Singen für Arme

Jede Bewegung bekommt die Songs zu hören, die sie verdient. Ein Blick auf das musikalische Programm der G8-Proteste von markus ströhlein

Die Mütze sitzt lässig schief, doch der Blick ist mahnend in die Kamera gerichtet. Dann folgt der finale Appell: »Yo, was geht ab? Hier ist Jan Delay. Kommt bitte alle nach Heiligendamm, auch wenn sie uns nicht durch den Zaun lassen werden. Jan Delay und Disko No.1 werden ein furioses Konzert spielen. Kommt da hin, nehmt euch einen Schal mit und eine Kapuze!«

Der Musiker taucht nicht nur in dem Filmchen »Move against G8« auf, mit dem der Protest gegen das G8-Treffen in Heiligendamm im Videoforum Youtube und auf anderen Internetseiten beworben wird. Sein Song »Söhne Stammheims« ist auf dem Sampler »Move against G8« zu finden. Neben Jan Delay gibt es noch Stücke von Gentleman, Blumfeld, Wir sind Helden, Kettcar, Madsen, Tocotronic, Tom­te, Rainer von Vielen, den Toten Hosen und anderen zu hören. Eine Gruppe, in der »kulturpolitische Aktivisten« aus antifaschistischen Gruppen, von Attac, aus der Interventionistischen Linken, von Labels und Veranstaltungsagenturen arbeiten, hat den »Soli-Sampler« Anfang Mai veröffentlicht.

Natürlich dient die CD nicht nur dem niederen Zweck, Geld zu beschaffen. Vielmehr soll sie, wie auch die stattfindenden Konzerte, dem Spektakel »auch einen lebensfrohen und tanzbaren Ausdruck verleihen«. »Lebensfreude« kommt in der Regel nur dann auf, wenn sich asketische Protestanten treffen, um in Maßen auf den Putz zu hauen. Wirklich überraschen kann der verunglückte Versuch nicht, der Bewegung den Hedonismus anzudichten. Schließ­lich hat sie Verzicht und Antikonsumismus zur Alltagsreligion erhoben, wie Sven Giegold von Attac im »Mobilisierungsclip« gleich nach Jan Delay ausführt: »Wir brauchen weniger Fleischkonsum, stattdessen ein Leben, das weniger auf Konsum, sondern auf ein besseres Miteinander, mehr Bildung, mehr Kultur abhebt.«

Musik um ihrer selbst willen zu hören, kommt für die G8-Gegner gar nicht in Frage. Dieser Haltung folgen die auf der CD zu findenden Bands und Musiker allzu gern. Sie haben mehr oder minder offensichtlich engagiertes Liedgut beigesteuert. Es legt sich eine Aura der Bedeutungsschwere in den Raum, sobald die erste Textzeile erklingt. Bands wie Kettcar und Tomte bekunden mit viel- und deshalb irgendwie auch nichtssagenden Worten ihr Unbehagen an der Welt. Madsen spenden Trost mit der Weisheit: »Du schreibst Geschichte!« Wir sind Helden schließen mit der aufmüpfigen Ankündigung: »Wir sind gekommen, um zu bleiben!« Man kann nur hoffen, dass sie das Versprechen einlösen und nie wieder aus Rostock zurückkehren.

Expliziter formuliert der Reggae-Sänger Gentleman sein Anliegen. Mit »Jah«, also Gott, auf seiner Seite bläst er in dem Song »Caan hold us down« zum Angriff auf »Lucifer« und »Babylon«, wie der gott­lose Westen im Rastafari-Jargon genannt wird. Jan Delay hält es weniger mit der Religion als mit der RAF. Sein Song »Söhne Stammheims« ist bereits alt, aber doch aufschlussreich. »Die, die Unheil und Armut und Krankheit verbreiten, für sie herrschen sorg­lose Zeiten, da kein bisschen Sprengstoff sie daran hindert, ihre Geschäfte zu betreiben«, heißt es in dem Stück.

Der Musiker Rainer von Vielen hat ebenfalls genug von der Geschäftemacherei. »Es wird geschachert«, empört er sich im Videoclip »Move against G8«. »Tanz die Revolution« heißt Rainers Song wenig originell. Die Revolution, die mit dem »Schacher« aufräumen wollte, haben schließlich schon andere lange vor ihm ausgerufen.

Engagierten Künstlern genügt es nicht, einen Song für eine »Soli-CD« gespendet zu haben. Sie wollen ganz vorn dabei sein. So treten im Programm rund um die Großdemonstration am 2. Juni in Rostock Wir sind Helden, Madsen und Irie Révoltés auf, die auch auf dem Sampler zu hören sind. In einem Camp in Reddelich spielen Kettcar, Rainer von Vielen und weitere Bands. Am 3. Juni steht auf dem Rostocker Stadthafengelände Jan Delay auf der Bühne. Vielleicht bringt er seinen eigenen »Schal« mit. Auf dem Cover der HipHop-Zeitschrift Juice trug er schon einmal das so genannte Palästinensertuch unter der Mütze. Im Branchenblatt Notes tat er vor einigen Jahren kund, er könne »nichts mit Zionismus, Studenten, Politikern und Junkies anfangen«. In den fest geschlossenen Reihen des Demo-Blocks »Palestine – No wars, no walls« wird man unter diesen Voraussetzungen sicher ein Plätzchen für den Rapper haben.

Die Sängerin Bernadette La Hengst tritt nicht nur mit ihrem Song »Nie mehr vor Mittag« auf der CD in Erscheinung. Sie hat mit einer Theatergruppe einen »Kasperle-Film« gedreht. George Bush wird als Kasper, Angela Mer­kel als Gretel und Tony Blair als Seppl dar­gestellt. Ein Kasperletheater verfehlt in Kin­dergärten eigentlich selten seinen Zweck: Die Welt wird wunderbar einfach erklärt, und die Zuschauer können sich gemeinschaftlich auf die Seite des Guten schlagen.

So passt auch der »Kasperle-Film« bestens ins Kulturprogramm der Protestbewe­gung. »Gemeinsam gegen den G8-Gipfel 2007« heißt der Untertitel des Samplers. Die mit der Kultur befasste Arbeitsgruppe animiert zum »Mitmachen« und dazu, »sich einzubringen« und »einzureihen«. Bei einer derartigen Gemeinschaftsduselei wirkt der Blumfeld-Song »Diktatur der Angepassten« auf der CD beinahe wie ein ironischer Kommentar.

Die bisher geäußerte Kritik an der Platte hat freilich einen anderen Grund. »Mir sind natürlich Sampler von Aktivisten für Aktivisten im Sinne von D.I.Y. weitaus lie­ber«, beschwerte sich jemand schon vor der Veröffentlichung des Albums auf Indy­media. Das »Mainstream-Produkt« kann die hohen Anforderungen der »Basis« an eine gänzlich der guten Sache gewidmete Propagandakunst nicht erfüllen.

Doch auch solche Einwände haben die Macher des Musikprogramms der G8-Pro­teste berücksichtigt. So spielen etliche Bands in und um Rostock, die auf der Compilation »Make Capitalism History – Mobilization Sampler against the G8 Summit« vertreten sind. Die CD wurde bereits am Anfang des Jahres veröffentlicht und besitzt in den einschlägigen Krei­sen wohl deshalb »Underground Credibi­lity«, weil die auf ihr versammelten Bands ihre musikalische Belanglosigkeit mit penetranten politischen Bekenntnissen auszugleichen versuchen.

Die Veranstalter sind sich auch der linken musikalischen Tradition in Deutschland be­wusst. Im Camp Reddelich darf am 6. Juni die Ton Steine Scherben Family wieder ein­mal den Alptraum von der musizierenden Landkommune aufführen. Am 5. Juni wird auf der Kleinkunstbühne im Rostocker Fi­schereihafen Yok Quetschenpaua zu sehen sein. Er war am Anfang der neunziger Jahre der Hofbarde der Berliner Autonomen. Vielleicht wird der Akkordeon spielende Kiezpatriot aus Kreuzberg den Song »Ku­damm’s burning« zum Besten geben, in dem er seinen Traum schildert, das KDW und andere »Konsumtempel« niederzubrennen.

Das größte Konzert findet jedoch erst am 7. Juni im IGA-Park in Rostock statt. Unter dem Motto »Deine Stimme gegen Armut« werden neben ­Seeed, Silbermond, 2Raumwohnung und den Fantastischen Vier auch die Sportfreunde Stiller auftreten, die ja noch aus dem vergangenen WM-Jahr wissen müssten, wie man die deutschen Massen begeistert.

Die 80 000 Zuschauer, mit denen der Veranstalter, der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro), rechnet, dürften aber vor allem auf den Headliner warten. Schließlich weiß nur der Lieblingssänger der Nation, Herbert Grönemeyer, wie man dem Volk aus der Seele singt. Niemand fasst das Unbehagen der Deutschen so gut in wohlig-schwülstigen Bedeutungsschmalz wie er. Nur mit ihm lässt sich so voller Inbrunst schmettern: »Mensch!« Und um ihn, den »Menschen«, geht es ja allen, auf bei­den Seiten des Sicherheitszauns.