Billigarbeiter ­machen Angst

Die Debatte um die Liberalisierung von Dienstleistungen von anton landgraf

Der Schrecken besitzt einen Namen und ein Gesicht. Mit seinem klapprigen Bus fährt er durch Europa und bringt Handwerker in Berlin oder Fliesenleger in Paris um ihren Job. Die Angst vor dem polnischen Klempner, dem Sym­bol für die hemmungslose Liberalisierung des europäischen Arbeitsmarktes, bestimmte bereits im vergangenen Jahr den Ausgang des französischen Referendums über die EU-Verfassung. Nun treibt sie die Proteste gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie an.

Tatsächlich wäre nach den Plänen des früheren EU-Binnenmarkt-Kommissars Frits Bolke­stein eine Kontrolle des Arbeitsmarktes kaum mehr möglich gewesen. Anstelle des nun entschärften Herkunftslandprinzips sollen wieder stärker die jeweiligen nationalen Standards gelten.

Doch hinter den Protesten gegen die Deregulierung sozialer Richtlinien zeigt sich eine noch viel tiefer liegende Skepsis. Es ist die Ahnung, dass die Union nicht das ist, was sie vorgibt zu sein: ein Instrument zur Bändigung der sozialen Folgen der Globalisierung. Stattdessen erscheint sie selbst als ein Hebel zur rücksichtslosen Durchsetzung von Deregulierung, Privatisierung und reduzierten Staatsaktivitäten.

Spätestens mit der »Lissabonner Strategie« hat die EU 1999 das Ziel formuliert, innerhalb von zehn Jahren weltweit zum stärksten Stand­ort zu avancieren. Die damit verbundene »koordinierte Beschäftigungsstrategie« entpuppt sich dabei vor allem als Mittel, um Arbeitslose unter Druck zu setzen und die Standards für die Beschäftigten zu senken.

Von ihrem ehrgeizigen Ziel ist die EU noch weit entfernt. Gleichzeitig gerät sie durch die Konkurrenz aus China und neuen »Tigerstaaten« wie Indien oder Brasilien unter Druck – durch Staaten also, in denen Sozialsysteme keine Rolle spielen.

Während die Liberalen nun glauben, die EU könne nur als eine Art große Freihandelszone den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf bestehen, träumen die »Föderalisten«, allen voran in Deutschland und Frankreich, von einer politisch geeinten EU und einem »europäischen Sozialmodell«. Sie argumentieren mit sozialer Sicherheit und Umweltstandards, kulturellen und öffentlichen Diensten. Sie wenden sich daher gegen die Öffnung ihrer Arbeitsmärkte, beschließen aus Furcht vor Billigarbeitern aus dem Osten lange Übergangsfristen und wenden sich gegen die Liberalisierung von Dienstleistungen. Sie können sich dabei auf eine merk­würdige Koalition aus Linken, Gewerkschaften und rechtsnationalistischen Gruppen stützen, die vor allem aus den »alten« Mitgliedstaaten stammen und die ihre jeweiligen nationalen Standards verteidigen wollen.

Dahinter verbergen sich auch oft protektionistische und nicht selten xenophobe Tendenzen, die sich gegen die vermeintliche Konkurrenz, etwa aus den östlichen Beitrittsländern oder den potenziellen Beitrittskandidaten, wenden. Nicht zufällig waren etwa in Frankreich die EU-Verfassungsgegner im vergan­genen Jahr gerade dort besonders stark, wo Jean-Marie LePen ebenfalls gegen das »unsoziale« Europa wetterte und zum Kampf gegen polnische Klempner und Fliesenleger blies.

Die Forderung nach staatlicher Regulierung steht damit vor einem paradoxen Problem. Sie bietet nur eine Perspektive, wenn sie mit einer gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik verbunden ist. Doch dies kann wiederum nur schwer gelingen: Zu viele nationalstaatliche Interessen wären dafür zu überwinden.