Zentrum der Renitenz

Die Rote Flora feiert ihren 15. Geburtstag. Verändert hat sich seit ihrer Gründung vor allem die Umgebung. von jan freitag

Hamburg in den späten Achtzigern. Was waren das für Zeiten! Die Hafenstraße gilt in der ganzen Republik als Synonym für linksradikalen Widerstand, der Fußballclub mit den Autonomen im Fanblock aus dem benachbarten St. Pauli schafft es in die erste Fußballbundesliga, und das Schanzenviertel in Citynähe wird zum Zentrum der Renitenz.

Ein früherer Discounter für Haushaltswaren, im Jahr 1888 als Varietétheater am Schulterblatt erbaut, wandelt sich zum alternativen Kulturzentrum. Die Rote Flora hat noch heute einen großen Namen in den linken Mikrokosmen des Landes und ist mittlerweile das letzte besetzte Haus der Stadt. Jetzt feiert sie ihren 15. Geburtstag.

Wenn Ulrike über das Projekt spricht, klingt sie recht optimistisch. »Die Flora ist politisch derzeit nicht gefährdet«, beteuert die Frau aus der Pressegruppe, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch der Nachwuchs sei gerade sehr aktiv. »Vielleicht wird es 2006 wieder spannend«, meint die zweite Medienbeauftragte, nennen wir sie Nina, hinsichtlich der Bedrohung, die mit der Fußballweltmeisterschaft auf linke Institutionen zukommt. Sie sagt das gelassen.

Denn die Rote Flora hat schon so einiges überstanden. Das Kulturzentrum in dem gelben Jugendstilgebäude auf St. Pauli hatten viele totgesagt, als der Nutzungsvertrag am 1. November 1989 ohne einen freiwilligen Abzug der autonomen Kulturschaffenden ausgelaufen war. Aber es ging weiter. Die Flora trotzte einer nahezu als monarchistisch zu bezeichnenden Stadtregierung, die sich gleichzeitig um den Titel des konservativsten SPD-Landesverbands der Republik bewarb. Ein verheerender Brand ging dem denkmalschutzwürdigen Haus vor neun Jahren an die Substanz. Einem rechtspopulistischen Richter im Amt des Innensenators war es ein Dorn im Auge, wie auch der gesamten schwarzbraungelben Koalition. Eine »E-Schicht« genannte Polizeieinheit ging in ihrem Arbeitseifer so heftig gegen die Flora vor, dass sie sogar Amnesty International auf den Plan rief. Der Verkauf an einen privaten Investor inklusive einer nur vagen Bestandsgarantie blieb ohne Folgen, wie auch die nahezu dauerhafte Belagerung durch die Polizei nebst einiger Sondereinsätze. Auch die erfolgreiche Umstrukturierung des Viertels konnte dem Kulturzentrum nichts anhaben.

Sie sitzen gegenüber der Roten Flora, an langen Biertischen. Zu Hunderten. Schon beim ersten wärmenden Sonnenstrahl des Jahres strömen sie aus allen Ecken der Stadt in die Schanze und gehen erst wieder, wenn die Bäume kahl geworden sind. Sitzen, klönen, Milchkaffee schlürfen, Pornobrillen tragen, baggern, cool sein und auf die heruntergekommene Politoase gucken. Vor gut zwei Jahren wurde die so genannte Piazza eröffnet und vervollständigte mit einer schmucken Biergartenmeile die Anpassungsmaßnahmen des Schulterblattes an die Bedürfnisse der Generation Golf. Die hat Geld, die mag es gediegen. Jetzt, im Herbst, blickt sie auf einen riesigen Aufruf zur nächsten Demonstration gegen den Castor und eine stattliche Papprakete, die Investoren zum Mond schießen soll. Très chic.

Seit die New Economy in die Krise geriet, weist das Areal zwischen Schlachthof und Kiez Deutschlands höchste Konzentration an Werbe- und Webagenturen auf. Die Kreativen, die dort arbeiten, brauchen ein abwechslungsreiches Programm zur Inspiration. Sie gehen auf Konzerte, Parties und Veranstaltungen von Rage Against The Machine bis Silly Walks Movement, von DJ Hell bis Beginner, von Lesbischwulen Clubs bis Wir sind Helden und genießen die optische Mischung aus Verfall, Aufstand und Engagement an der Piazza.

Was für diejenigen, die in der Flora ein- und ausgehen, bloß ärgerlich ist, war für die Drogenszene ringsum fatal. »Der FixStern musste auch wegen der Piazza weichen«, mutmaßt Ulrike über die Schließung des benachbarten Druckraums vor kurzer Zeit und spricht damit ein Grundproblem des Projektes an: Direkte Angriffe aufs Haus sind selten, die Räumung ist erst mit dem Ende der Nutzungsgarantie durch den Besitzer Klaus-Martin Kretschmar in sieben Jahren zu erwarten. Doch das gesamte Umfeld, ja selbst die politisch-kulturelle Wahrnehmung ist von der Befriedung im Interesse des bürgerlichen Mainstream bedroht.

Die »Unterwanderungstaktik« trägt Früchte. Quartierssanierung, Entmietung, ein geplantes Luxushotel im nahe gelegenen Wasserturm, die Ansiedlung teurer Läden auf der einen Seite und die Invasion des Veranstaltungsortes durch die großstädtische Partycrowd auf der anderen werten die Flora als Ort auf, als Idee jedoch ab. »Ein Verbleib des FixStern am derzeitigen Standort wird von allen Beteiligten abgelehnt«, beteuerte der ehemalige Gesundheitssenator Peter Rehaag vor einem Jahr und lag damit trotz ansehnlicher Proteste gegen die Schließung gar nicht so verkehrt. Dank ihrer gezielten Vertreibung vom Hauptbahnhof zur Flora konnte die Drogenszene dazu benutzt werden, die AnwohnerInnen im Schanzenviertel gegen die Szene auf den Plan zu bringen.

Die Medien von BILD, Hamburger Morgenpost und Abendblatt über den NDR bis zum Spiegel hatten beharrlich nach AnwohnerInnen gefahndet, die von Spritzenhaufen bis zu den Knöcheln zu berichten wussten. Das Ergebnis der Hetzkampagnen ist, gelinde gesagt, eine gewisse Entfremdung. »Ich merke das Viertel gar nicht mehr richtig«, sagt Nina. »Es gibt da gar keinen richtigen Bezug.«

Die Flora ist also auf sich gestellt, ein Ort für Initiativen mit und ohne Bezug zum Projekt, mit allen üblichen Querelen. Mit dem unerlässlichen Antisemitismusstreit, der im Rahmen des Jubliläumsprogramms in die nächste Runde geht, mit Sexismusdebatten und Personalproblemen. Mit alternden Urgesteinen und jungen Sportautonomen. Mit kostenlosen Übungsräumen, einer Druckgruppe für dissidente Plakatästhetik, einer sporadischen Vollversammlung fürs Ganze und einem Plenum für die Organisation, dazu Moped- und Fahrradwerkstätten, die obligaten Cafés, das bestens sortierte »Archiv der sozialen Bewegungen«. Das alles klappt ganz gut, aber ohne eine rechte Außenwirkung, ohne den großen gesellschaftspolitischen Impuls. Es ist eben auch eine Epochenfrage.

Und dennoch: »Die Flora bedeutet noch was«, meint Ulrike zur Frage des Verhältnisses zwischen der Flora und den Hamburger Linken. »Wenn sie massiv angegangen würde, gäbe es eine riesige Mobilisierung.« Als Verträge mit der Stadt diskutiert – und abgelehnt – wurden, platzte die große Halle oft aus allen Nähten. Es ist wie mit dem Bauwagenplatz Bambule, wie überall: So richtig fällt einem das, was man braucht, erst auf, wenn es in Gefahr ist oder fehlt. Aber das kann ja noch bis zum Jahr 2011 dauern.