»Gilmore Girls«

Familie und anderer Terror

Serie über Serien. Martina Mescher sitzt mit den »Gilmore Girls« am Familientisch

Kennen gelernt habe ich die »Gil­more Girls« in einem dieser scheuß­lichen Berliner Winter, als ich mit einer fiesen Grippe (die echte) für längere Zeit ans Bett gefesselt war. Eine gute Freundin versorgte mich mit Grundnahrungsmitteln und lieferte aus ihrer DVD-Sammlung statt der versprochenen Krankenhausserie die »Gilmore Girls«. Auf meinen schwachen Protest entgegnete sie: »Du bist krank, du bist Hypochonderin, und du guckst jetzt die ›Gilmore Girls‹ – da sind alle sehr agil und brechen sich höchstens mal den Arm.« Weil meine Freundin nicht nur liebenswürdig, sondern auch einigermaßen autoritär ist, habe ich also brav, aber durchaus missmutig mit dieser Serie angefangen.
Schon während der ersten zehn Minuten opponierte ich gegen den frappierend geringen Altersunterschied zwischen Mutter und Tochter und dachte: Danke, wie bei »O. C. California«, schlechtes Casting und Schönheitschirurgie übersetzt man also mit »agil«. Dann wurde allerdings deutlich, dass Tochter Rory das Resultat einer Upper-class-Teenagerschwangerschaft ist, und dieser Tabubruch weckte mein Interesse.
Rory, die schon seit Kindertagen weiß, dass sie in Harvard studieren möchte, stellt fest, dass die Highschool ihrer Herkunftsstadt Stars Hollow dafür nicht die ideale Voraussetzung ist. Ihrer alleinerziehenden Mutter Lorelai fehlt jedoch das Geld für eine Privatschule, und es kostet sie ziemlich viel Überwindung, ihre verhassten, wohlhabenden Eltern um ein Darlehen für die Enkelin zu bitten. Doch diese, Emily und Richard Gilmore, geben die großzügige Spende nur allzu gerne, knüpfen daran aber Bedingungen: wöchentlicher Anruf und Freitags­dinner.
Diese Abendessen im Kreise der Lieben sind fortan integraler Bestandteil jeder Folge. Eingebettet in die immer gleichen Rituale, zeigen sie die schönsten Kapriolen, die nur das System Familie hervorbringen kann. Nach einem Warm-up-Drink wird in frösteliger Atmosphäre diniert, und spätestens nach dem ersten Gang entflammt ein Streit zwischen Lorelai und Emily. Die Dialoge der beiden Frauen folgen bester Screwball-Comedy, der Schlagabtausch endet meistens unentschieden in einem Eklat, geweint wird nie, und rührige Versöhnungsszenen sind eine Rarität.
Eindrucksvoll demonstrieren die Wortgefechte, dass bestimmte Reizthemen in Familien über eine nahezu unbegrenzte Haltbarkeit verfügen. Die Dauerbrenner der Gilmores sind Lorelais verfrühte Schwangerschaft und ihre Ehelosigkeit. Mit wachsender Aggressivität plant Emily entzückend scheußliche Hochzeitszeremonien für ihre affärenerprobte Tochter. So ist das mit Müttern, sie meinen es nur gut.
Die Serie dokumentiert nicht nur den ganz normalen Wahnsinn familiärer Beziehungen, sondern gibt auch einen Einblick in verschiedene Lebensphasen: das Elend der Pubertät, das komplizierte Management von Kind, Karriere und störrischen Liebhabern der Thirtysomethings und das Problem, das auftaucht, wenn der ehemals vielbeschäftigte Gatte plötzlich Rentner wird und als permanenter Störfall das traute Heim belagert.
Männer kommen in der Serie also auch vor, in Nebenrollen, manchmal sind sie Glücksbringer und häufig ein Problem, man sollte das nicht überbewerten. Luke beispielsweise, Teilzeitlover von Lorelai, ist nur scheinbar perfekt. Er kann kochen, repariert ohne Murren all die Dinge, die in einem Frauenhaushalt so kaputtgehen, verwandelt sich aber leider bei der Kontaktaufnahme mit anderen heterosexuellen Männern in eine Art balinesischen Kampfhahn. Oder Christopher, Rorys leiblicher Vater, der sich das Verantwortungsbewusstsein eines 18jährigen erhalten hat. Wenn es Schwierigkeiten gibt, schwingt er sich auf seine Harley und verschwindet für einige Monate von der Bildfläche.
Nach einer kurzen Umfrage im Bekanntenkreis war es somit nicht überraschend, dass nur wenige Männer überhaupt mal in die »Gilmore Girls« »so reingeschaut haben«. Für Irritation sorgt allerdings, dass sie dann vor allem »die Darstellung der Kleinstadt-Atmosphäre« gut fanden und kein Wort über die Frauen verloren.
Während sich durch die gesamte Literatur- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts, psychologisch abgesichert durch den Ödipus-Komplex, verkorkste Vater-Sohn-Beziehungen ziehen, erfreut sich eine Familiengroteske mit weiblicher Besetzung, zumindest bei den Männern, weitaus geringerer Beliebtheit. So betrachtet, liefern die »Gilmore Girls« in der Verpackung der harmlosen Familienserie durchaus ein Statement im Gender trouble.