Öffentlich/Eigentum/ismus

Die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking laufen auf vollen Touren. Auch in der »Jungle World«, die in den kommenden Ausgaben einen Kurs für subversives Chinesisch anbietet. von felix wemheuer

Weltoffen, demokratisch, ökolo­gisch – für die Volksrepu­blik China ist die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 ei­ne einzige große Imagekampagne. In wohl kaum einem anderen Land der Welt finden allerdings mehr Streiks und sozialen Unruhen statt. Bauern kämp­fen gegen die Enteignung ihres Landes, verarmte Rentner blockieren Straßen, Staats­arbeiter protestieren gegen korrupte Manager, und auch viele der Millionen Wanderarbeiter wehren sich zunehmend gegen Lohnraub und das despotische Fabrikregime.

Das chinesische Motto der am 8. August startenden Spiele, »One World, One Dream«, ist unbedingt ernst zu nehmen und lädt zum subversiven Chinesisch-Kurs, bei dem in den kommenden Monaten chinesische Schriftzeichen vor­gestellt werden, die mit Olympia, Subversion, Repression und Klassenkampf im Reich der Mit­te in Beziehung stehen.

Chinesisch lernen ist nicht einfach. Um­fas­sen­de Wörterbücher enthalten bis zu 60 000 Zei­chen, allerdings werden im Alltag davon nur 7 000 bis 8 000 verwendet. 2 000 Zeichen sollte man kennen, um eine Zeitung lesen zu können. Die gute Nachricht ist, dass sich die Zei­chen aus 227 Grundelementen, den Radikalen, zusammensetzen, die das Lernen extrem er­leich­tern. Die Reihenfolge der Striche ist beim Schreiben der Zeichen festgelegt.

Bricht sich der Anfänger bei der Aussprache der obskuren shi-Laute (shi, chi, zhi, si, ci, zi) zunächst die Zunge ab, so hat die Sprache eine sehr einfache Grammatik. Die Zeichen ändern sich in den verschiedenen grammatikalischen Zeiten nicht, weder werden Verben konjugiert noch Substantive dekliniert. In der Regel gibt es weder Singular und Plural, zwischen männlichen und weiblichen Formen werden selten Un­terschiede gemacht. Die Zeichen für »Guten Tag« heißen wörtlich übersetzt schlicht »Du gut!« (ni hao).

Mit Hilfe der lateinischen Umschrift pinyin ler­­nen auch die chinesischen Kinder die Aussprache der Zeichen. Die 411 Grundsilben können im Hochchinesisch in vier Tönen gesprochen werden. Der erste Ton wird hoch und gleich­blei­bend gesprochen, der zweite Ton steigt an, der dritte geht nach unten und steigt dann wieder, und der vierte Ton ist knapp und fallend. Spricht ein Chinese von mao, so muss keinesfalls der Große Vorsitzende gemeint sein. Im ersten Ton kann die Silbe mao zum Beispiel »Katze« heißen (mao), im zweiten Ton »Speer« (mao) oder »Haar« (mao), im dritten Ton »nieten« (mao) und im vierten Ton »Handel« (mao). Im modernen Chinesisch werden die meisten Wörter zwar aus zwei Zeichen gebildet, trotzdem können auch Chinesen einzelne Wörter häufig nur im Kontext eines Satzes verstehen.

Da Chinesisch vergleichsweise lautarm ist, bieten sich Sprachwitze und subversive Entfremdungen geradezu an. Wird eine Silbe mit einem anderen Ton ausgesprochen, so ergibt sich gleich ein anderes Wort bzw. Zeichen. Geht eine Frau im Winter leicht bekleidet auf die Stra­ße, witzeln die Leute meili dongren. Das heißt nicht nur »Schönheit bewegt Menschen«, sondern auch »Schönheit lässt Menschen frieren« (meili dongren).

Chinesen sind übrigens felsenfest davon über­zeugt, dass ein Hund »wang wang« und nicht »Wau Wau« macht. Mit den 411 Sprachsilben kann man kein »Wau Wau« bilden. Statt »Cheese« sagen Chinesen »Aubergine« (qiezi), um auf Fotos zu lächeln.

Kaum eine andere Sprache eignet sich besser zur Bildung von knackigen politischen Parolen. Die deutschen Übersetzungen hören sich immer sperrig an wie bei »Kritisiert Konfuzius, kritisiert Lin Biao« (pilin pikong) oder »Leistet den USA Widerstand, unterstützt Nord-Korea« (kangmei yuanchao). Im Chinesi­schen können die Parolen hingegen auf vier Zeichen abgekürzt werden und eignen sich dann hervorragend zum Brüllen und Klatschen. Das Aufstellen von Parolen wurde während der Kul­tur­revolution (1966 bis 1976) so unkontrollierbar, dass die chinesische Regierung seit dem Beginn der Reformen von 1978 nur noch sparsam damit umgeht und das Monopol der Parolen-Ausgabe argwöhnisch hütet.

Der Westler stößt bei der Konversation in China auf das Problem, dass ausländische Namen in ­chi­nesischen ­Lauten und Zeichen transkribiert werden. »Michael Jackson? Nie gehört. Ach so, Maikeer Jiekesong.« Auch der alte Professor für Marxismus-Leninismus runzelt bei Friedrich Engels vielleicht nur die Stirn. Dafür kennt er Feilidelixi Enkesi. Ausländische Konzerne haben schon lange gemerkt, dass eine genaue phonetische Wiedergabe des Firmennamens in chinesischen Zeichen wenig werbewirksam ist. Des­halb denken sie sich neue Phantasienamen aus wie zum Beispiel baoma , »kostbares Pferd«, im Fall von BMW. Coca Cola heißt in China kekou koule, wörtlich »köstlich und erfreuend«.

Neue Wörter können nur auf Grundlage der vorhandenen Radikale und Zeichen gebildet werden. Bei der Übertragung von marxistischen Vokabeln ins Chinesische wurden die Zeichen aus dem Japanischen übernommen. Die wört­liche Übersetzung der Zeichen von Kommunismus (gongchanzhuyi) heißt »Öffentlich/ Eigentum/ismus«. Die Idee der Kommune und damit des Absterben des Staats wurde sozu­sagen wegübersetzt. Die Zeichen für Anarchismus bedeuten wörtlich übersetzt: »Kein/Regierung/ismus« (wuzhengfuzhuyi).

Zwischen Staat, Nation und Land kann man im Chinesischen nicht genau unterscheiden. Sowohl Nation, Land als auch Staat heißen guojia. Traditionell ist den Chinesen der Gedanken des Nationalstaats fremd. »Alles unter dem Himmel« gehörte nach diesem Weltbild zum universellen Herrschaftsbereich des Kaisers. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Idee der Nation unter chinesischen Intellektuellen populär. An diesen Beispielen zeigt sich, dass allein die Übersetzung schon eine Sinisierung des Marxismus darstellte.

Einige westlichen Sinologen meinen sogar, dass es nicht eine, sondern viele chinesische Sprachen gibt. Es wird von acht Hauptdialekten bzw. Sprachen gesprochen. Ein Pekinger kann den Shanghai-­Dialekt nicht verstehen. Hinzu kommen die verschiedenen Sprachen der 55 offiziell anerkannten nationalen Minderheiten, die ca. acht Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen. Wie bei europäischen Projekten der Nationen-­Bildung ­versuchten Guomin­dang und ­Kommunisten, die Vereinheitlichung über die ­Verbreitung einer Hochsprache durchzusetzen. Der Peking-Dialekt wurde dabei als Hochchinesisch (guoyu bzw. putonghua) festgelegt, den alle Kinder in der Schule lernen sollen. Im staatlichen Fernsehen werden in der Regel sowohl Interviews als auch Serien mit Zeichen untertitelt. Auf Ämter und Bushaltestellen mah­nen häufig Schilder: »Sprecht die Hochsprache, schreibt Standard-Zeichen!« Die Millionen Wanderarbeiter sind in den Städten auch daran zu erkennen, dass viele nur ihren Dialekt und nicht Hochchinesisch sprechen können. Ein besonderer Dorn im Auge ist der chinesischen Regierung allerdings die Sprache bzw. die Schimpfwörter der Pekinger-Fußballfans (jingma), die landesweit für ihre derben Schlachtrufe bekannt sind. Seit Jah­ren wird vergeblich versucht, den Pekinger-Fans »zivilisierte« Parolen beizubringen, damit sich China vor den Augen der Welt nicht schämen müsse.

Auch wenn heute die Zeichen als Symbole der »großartigen chinesischen Zivilisation« gelten, so hatten gerade die Modernisierer ihre Probleme damit. In den dreißiger Jahren befürworteten viele linke Intellektuelle die Abschaffung der chinesischen Zeichen und die vollstän­dige Latinisierung der chinesischen Schrift, damit die Alphabetisierung der Bauern leichter möglich war. Nach 1949 schreckten die Kommunisten jedoch vor diesem Schritt zurück und vereinfachten nur die Schriftenzeichen mit den so genannten Kurzzeichen (jiantizi). Beim Schriftzeichen für Liebe wurde z.B. das Radi­kale für Herz gestrichen, dafür blieb das Zeichen für Freundschaft. Taiwanesen, die weiterhin die traditionellen Langzeichen benutzen, witzeln daher, dass die Eheleute (airen), wörtlich übersetzt »Liebe/Menschen«, auf dem Festland nur befreundet sind.

Da Mao Zedong die eigentliche Kulturrevolution, die Abschaffung der Zeichen, nicht wagte und wir in das chinesische Olympia-Abenteuer eintauchen wollen, werden wir nun als Vorbereitung chinesische Zeichen vorstellen.

Felix Wemheuer unterrichtet an der Universität Wien ­Geschichte und Politik Chinas.