auf Englisch. »Ich kriege die neuesten Nachrichten nicht mehr mit. Musik hilft dabei, der Wirklichkeit zu entkommen.« Levy (27) steht dabei nicht allein: Viele israelische Singer/Songwriter halten es wie er, einige von ihnen versuchen ihr Glück in Europa oder in den USA.

Aber warum Englisch? »Nach zwei Jahren in London erschien es mir ganz natürlich, mich auf Englisch auszudrücken«, sagt er, nur um hinzuzufügen, dass Englisch »eine Art von Maske« sei. Seine Muttersprache Hebräisch verrate zu viel, mache ihn zu verletzlich, wenn er diese allzu persönlichen Lieder singe. Und außerdem erreicht einer mit Englisch einfach mehr Hörer in der Welt. Der Beweis ist schon erbracht, denn zu Levys glühenden Fans gehören zwei brasilianische Teenager, die ihn im Internet entdeckt haben. »Sie warten darauf, dass endlich meine CD rauskommt, sparen schon auf sie und fragen mich nach den Gitarrenakkorden«, schmunzelt Levy, der im eigenen Land nicht gerade ein Superstar ist.

Insgesamt 80 Exemplare seiner CD hat Levy abgesetzt. Er hat nicht viel mehr erwartet, weil die komplette CD online verfügbar ist. »Ich weiß schon, dass ich dadurch ein paar Stück weniger verkauft habe, aber das ist mir egal.«

www.omrilevy.com

Sussita und Hot Fur: Zionismus und Zappa

»Israelische Folklore trifft Jethro Tull«, so beschreiben die Mitglieder von Sussita ihre Musik. Deren Songs wie »Adarim« (»Herden«) haben viel zu tun mit Musik, die in den Zwanzigern bis Vierzigern, also vor der Gründung des Staates Israel (1948), in dem zionistischen Anspruch entstanden ist, sich dem Kulturraum des Nahen Ostens anzupassen und mit den Arabern in Harmonie zu leben. Das gehörte zu dem großen Plan, einen »Neuen Juden« hervorzubringen, der zäher, stärker und »dem Land« näher wäre als der alte Jude des osteuropäischen Schtetl. »Adarim«, das orientalische Flöte mit arabischem Schlagwerk kombiniert, klingt wie ein Lied aus jenen Tagen. So verstanden wäre Sussita, auch wenn sie sich mit viel Mühe aus der Politik heraushält, eine zionistische Retro-Progressive-Band.

»Unsere Texte handeln von entlegenen Themen wie etwa der Wüste, oder auch einfach von Liebe. Wir versuchen uns an ungewöhnlichen Harmonien und Rhythmen, an Stoffen, die mehr vom Hörer fordern als das Hitradio, und doch bereiten wir das so auf, dass jeder ohne musikalische Vorkenntnis folgen kann. Wir peilen die Ausläufer des Mainstream an.«

Nun kann Sussita zwar Konzertsäle füllen, aber mit immer demselben Publikum, das zum sechsten oder siebten Mal kommt und auch die Entwicklung der anderen zehn Bands auf dem israelischen Prog-Rock-Markt mit derselben Sorgfalt verfolgt. »Einige erschienen erst nach dem zwölften Mal nicht mehr«, erzählt Eger lächelnd. »So gut wir auch sind, der Markt ist begrenzt. Was können wir da tun? Wir würden gern aus dem Dunstkreis von Liebhabern heraustreten, wir würden uns gern aufgeschlossener zeigen.«

Die Geschichte einer weiteren wichtigen Band aus der Prog-Rock-Szene, Hot Fur, macht klar, wie mager der Markt ist. Lior Frenkel, ihr Gitarrist, erklärt, sie folgten keinem »eindeutigen Stil, sondern mehr einer eigenwilligen Mischung von Stilen« von Frank Zappa bis Belcanto, aber obwohl die Band in der Presse dafür hoch gelobt worden ist, wollte niemand ihre zwei LPs veröffentlichen. Die sind nun kostenlos von ihrer Website downzuloaden.

Sussita: www.sussita.co.il/Hot Fur: www.geocities.com/hotfurensemble/

Adi Gelbart: Auftrieb der Elektrokühe

Eine Herde von Miniaturkühen covert einen Song von The Strokes. Das ist Adi Gelbarts schräges Projekt The Lonesomes. Die Kühe haben allesamt Namen und Persönlichkeit und, hey, spielen können sie auch! »Ich fing an, Country aufzunehmen, und auf einmal trotteten all diese Kühe ins Studio«, erklärt Gelbart (28). Vor fast 20 Jahren, als er mit seinen Eltern durch Deutschland, Österreich und die Schweiz reiste, spielten sie im Auto ununterbrochen Simon and Garfunkel. »Seither verbinde ich Folk mit Europa, also versuchte ich mich an europäischem Country.« Seine Musik kann auch als Country-Elektronik durchgehen oder, wie er selbst sagt, »als urbane Hommage an die freie Natur«. Diese Hommage ist auf seiner Website auch in einem speziellen »Landluft-Simulator« voller umherrasender Kühe, Bienen und Autos zu erleben. Das Resultat klingt nach einer Mischung aus einem alten Computerspiel und einer Countryband aus den Südstaaten.

Gelbarts Lieblingsmusik wird von völlig anonymen Technomusikern produziert und nur in gut sortierten Läden verkauft. Er wäre zufrieden, wenn er dazu gehören könnte. »Meine Alben in ein paar speziellen Läden in London und Berlin – mehr will ich gar nicht. Ich möchte außerhalb von Israel rauskommen, aber nicht im großen Stil. WFMU in New York spielt The Lonesomes ziemlich oft, das finde ich klasse.« Auch klasse ist, dass Gelbarts Compilation kürzlich in New York veröffentlicht wurde.

Spielt es eine Rolle, dass Gelbart Israeli ist? Keine große, meint er. »Meine Musik ist natürlich durch den Umstand beeinflusst, dass ich in Israel lebe, also in der Provinz, aber wer ich bin und was ich tue, ist weitaus wichtiger.«

www.gelbartmusic.com

Kruzenshtern and Parohod: Klezmers haben mehr Spaß

Der Name der Band ist dem beliebten russischen Trickfilm über Kruzenshtern, den Seemann, und sein Schiff (russisch: »parohod«) entlehnt. Der Klarinettist Ruslan Gross findet, die Musik seiner Band ähnele einem Trickfilm – schnell, intensiv, witzig und voller Anspielungen. Ihr Stil ist unmöglich zu definieren, aber wer ihn, mit etwas Phantasie, als »zwischen Klezmer-Avantgarde und ausgelassenem jüdischem Jazz« umschreibt, kommt der Sache doch ziemlich nah.

Von den drei Bandmitgliedern sind zwei in Osteuropa geboren, also keine Sabra (in Israel geborene Juden), was ihnen die besondere Erscheinung von Einwanderern verleiht und sie außerdem viel lockerer mit traditioneller jüdischer Musik umgehen lässt als den durchschnittlichen Israeli.

»Die Musik ist zwar ganz klar jüdisch, aber wir sind von allem Möglichen zwischen Jazz und Rock beeinflusst. Wenn uns jemand fragt, was wir spielen, lachen wir und sagen: Pop.« Das Konzept dieser Stilmischung, meint Gross, ähnelt dem von Mike Patton und dessen Projekt Milk Cult.

K & P singen Kauderwelsch, schreien, jodeln und lassen ansonsten Texte Texte sein. »Gesang ist bloß ein Instrument, um Gefühle auszudrücken. Wir wollen keine Botschaft vermitteln. Wir improvisieren auf der Bühne. Wenn wir also etwas rüberbringen wollen, dann etwas davon, wie wir an dem Tag, in dem Moment gerade drauf sind. Wir wollen das Publikum zum Lachen bringen.«

Gross träumt davon, spielen und aufnehmen zu können und sich ums Geld keine Sorgen machen zu müssen. Dass er in den Mainstream abrutschen könnte, beunruhigt ihn nicht. »Alles kann Mainstream werden, das hängt allein davon ab, mit wie viel Geld es gepusht wird. Wir haben es uns nicht ausgesucht, Underground zu sein.«

aus dem englischen von petra bail

Unabhängige Labels und Radios:

Fast: www.fastmusic.co.il/Ak-Duck: www.ak-duck.com/Mio: www.miorecords.com/Pookh: www.pookh.com/Earsay: www.earsayrecords.com106FM Radio: www.106fm.co.il/

Aviva Mishmari ist Journalistin in Tel Aviv