Spanische Sitten für alle

Im spanischen Wahlkampf beherrschen Law-and-Order-Parolen die politische Auseinandersetzung. Die konservative Volkspartei bestreitet weiterhin ihren Kampf gegen die Eta und vernachlässigt den islamistischen Terror. von gaston kirsche

Tanzend und mit gestutztem Vollbart, der ihn jünger machen sollte, präsentierte Mariano Rajoy vergangene Woche die neue Parteihymne des Partido Popular (PP). Der Spitzenkandidat der spanischen Volkspartei bemüht sich, modern zu erscheinen. Der PP, 1989 aus der Zentrumspartei und der postfranquistischen Rechten der Alianza Popular hervorgegangen, hat zwar treue Stammwähler, gleichzeitig aber Schwierigkeiten, Stimmen im progressiven und regionalistischen Milieu zu gewinnen. »Der PP hat die demokratischen Spielregeln noch nicht übernommen, und das ist ein Defizit der spanischen Politik. Die Rechte ist hart, nicht laizistisch und hat autoritäre Strukturen«, urteilt Franciso Jorquera, der Spitzenkandidat der linksnationalistischen galizischen Regionalpartei BNG für die Parlamentswahl am kommenden Sonntag.

Bei der offiziellen Wahlkampferöffnung des PP in Cádiz schwor Rajoy, er werde immer die Prinzipien der Verfassungen von 1812 und 1979 und der spanischen Nation verteidigen, »mit dem Kopf und mit dem Herzen«. Den Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero beschrieb er auf einer Tour über die Kanarischen Inseln als »eine Mischung aus Adam, Peter Pan und Alice im Wunderland«.

In den vergangenen vier Jahren konzentrierte sich Rajoy vor allem auf zwei Themen: die nationale Einheit, die durch die Regionalparteien gefährdet sei, und den Kampf gegen den Terrorismus, womit er die Eta sowie die »illegale« Einwanderung meint. Den Islamismus dagegen vernachlässigt er.

Auf den Kanaren landeten im vergangenen Jahr 12 461 Flüchtlinge ohne Papiere in kleinen Fischerbooten. Dass weit weniger Menschen als in den Vorjahren versucht haben, Europa zu erreichen, liegt an den verstärkten Kontrollen an den Außengrenzen der EU durch die »Grenzagentur« Frontex. »Illegale« Einwanderung sei am drohenden Kollaps der öffentlichen Einrichtungen schuld, meinte Rajoy auf Teneriffa: »Ich will Ordnung, Kontrolle, Integration und dass die Rechte der Spanier nicht zurückstehen müssen hinter den Rechten anderer Menschen. Es kann nicht jeder ohne Kontrolle hierherkommen, weil das Land nicht überfüllt werden darf.« Noch am selben Tag und nur wenige Kilometer entfernt landeten erneut Flüchtlinge am Strand der kanarischen Hauptinsel.

Rajoy fordert derweil, »illegale« Einwanderer müssten sich verpflichten, »die spanischen Sitten anzunehmen«. Anfang Februar veranstaltete der PP einen Kongress über Immigration. Dort verlangte Rajoy zum ersten Mal einen »Vertrag zur Integration«, den Einwanderer unterschreiben und sich damit verpflichten müssten, »die Gesetze einzuhalten, die Sprache zu lernen und die Gebräuche zu respektieren«, sowie freiwillig auszureisen, wenn sie keine Arbeit fänden. Das müsse für alle gelten, die eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung bekommen möchten.

Rajoy verlässt sich in seinem Wahlkampf darauf, dass Umfragen zufolge 51 Prozent der Spanier Einwanderung mit Kriminalität in Verbindung bringen. Auch auf anderen Gebieten propagierte er einen nationalen Law-and-Order-Kurs und bekam dafür Lob von Rechtsextremen: In Europa »gibt es keine wirklich rechten Parteien außer dem spanischen PP«, erklärte Anfang Februar Philip Dewinter, Anführer der belgischen rechtsextremen Partei Vlaams Belang.

Während eines im Fernsehen übertragenen Streitgesprächs mit Rajoy erwiderte Ministerpräsident Zapatero auf den Vorwurf, seine Regierung habe mit der Legalisierung von Migranten andere Länder zur Nachahmung ermuntert: »Als wir an die Regierung kamen, gab es in Spanien eine Million Bürger ohne Papiere. Sie haben auch fünf Legalisierungskampagnen gemacht.« 700 000 Einwanderer bekamen unter der Regierung Zapatero Papiere – mehr als während der Regierung des PP, aber nach ähnlichen Regeln: Wer einen Arbeitsvertrag vorweisen konnte, durfte mit seiner Familie bleiben. Die Legalisierungskampagnen, die in der Legislaturperiode der Konservativen erfolgt waren, waren mit den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften abgestimmt, sie kamen dem Bedarf auf dem boomenden Arbeitsmarkt entgegen.

Auch unter den Sozialdemokraten ging es nicht um »Papiere für alle«, sondern um den Bedarf der Unternehmer. Dementsprechend erklärte Zapatero: »Die illegale Einwanderung ist ein Missstand, den wir ernsthaft bekämpfen wollen.« Die Sozialdemokraten haben Abschiebungen erleichtert und versprechen nun, die Zeit zu verlängern, die Flüchtlinge nach der Erstaufnahme in Internierungseinrichtungen verbleiben müssen. Mit dem Vorschlag, Ausländer, die wegen der Misshandlung von Frauen verurteilt sind, sofort auszuweisen, verbinden die Sozialdemokraten jedoch die notwendige Debatte über die zunehmende machistische Gewalt mit der Einwanderung.

Das Fernsehstreitgespräch der beiden Spitzen­kandidaten, das von über 13 Millionen Zuschauern verfolgt wurde, begann Rajoy mit dem Thema, das der PP in den vergangenen Jahren am meisten zu skandalisieren suchte: dem Umgang mit der Eta und der baskischen Partei Batasuna. »Die Eta ist wieder in den Rathäusern vertreten und mordet wieder, finanziert mit dem Geld spanischer Steuerzahler.« Zapatero antwortete, dass unter der Regierung von José María Aznar allein in einer Legislaturperiode 238 Personen Anschlägen zum Opfer gefallen seien, davon seien 192 von Islamisten getötet worden.

Beim Thema Terrorismus und Sicherheit hat Rajoy bisher viel mehr über die Eta als über Islamismus gesprochen. Bis heute bezweifelt der PP, dass die Eta nicht an dem Massaker vom 11. März 2004 beteiligt war. Nach dem Urteil im Prozess gegen die islamistischen Attentäter erklärte der Sprecher des PP, Eduardo Zaplana: »Zapatero hat die Attentate 2004 benutzt, um die Wahlen zu gewinnen, und er nutzt sie jetzt wieder, um die Wahlen 2008 nicht zu verlieren.« Der Sprecher des PP in der Untersuchungskommission zum 11. März, Jaime Ignacio del Burgo, beharrt bis heute darauf: »Man kann nicht sagen, dass die Eta nicht an dem Attentat beteiligt war.«