Der Zangengriff

Rehabilitationspolitik im Irak von jörn schulz

Nach dem Ende jeder Diktatur steht die neue Regierung vor der Frage, wie mit den Tätern des alten Regimes verfahren werden soll. Genügt es, die Hauptverantwortlichen vor Gericht zu stellen? Soll den Anhängern des alten Regimes eine zweite Chance gegeben werden?

Eine konsequente Verfolgung aller ba’athistischen Täter fordert kaum jemand. Sie würde das Land in ein Gefängnis verwandeln, denn 20 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung dienten im Repressions- und Herrschaftsapparat. Die neue irakische Regierung scheint den Kurs der US-Verwaltung, die seit Frühjahr die Rehabilitation der Ba’athisten betrieb, fortsetzen zu wollen. Die kurdischen und schiitischen Parteien kritisieren diese Politik, akzeptieren sie jedoch.

Für die Rehabilitationspolitik sprechen vor allem pragmatische Argumente. Sie könnte den »Widerstand« auf einen harten Kern ideologisch motivierter Terroristen zusammenschmelzen lassen, und die Reintegration der alten Fachleute würde den Wiederaufbau erleichtern.

Im Irak existierte nie eine »Volksgemeinschaft« oder eine terroristische Massenbewegung, wie sie für den Nationalsozialismus kennzeichnend waren. Die Ba’ath-Partei war eine putschistische Kaderorganisation, ihr Terror war eine staatlich angeordnete Herrschaftsstrategie. Deshalb schien es den US-Besatzungstruppen ausreichend zu sein, die Spitzen des Regimes zu verhaften.

Die jahrzehntelange ideologische Indoktrination hat jedoch tiefe Spuren hinterlassen. Der bewaffnete »Widerstand« war stärker als erwartet. Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass auch die nun von US-Vertretern genannte Zahl von 20 000 Kämpfern noch untertrieben ist, kann von einem »Volkskrieg« keine Rede sein. Wohl wissend, dass sie keine Chance zur Machtübernahme haben, konzentrieren sich Ba’athisten und Islamisten auf Terror gegen die Zivilbevölkerung und ökonomische Sabotage.

Gefährlicher für die Entwicklung der irakischen Gesellschaft ist die weit verbreitete Apathie – eine Folge der Atomisierung der Gesellschaft durch den ba’athistischen Terror, aber auch des Krieges. Denn die gesellschaftliche Mobilisierung, die Infragestellung aller Hierachien, die ein von der Bevölkerung erzwungener regime change mit sich bringt, kann eine Besatzungsmacht nicht bewirken. Stattdessen erwarten die Menschen vom Staat eine Besserung ihrer Situation.

Die Regierung aber ist nach der Übergabe der Souveränität vor allem mit dem Kampf gegen den Terror beschäftigt. Konzepte für eine politische Schwächung ba’athistischer Kräfte scheint es nicht zu geben. Die Kombination von Integrationsangeboten und härterer Repression bedeutet, das Verhalten gegenüber dem Staat zum entscheidenden Kriterium zu erheben. Wie rehabilitierte Ba’athisten über Demokratie und Menschenrechte denken, scheint keine Rolle zu spielen.

So könnte der irakische Staat in einen Zangengriff geraten. Der Kampf gegen den Terror führt unweigerlich zur Stärkung autoritärer Strukturen, und rehabilitierte ba’athistische Netzwerke im Staatsapparat werden sie zu nutzen wissen. Ein Bündnis mit den schiitischen Parteien ist unwahrscheinlich, doch diese arbeiten an ihrer Version der reaktionären Formierung, der »Islamisierung« der Gesellschaft. Die kurdischen Parteien, die KP und die außerparlamentarischen sozialen Bewegungen blieben dann als Befürworter einer säkularen Demokratie in der Minderheit.