Wo Pfiffe sind, ist auch Betrug

Der Wettskandal um Robert Hoyzer wird auch von den Schiedsrichtern der Amateurligen heftig diskutiert. von alex feuerherdt

Der etwas angegraute Herr, vielleicht Mitte fünfzig, steht direkt über dem Tunnel zu den Umkleidekabinen, beugt sich herunter und schreit mich aus Leibeskräften an: »Was hast du dafür bekommen, du schwarze Sau? Du bist doch gekauft!« Er schüttelt drohend seine Faust, sein Kopf ist puterrot.

Es ist Anfang Oktober 2004, soeben habe ich das Spiel in der Oberliga Westfalen zwischen der Amateurvertretung eines Bundesligisten und einem ostwestfälischen Klub abgepfiffen. Es endete mit einer echten Überraschung: Die Gastmannschaft aus Ostwestfalen gewann 2:1, und für den erregten Zuschauer kommt daher offenkundig nur Schiebung in Betracht. An diesem Tag muss ich mich noch öfter fragen lassen, warum ich beim Stand von 0:0 das Tor für den Favoriten nicht gegeben habe. Von Abseits könne doch keine Rede sein, schließlich habe sich der Torschütze den Ball selbst vorgelegt. (Das hat mein Assistent allerdings völlig anders gesehen und deshalb die Fahne gehoben.) Außerdem sei dem 0:2 ein Foul eines Gästespielers vorausgegangen.

So etwas bringt der Job als Schiri nun mal mit sich, und je länger der Schlusspfiff zurückliegt, um so entspannter werden in der Regel die Diskussionen. Nicht selten wird der Sichtweise des Unparteiischen im weiteren Verlauf der Gespräche sogar Respekt gezollt. Emotionen gehören dazu, und den Vorwurf, bestochen worden zu sein, darf man als Referee deshalb einfach nicht so ernst nehmen. Zumindest galt das, bevor Robert Hoyzer zu seiner Beichte ansetzte und den »größten Bundesliga-Skandal seit 1971« (Spiegel) auslöste. »Nach diesem Schock ist nichts mehr so, wie es war«, schrieb der »Weltschiedsrichter des Jahres«, Markus Merk, im kicker und ergänzte: »Diese ganze Geschichte ist eine Steilvorlage für alle, die den Unparteiischen gerne etwas Schlechtes anhängen.«

Mir fällt mein Oberligaspiel in Westfalen wieder ein, und ich male mir aus, dass da künftig nicht nur ein kurz vor dem Herzinfarkt stehender Mittfünfziger sein Mütchen an mir und meinen Assistenten kühlen, sondern gleich die ganze Tribüne mit Wettscheinen winken und Hasstiraden intonieren wird. Keine schöne Vorstellung, in der Tat. Fußballfans neigen ja ganz grundsätzlich ein wenig zu plakativen Äußerungen, und wer nimmt schon gerne ausgerechnet den Schiri in Schutz?

Meine nicht so fußballbegeisterten Freunde haben wegen meines sonntäglichen Hobbys, dem ich mittlerweile seit 20 Jahren nachgehe, anfangs den Kopf geschüttelt (»Schiedsrichter? Wie kommt man denn auf sowas? Da wird man doch dauernd beschimpft!«), es aber irgendwann als eine Art Spleen akzeptiert, da ich ihnen versichern konnte, keine unerfüllten Allmachtsfantasien zu haben. Seit Hoyzers Geständnis vergeht allerdings kein Tag, an dem ich nicht mit irgendwem über meine offenbar eigenartige Freizeitbeschäftigung im Allgemeinen und über den »Schiedsrichter-Skandal« im Besonderen diskutieren muss.

Von denen, die Fußball höchstens alle zwei Jahre wahrnehmen – dann nämlich, wenn mal wieder eine Welt- oder Europameisterschaft stattfindet –, bekomme ich Fragen und Sprüche zu hören wie: »Hast du auch schon mal ein Spiel absichtlich verpfiffen?« (Nein, habe ich nicht, und mich hat auch nie jemand dazu anstiften wollen.) Oder: »Ich hab mich schon immer gewundert, wie du von deinem bescheidenen Gehalt leben kannst.«

Mit Schiedsrichtern wiederum pflege ich einen regen Telefon- und E-Mail-Kontakt, bei dem eher solche Fragen im Mittelpunkt stehen: »Glaubst du das alles? Traust du dem das zu? Was wird das für uns bedeuten?« Die Referees sind plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, und dort werden sie wohl auch noch eine Weile bleiben.

Selbst die lokalen Zeitungen greifen das Thema auf und lassen Verbandsoffizielle und Unparteiische zu Wort kommen, die ihre Betroffenheit kundtun und um Schadensbegrenzung bemüht sind. Man spürt, dass sie erschrocken und vielleicht auch ein wenig verunsichert sind. »Sollte ich merken, dass ich bei einer Partie befangen bin, gebe ich sofort die Pfeife ab«, wird ein Kollege aus der Oberliga in einem Kölner Blatt zitiert. »Ich bin Schiedsrichter geworden, weil es mir Spaß macht, neutral und fair zu sein. Da ist es vollkommen unvorstellbar, dass ich mit Absicht ein Spiel verpfeife.« Ein Schiri der Verbandsliga – der fünfthöchsten Spielklasse – gibt zu Protokoll: »Auch wenn die Aufklärung des Falles für fast alle Schiedsrichter aus dem Umkreis uninteressant ist, weil man auf ihre Spiele nicht wetten kann: Jetzt wird bestimmt jede zweifelhafte Entscheidung diskutiert werden.«

Das fürchten auch die Schiedsrichterfunktionäre. »Das bringt die ganze Zunft in Misskredit«, glaubt der Obmann eines Kreises im Fußballverband Mittelrhein, der von einem »Imageverlust« spricht und ahnt: »Jetzt wird es wohl noch schwieriger, junge Schiedsrichter zu finden.« Doch intern werden der »Fall Hoyzer« und seine Konsequenzen nicht nur ernsthaft debattiert; die meisten versuchen, die Angelegenheit auch mit Humor und (Selbst-) Ironie zu nehmen. Die Lage ist schließlich hoffnungslos, aber nicht ernst.

»Vielleicht fing es mit dem Wembley-Tor an, hinter dem die damals noch im Aufbau befindliche Russenmafia steckte. Vielleicht war aber auch schon das 3:2 von Helmut Rahn abgesprochen, der ungarische Torwart hatte ein Vermögen auf den Sieg der Deutschen gesetzt«, schreibt mir ein Regionalliga-Referee. Ein anderer schickt mir eine Mail mit dem Betreff »Das neue Schiri-Hemd 2005/06« und einem Bildchen mit einem gelben Schiedsrichtertrikot als Anhang, auf dem die Logos diverser Wettanbieter prangen. Der nächste schlägt vor, sich künftig gleich von der Firma »bet and win« ausrüsten zu lassen, und ein Kollege aus der Kreisliga erwägt, sich zum Karneval als »Schiri-Mafia« zu verkleiden – mit einem Dress, aus dessen Taschen Tipp- und Geldscheine quellen, einer dunklen Sonnenbrille und reichlich Gel in den zurückgekämmten Haaren. Schiedsrichterassistenten flachsen mit ihren »Gespannführern«, wie das im Fußballdeutsch heißt: »Jetzt weiß ich, warum du letztens in der 90. Minute den unberechtigten Elfmeter gegeben und im Gegenzug das reguläre Ausgleichstor nicht anerkannt hast. Wenn du mir die Hälfte abgibst, halte ich den Mund.«

Dennoch gibt es praktisch keinen aus der Riege der Unparteiischen, den Robert Hoyzers Offenbarung kalt lässt. »Druck habe ich – genauso wie alle Schiedsrichter – nach dieser Geschichte immens, und dieser ›Skandal‹ beeinflusst mein Privatleben ebenso nachhaltig wie mein Berufsleben. Von dem Pressezauber mal abgesehen«, stöhnt ein Referee, der am ersten Spieltag »nach Hoyzer« in der Bundesliga als Schiedsrichterassistent im Einsatz war, in einer E-Mail. »Ich war erschüttert, dass jetzt jeder Hanswurst meint, sich irgendwie äußern zu müssen, und nun jede kritische Entscheidung mit einer Manipulation in Verbindung gebracht wird. Das kotzt mich an – wie viele andere auch«, fügt er hinzu und hat damit zweifellos Recht.

Für Verärgerung sorgt bei nicht wenigen zudem die Umkehrung der Unschuldsvermutung. Die Medien – die vermeintlich seriösen kaum weniger als die Revolverblätter – vermelden nahezu stündlich neue Horrorgeschichten; jedes Gerücht wird aufgegriffen, jedes Gemunkel als Tatsache präsentiert. Verfahren wird nach dem Motto »Wo Rauch ist, ist auch Feuer«, weshalb sich etliche der Belasteten – obwohl juristisch haltbare Tatvorwürfe noch gar nicht existieren – gezwungen fühlen, in Windeseile eidesstattliche Erklärungen zu ihrer Nichtbeteiligung an dem Wettbetrug abzugeben. Wer es nicht tut, gilt gleich als überführt.

Noch hat die Rückrunde in den Amateurspielklassen des Fußballverbands Mittelrhein nicht begonnen, aber schon jetzt schwant so manchem Schiedsrichter Böses. »Nun werden sie einen nach jedem angeblich umstrittenen Pfiff des Betrugs bezichtigen«, mutmaßt ein Landesliga-Kollege, »vor allem, wenn er spielentscheidend war.« »In den unteren Klassen ist das noch schlimmer als in der Bundesliga, weil man das Gepöbel bei 50 Zuschauern besser hören kann als bei 50 000«, pflichtet ein Unparteiischer aus der Kreisliga bei. »Und wenn man in Zukunft nach dem Spiel noch auf ein Bier und ein Würstchen am Sportplatz bleibt, kann man wahrscheinlich froh sein, wenn man nur schief angeguckt wird«, bemerkt ein Bezirksliga-Schiri genervt. »Hoffentlich ist das bald vorbei«, hört man von vielen, die allerdings fürchten, dass die Nachwirkungen noch lange andauern werden.

Aber die Stimmung ist auch trotzig. »Jetzt erst recht! Mir verdirbt keiner den Spaß am Pfeifen«, mailt mir ein Kollege, der seit etlichen Jahren Spiele in der Oberliga leitet und als einer der souveränsten seiner Klasse gilt. »Da muss man grundsätzlich drüber stehen, aber wenn mir ein Spieler sagt, ich sei bestochen, schmeiße ich ihn raus. So einfach ist das. Aber so habe ich es eigentlich auch schon immer gemacht.«