Ab in den Keller

»Der Besen im System«, der erste Roman von David Foster Wallace, liegt endlich auf Deutsch vor. von maik söhler

Schon oft ist die Frage gestellt worden, bei welchen Schriftstellern sich David Foster Wallace bedient habe, oder, freundlicher gesagt, von welchen er sich habe inspirieren lassen. Ebenso oft ist diese Frage, auch von Foster Wallace selbst, mit »Thomas Pynchon und Don DeLillo«, gelegentlich auch mit »Bret Easton Ellis«, selten mit »William Gaddis« beantwortet worden.

Dem deutschsprachigen Publikum, das von Foster Wallace bisher nur die beiden Erzählbände »Kleines Mädchen mit komischen Haaren« und »Kurze Interviews mit fiesen Männern«, die literarische Kreuzfahrtreportage »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich« sowie einige Essays kannte, dürfte dabei vor allem die letzte Antwort rätselhaft geblieben sein. Das ändert sich nun, da mit dem »Besen im System« sein erster, in den USA bereits 1987 erschienener Roman endlich auf Deutsch vorliegt und die Ähnlichkeiten zum häufig irrwitzigen Figurendialog im Werk von William Gaddis offensichtlich sind. Es gibt kaum einen Roman von Gaddis, in dem nicht ständig geredet, geplappert oder geplaudert würde, ohne Pause, Punkt und Komma, ohne Sinn und Verstand, ohne Anlass und ohne Ende.

Gleiches gilt für Foster Wallaces »Besen im System«. Man meint bereits nach wenigen Seiten in der Endlosschleife einer Talkshow ohne Werbeunterbrechungen zu sitzen, die Ohren rauschen schon, aber die Umgebung produziert immer noch mehr Geräusch, mehr Gespräch, mehr Gedröhne. Das ist kein Zufall, denn wie kaum ein anderer zeitgenössischer Schriftsteller schätzt Foster Wallace die Welt des Fernsehens, genauer: der Talk- und Quizshows, und weiß sie, wie wir es in vielen seiner Erzählungen sehen konnten, in Literatur zu übersetzen. So umgibt uns im Roman ein schier endloses Gemurmel, es wird lauter und lauter, bis man es nicht mehr ertragen zu können glaubt, bis man schreien und das Buch in den Keller sperren möchte, wo es weiter diesen Krach machen kann, es aber niemand mehr hört.

Doch genau in jenem letzten kurzen Moment vor dem Ausrasten wird es still im Roman, und einer hebt an, eine Geschichte zu erzählen, eine ruhige, eine schöne Geschichte voller Eleganz und Wahrheit, an der nicht vorbeikommen kann, wessen Ohren noch nicht vollends mit Geplapper vollgestopft sind. Man merkt zuerst gar nicht, wo diese Geschichte herkommt, und wer zurückblättert, um nachzusehen, wie es dazu kommen konnte, erlebt eine Überraschung.

Der da erzählt, heißt Rick Vigorous, er ist eigentlich die schlimmste Nervensäge in dieser Dauerkakophonie, soll heißen, er redet noch mehr als alle anderen. Das ist erstaunlich, denn seine Freundin Lenore Beadsman arbeitet in einer Telefonzentrale, in der zu allem Überfluss eine Störung zu Tausenden von fehlgeleiteten Anrufen führt. Außerdem sprechen regelmäßig die Kolleginnen aus jener Zentrale, ein Therapeut, ein Nymphensittich namens Vlad der Pfähler, eine Vermieterin, Lenores Familie, der Leiter eines Altenheimes, aus dem Lenores Großmutter Lenore zusammen mit 25 Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern verschwunden ist, ein neuer Lover Lenores sowie allerlei randständiges Personal, das sich irgendwann beim besten Willen nicht mehr zuordnen lässt.

Ganz im Gegensatz zu jenen kleinen, hübschen Geschichten, die Rick als Miteigentümer eines Verlages regelmäßig auf seinem Schreibtisch vorfindet, die Lenore wieder und wieder hören will und die er fast ebenso gerne wiedergibt. Als Lektor lehnt er sie dennoch allesamt ab. Die Gründe dafür bleiben rätselhaft, und sie sollen es auch bleiben, da die Figuren schon längst den Überblick verloren haben und einfach niemand mehr weiß, was er tut oder welche Gründe es dafür geben könnte, dies zu tun und jenes zu lassen. Oder, wie Rick in seiner »Fieldbinder-Collection« genannten Notatensammlung schreibt: »Nach einer einsamen Alptraumnacht liegt eine unvorstellbar hermetische Atmosphäre über Cleveland. Eine Atmosphäre, die ich nicht einmal ansatzweise beschreiben zu können hoffen kann. Wirklich.« Foster Wallace hingegen kann bereits vor dem großen und irren Finale nahe der Telefonzentrale sehr genau beschreiben, was jenseits der großen Geschichten übrig bleibt: »Die Beschissenheit dieses Tages war enorm.«

»Der Besen im System« will keine stringente Geschichte sein, sondern er sucht in der besten postmodernen Literaturtradition eines Thomas Pynchon die Stringenz der Geschichte (in allen Bedeutungen des Wortes) zu zerstören. Folgt man dem Roman, können allein die Subgenres, die Geschichten in der Geschichte, noch Bestand haben. Und auch sie können es nur, weil sie dem Verwertungszusammenhang entzogen sind, weil ihre Urheber sowie deren Motive im Dunklen bleiben, und weil Bestand zu haben erst mal nur bedeutet, nicht zum Objekt der massenmedialen Gesellschaft zu werden. Anders gesagt: Es gibt eine Sprache, die zur modernen Kommunikation nicht taugt, die sich ihr nicht unterwirft, die anders bleibt.

Das ist von Foster Wallace nicht konservativ oder kulturpessimistisch gemeint, sondern wird in einer luziden Mischung aus Spiel, Suche und Ideologiekritik ins Werk gesetzt. Lenores Oma Lenore hat bei Ludwig Wittgenstein studiert. Als sie verschwindet, kommen mit ihr auch ein Notizheft und ihr Lieblingssatz abhanden, den sie an ihre Enkelin weitergegeben hat: »Alles, was existiert, ist Sprache.« Doch ähnlich wie in Wittgensteins »Tractatus Logico-Philosophicus«, in dem nach der Entwicklung der Grundthesen dieselben sofort als »unsinnig« erkannt und überwunden werden, wird hier viel Wahres aufgezeigt, ohne deshalb zu behaupten, selbst die »Wahrheit« zu kennen. Außer dem Spaß an der Entwicklung und Zerstörung von Szenarien bleibt am Ende nicht viel übrig.

Wer in diesem Buch eine Hilfe zur Sinnsuche oder auch nur ein gefälliges Lesevergnügen erwartet, sollte besser zu einem anderen greifen. Die Lektüre des »Besens im System« ist, wie die anderer Texte von Foster Wallace, harte Arbeit, und sie ist es umso mehr, als es sich diesmal nicht um eine Erzählung oder einen Essay mit einer überschaubaren Seitenzahl handelt. Doch die Arbeit lohnt, bzw. wie Foster Wallace im Roman einen Kiffer äußern lässt: »Seien Sie versichert, diese Zigarette meint es tödlich ernst.«

Und doch dürfte es noch ernster kommen. Der Verlag hat angekündigt, »Infinite Jest«, das Mitte der neunziger Jahre entstandene und mehr als 1000 Seiten umfassende Hauptwerk von Foster Wallace, nun ebenfalls ins Deutsche übersetzen zu lassen. Im Herbst 2007 soll das Buch erscheinen.

David Foster Wallace: Der Besen im System. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 640 S., 24,90 Euro.